Jan Philipp Reemtsma

Vertrauen und Gewalt

Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne
Cover: Vertrauen und Gewalt
Hamburger Edition, Hamburg 2008
ISBN 9783936096897
Gebunden, 576 Seiten, 30,00 EUR

Klappentext

Warum sich die Soziologie mit den Phänomenen der Gewalt so schwer tut, ist eine der zentralen Fragen, mit denen sich das vorliegende Buch beschäftigt. In seiner Studie analysiert Jan Philipp Reemtsma zunächst, was Vertrauen und vor allem Vertrauen in die Moderne heißt - und in welcher Weise dieses Vertrauen an die besonderen Legitimationsanforderungen gebunden ist, denen der Gebrauch von Gewalt in der Moderne unterworfen ist. Er fragt, wie extreme Destruktivität neben dem modernen Programm der Gewalteinschränkung oder trotz dieses Programms bestehen kann und warum und wie das Vertrauen in die Moderne ungeachtet der Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts fortbesteht. Das Buch untersucht die Phänomene der Gewalt in ihrem unterschiedlichen Körperbezug und in ihrem Verhältnis zur Ausübung von Macht, es fragt, aus welchem Grund bestimmte Gewaltformen in der Moderne tabuisiert worden sind, obwohl sie nach wie vor fortbestehen, und in welcher Weise dieses Fortbestehen besondere Wahrnehmungs- und Analyseschwierigkeiten produziert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.05.2008

Mit höchster Anerkennung bedenkt Andreas Platthaus dieses Buch Jan Philipp Reemtsmas über Vertrauen und Gewalt in der Moderne. Die Frage, wie die Moderne, die Gewalt wie keine andere Gesellschafsform zuvor geächtet hat, die schlimmsten Gewaltexzesse hervorbringen und dennoch fortbestehen konnte, scheint ihm eines der zentralen Themen der Untersuchung, die neben der Gewalt des Nationalsozialismus und des Bolschewismus auch die der Folter und des Terrorismus in den Blick nimmt. Besonders die Unterscheidung verschiedener Formen der Gewalt, der lozierenden, raptiven und autotelischen, erweist sich in seinen Augen als überaus fruchtbar für die Analyse. Besonders schätzt Platthaus die Fülle von Details, mit denen Reemtsma seine Thesen erhellt, etwa die Ausführungen über das ambivalente Verhältnis von Vertrauen und Gewalt bei den Spartanern, die er als "Meisterstück einer elliptischen Begründung von höchster Eleganz" würdigt, welche zudem die Gegewart verständlich mache. Das Buch ist für ihn auch die Summe von Reemtsmas langjähriger Beschäftigung mit dem Thema Gewalt, in der er nun mit staunenswerter "Prägnanz" das "ganze Bild" vorstellt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.05.2008

Jan Philipp Reemtsmas neues Buch über "Vertrauen und Gewalt" hat Claus Leggewie tief beeindruckt. Er würdigt es als "Opus magnum" des Literaturwissenschaftlers und als Zwischensumme der Arbeiten des von ihm gegründeten Hamburger Instituts für Sozialforschung. Reemtsmas Blick auf die Gewalt scheint ihm zwar "erschrocken über die Potenz des Inhumanen", zugleich aber wohltuend nüchtern und fern von jeder Sensationsgier. Besonders unterstreicht er die reizvolle Einbeziehung von Mythologie, Literatur, Populärkultur und Gesellschaftstheorie. Im Zentrum sieht Leggewie die immer wieder gestellte Frage der Mutter Kempowski ("Wie isses nun bloß möglich?"), die Reemtsma in fünf großen Kapiteln beantwortet. Neben der Untersuchung des Vertrauens in der und in die Moderne und der Gegenüberstellung von Macht und Gewalt, die insbesondere die rätselhafte Gewalt um ihrer selbst willen ("autotelische Gewalt") in den Blick nimmt, gehe es um Delegitimationen und Relegitimationen der Gewalt, um die Erfahrungen totalitären Terrors bis in die Gegenwart und Gewalt und Kommunikation. Leggewie liest das Buch als Fortschreibung von Horkheimers und Adornos "Dialektik der Aufklärung" und hebt es in den Rang eben dieses Werks. Sein Fazit: "Dieses Buch muss jeder gelesen haben, der über die Moderne nachdenken will."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.03.2008

Angetan scheint Uwe Justus Wenzel von Jan Philipp Reemtsmas Essay über Gewalt und Vertrauen in der Moderne. Er bescheinigt dem Begründer und Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung eine ebenso nüchterne wie instruktive Auseinandersetzung mit den üblichen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern von Gewalt. Der gängigen Interpretation der Gewalt als instrumentell, pathologisch und sinnlos setze der Autor das Konzept der selbstzweckhaften Gewalt entgegen, die auf die Zerstörung des Körpers des Opfers aus sei und in der sich der Wunsch nach absoluter Macht erfülle. Diese Form von Gewaltausübung lauere nach Reemtsma auch in allen anderen Formen von Gewalt. Neben Reemtsmas Hinweis, nicht nur viele Menschen wollten dies nicht wahrhaben, sondern eine ganze Epoche, die Moderne, sei hier blind, hebt Wenzel in diesem Zusammenhang die Frage des Autors hervor, wie die Gewaltexzesse der Moderne, die Zivilisationsbrüche des 20. Jahrhunderts, in die Zivilisation integriert werden konnten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.03.2008

Jan Philipp Reemtsmas umfangreiche Studie über "Vertrauen und Gewalt" hat Rezensent Jens Bisky überaus beeindruckt. Bewundernd äußert er sich über die ungeheure Fülle von beleuchteten Aspekten, den Reichtum an Gedanken und vor allem die "kühne" Verbindung von soziologischer Begriffsbildung und literaturwissenschaftlichen Deutungen. Dabei bescheinigt er dem Autor, auch auf vertraute Fragen wie das Gewaltmonopol des Staates oder die funktionale Differenzierung der Gesellschaft einen neuen Blick zu werfen und sie intellektuell höchst stimulierend anzugehen. Ausführlich rekapituliert Bisky die verschiedenen Arten der Gewalt, die Reemtsma unterscheidet, berichtet über seine Ausführungen über den Rechtfertigungsdruck der Gewalt, über instrumentelle Interpretation der Gewalt, über die Neigung, sie zu verrätseln und zu pathologisieren, und hebt seine Deutungen der Jahrhundertverbrechen des Stalinismus und des Nationalsozialismus hervor. Das Buch zeichnet sich für ihn auch dadurch aus, dass es Gewalt, Brutalität, Grausamkeit "sehr ernst" nimmt und nicht einfach "wegerklärt".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.03.2008

Einen wichtigen Beitrag zur Frage nach der Gewalt in der Moderne sieht Harry Nutt in Jan Philipp Reemtsmas Studie "Vertrauen und Gewalt". Das Buch scheint ihm auch eine theoretische Grundlegung der Arbeit des von Reemtsma gegründeten Hamburger Instituts für Sozialforschung, das sich intensiv mit dem Thema Gewalt befasst. Nutt attestiert dem Autor, gestützt auf diese Arbeit, die Phänomene der Gewalt umfassend zu untersuchen und die "blinden Flecken der Moderne" in den Blick zu nehmen. Beeindruckt hat den Rezensenten der gekonnte Wechsel zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, die Verbindung von philologischen Deutungen, philosophischen und soziologischen Überlegungen. Er würdigt Reemtsma als einen methodisch keiner Schule verpflichteten "Experten der Gewalt", der die Phänomene der Gewalt nüchtern analysiere und deute.