Allen Frances

NORMAL

Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen
Cover: NORMAL
DuMont Verlag, Köln 2013
ISBN 9783832197001
Gebunden, 430 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Barbara Schaden. 1980 hielt man einen Menschen für normal, wenn er ein Jahr lang um einen nahen Angehörigen trauerte. 1994 empfahl man Psychiatern mindestens zwei Monate Trauerzeit abzuwarten, bevor man Traurigkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen und Apathie als behandlungsbedürftige Depression einstufte. Mit dem neuen Katalog psychischer Störungen "DSM 5" wird ab Mai 2013 empfohlen, schon nach wenigen Wochen die Alarmglocken zu läuten. Vor einer Inflation der Diagnosen in der Psychiatrie warnt deshalb der international renommierte Psychiater Allen Frances. Er zeigt auf, welche brisanten Konsequenzen die Veröffentlichung haben wird: Alltägliche und zum Leben gehörende Sorgen und Seelenzustände werden als behandlungsbedürftige, geistige Krankheiten kategorisiert. Verständlich und kenntnisreich schildert Allen Frances, was diese Änderungen bedeuten, wie es zu der überhandnehmenden Pathologisierung allgemein-menschlicher Verhaltensweisen kommen konnte, welche Interessen dahinterstecken und welche Gegenmaßnahmen es gibt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.08.2013

Dass sich mit Allen Frances ausgerechnet eine Koryphäe der Psychiatrie gegen die inflationäre Pathologisierung des Menschen (Night Eating Syndrome, Disruptive Launenfehlregulationsstörung) stellt, ist für Volker Breidecker ein Glücksfall der Medizingeschichte. Wenn der pensionierte Frances anstelle von Psychopharmaka die kontrollierte Selbstheilung propagiert, das von ihm ursprünglich selbst mitverantwortete Diagnosehandbuch DSM kritisiert und dabei empirisch fundiert, gelehrt und zugleich spannend schreibt, nickt Breidecker zustimmend. Die vom Autor eingestreuten Passagen zur Geschichte seiner Zunft runden den guten Eindruck für Breidecker ab.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.05.2013

Alle locker, meint Thomas Thiel nach der Lektüre von Allen Frances' wütender Streitschrift zur aktuellen Ausgabe des amerikanischen "Handbuchs für psychische Erkrankungen". Die sogenannte Heißhungerstörung lässt ihn künftig wohl eher kalt. Dass der Autor kein gutes Haar an diesem dereinst von ihm selbst mitgetragenen Projekt lässt (vor 20 Jahren gab Frances die Vorgängerversion des Handbuchs heraus), also mit Selbstkritik nicht sparsam ist, scheint Thiel bemerkenswert. Auch wenn die laut Thiel oft "geraffte" Darstellung der Problematik neuer (nicht nur von der Industrie neu erfundener) Erkrankungen mitunter nicht gerecht wird, findet der Rezensent die im Buch festgehaltenen Wachstumsraten auf dem Psychopharmakamarkt sowie die aufgedeckten Zusammenhänge zwischen Krankheit und Wachstumsinteressen höchst bedenklich.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.04.2013

Als ein klug und leidenschaftlich argumentierendes Buch empfiehlt Elisabeth von Thadden diese Streitschrift des nach Meinung der New York Times einflussreichsten Psychiaters der USA. Ihm gehe es um Kritik an einer Branche, der er selbst seit Jahrzehnten angehört und über die er nun aus der Perspektive des Ruhestands in Rage gerät: die Psychiatrie. Besonders die Pharmabranche und die Krankenkassen (in den USA) mache er für eine immer weiter gehende Pathologisierung emotionaler Zustände verantwortlich. Wer mit den Beinen wippt, bekommt die Diagnose "restless legs syndrome", und wer länger als ein paar Wochen um eine geliebte Person trauert, gilt als zu behandelnder Fall - kurz, so Thadden: "Normal ist da fast keiner mehr." Diagnosen wie die des Autismus oder der bipolaren Störung hätten sich in den letzten 15 Jahren verzwanzig- bis vierzigfacht und selbst das damals schon populäre ADHS-Syndrom habe sich noch verdreifacht. Umso willkommener ist von Thadden dieser Einspruch gegen die "Alles-wird-gut-Gesellschaft"