Amitav Ghosh

Der Fluch der Muskatnuss

Cover: Der Fluch der Muskatnuss
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783751820011
Gebunden, 334 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Auf einer indonesischen Insel fällt eine Öllampe zu Boden, kurz danach begehen niederländische Soldaten ein Massaker an den Inselbewohnern. Wie hängen diese beiden Geschehnisse zusammen und was geschah danach? Mit dieser Frage beginnt Amitav Ghosh seine Recherche auf den Spuren der Muskatnuss. Heute alltägliches Gewürz, galt sie im 17. Jahrhundert als Luxusgut - allein eine Handvoll davon reichte aus, um einen Palast zu erbauen -, denn die seltene Frucht wuchs nur auf jener Insel, die niederländische Truppen vornehmlich deshalb in Besitz nahmen, um das Handelsmonopol für die Niederländische Ostindien-Kompanie zu sichern. Während Amitav Ghosh die Reise der Muskatnuss nachzeichnet, veranschaulicht er eindrucksvoll die Mechanismen von Kolonialismus und Ausbeutung der Einheimischen sowie der Natur durch westliche Länder. Er stellt dabei die Verbindung geschichtlicher Entwicklungen mit aktuellen Realitäten her, verkettet niederländische Stillleben und die Nomenklatur nach Linné mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, der Covid-Pandemie und der Standing Rock Sioux Reservation, um zu zeigen, dass der heutige Klimawandel in einer jahrhundertealten geopolitischen Ordnung verwurzelt ist, die vom westlichen Kolonialismus und seiner mechanistischen Weltsicht - die Erde als bloßem Ressourcenlieferant für die Menschheit - geschaffen wurde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.2023

Rezensent und Globalhistoriker Jürgen Osterhammel kann zwar Amitav Ghoshs literarische Größe und sein umfangreiches historisches Wissen anerkennen, muss in Bezug auf sein neues Buch aber Zweifel anmelden. Denn in Ghoshs umfangreicher, quellengesättigter Reflexion über die "planetarische Krise" und ihre Ursachen gehe es zwar ambitioniert, breit gefächert und schriftstellerisch virtuos, aber eben auch sehr "undialektisch" zu, meint Osterhammel: Denn die Abwärtsspirale der Moderne voller Genozide, Ökozide oder gar "Omnizide", die Ghosh emblematisch am Muskatnussanbau auf der Banda-Insel Lonthor nach der Auslöschung der dortigen Bevölkerung 1621 aufhänge, stelle sich bei Ghosh als ein und derselbe, seitdem einfach immer weiter wirkende "archaische Fluch" dar. Die Spezifik einzelner Krisen, und damit auch der aktuellen, fällt in dieser "düsteren Geschichtsphilosophie" hinten runter, kritisiert Osterhammel. Auch die Gegenmittel, die der Autor an die Hand gebe - moralische "Einkehr" und Demut vor der Natur - werden uns heute wenig helfen, meint der Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 05.12.2023

Etwas viel auf einmal packt Amitav Gosh schon in sein Buch, meint Rezensentin Katharina Döbler, die gleichwohl insgesamt beeindruckt scheint. Denn es gelingt dem Autor, erfahren wir, ausgehend von der kleinen Muskatnuss eine Globalgeschichte der letzten vier Jahrhunderte zu schreiben, die auf eine Unterjochung und Zerstörung der Menschheit und ihrer Lebensgrundlagen durch die westliche Zivilisation hinausläuft. Es beginnt, führt Döbler mit Gosh aus, mit niederländischen Kolonialmassakern im 17. Jahrhundert, eben zwecks Transformation der Muskatnuss in ein kapitalistisch ausgebeutetes Handelsgut und es endet mit der Klimakrise der Gegenwart. Praktisch alles wird in dem Buch in denselben Zusammenhang gerückt, heißt es weiter, von der Kunstgeschichte bis zur Covid-Pandemie, Schuld trägt jeweils die Durchrationalisierung der Welt durch die Aufklärung. Hoffnung schöpft Gosh hingegen laut Döbler aus vitalistischen Kräften "aller Nichtmenschen".

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 11.11.2023

Amitav Ghosh wendet sich einem Gewürz zu, das früher ziemlich wertvoll und damit Grund für kolonialistische Ausbeutungen war, liest Rezensent Eberhard Falcke: Die Niederländer haben deswegen die Banda-Inseln im Indischen Ozean überfallen und die Einwohner getötet und versklavt. Dass Ghosh von diesen Geschehnissen Kontinuitätslinien bis in die Gegenwart ziehen will, ist für den Kritiker weniger plausibel, er teilt die Annahme des "Terraforming" nicht, die davon ausgeht, dass der Planet nach kolonialen Gründen ausgebeutet wird. Wenn man das Buch allerdings eher als Gedankenspiel denn als Dogma liest, dann ist es sehr ertragreich, befindet Falcke.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2023

Äußerst lesenwert erzählt der Inder Amitav Ghosh dem Rezensenten David Pfeifer von kolonialer Ausbeutung auf den indonesischen Banda-Inseln, das ist im 16. Jahrhundert nämlich der einzige Platz, an dem Muskatnuss wächst. Die indigene Bevölkerung wird von den Kolonialherren ermordet und versklavt, damit sie an ihren enormen Reichtum kommen können. Ghosh verknüpft diese Schilderungen auf interessante Weise nicht nur mit Kolonialisierungen in Amerika, sondern auch mit modernen Weltraum-Kolonial-Bestrebungen von Bezos und Konsorten, wodurch das Buch für Pfeifer nicht nur Science Fiction wird, sondern auch eine genaues "Psychogramm der westlichen Gesellschaft seit dem 16. Jahrhundert." Der Autor stellt genaue Beobachtung auch zur Hexenverbrennung und zu rassistischer Sprache an, aber seine warmherzig-hoffnungsvolle Schreibweise sorgt dafür, dass der Kritiker nicht vollends die Hoffnung verliert. Nur, wenn es um mögliche Auswege aus der menschenverschuldeten Krise geht, fällt Hoffnung schwer - das Buch kann Pfeifer deshalb umso mehr empfehlen.
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