Marie Vieux-Chauvet

Töchter Haitis

Roman
Cover: Töchter Haitis
Manesse Verlag, Zürich 2022
ISBN 9783717525509
Gebunden, 288 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Nathalie Lemmens. Mit einem Nachwort von Kaiama L. Glover. Port-au-Prince, Haiti, Anfang der 1940er Jahre. Die junge Lotus gehört der herrschenden "mulattischen" Gesellschaftsschicht an. Doch als Tochter einer Prostituierten ist sie stigmatisiert und hat für Männer nur Verachtung übrig. "Weil sie meine Mutter gestohlen haben, sind sie meine schlimmsten Feinde." Sie führt ein Leben in Langeweile und zerstreut sich mit oberflächlichen Männerbekanntschaften. Unter ihnen ist nur einer, zu dem sie sich wirklich hingezogen fühlt: Georges Caprou, einer der Führer der Opposition gegen das herrschende Regime. Er öffnet Lotus die Augen für das Elend der Menschen in Haiti. Also gibt sie ihr ausschweifendes Leben auf, um den Ärmsten in ihrem Viertel zu helfen. Dabei wird sie von ihrem Nachbarn, dem alten Charles, unterstützt. Lotus und Caprou führen eine Beziehung mit Wechselbädern, die durch den revolutionären Kampf, dem sich Lotus angeschlossen hat, zusammengeschweißt wird. Die von ihnen entfachten Unruhen führen zum Sturz der Regierung. Doch auf die Begeisterung folgt die Ernüchterung: Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet.

Im Perlentaucher: Jetzt sind wir dran!

"Töchter Haitis" ist die Geschichte einer Befreiung, die Emanzipation einer Frau, aber auch die Nobilitierung eines Menschen, der sich von seiner Klasse freimacht. Doch persönlicher Sieg und politische Niederlage gehen hier eng miteinander einher. Thekla Dannenberg in "Wo wir nicht sind"

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.12.2022

Für Rezensent Hans Christoph Buch kommt es einem Wunder gleich, was dem Münchner Menasse Verlag gelungen ist: die Herausgabe eines gelungen übersetzten "Klassikers aus und über Haiti", der zugleich ein "Meilenstein der Frauenliteratur" ist und auch noch von einem aufrichtigen, sich keinem "Denkverboten" beugenden Nachwort begleitet werde. Marie Vieux-Chauvet erzählt in ihrem Roman von der jungen Frau Lotus, ihrem Alter-Ego, die als "Mulattin" (der Begriff, der so auch im Roman verwendet wird, warnt Buch) im postkolonialen Haiti einen "schmerzvollen Prozess weiblicher Selbsterkundung" durchläuft. Dabei erfahre der Leser durch die politisch weitsichtige Perspektive der Protagonistin vieles über die Doppelmoral, die Haiti damals sowohl in Bezug auf den zwischen Schwarzen und "Mulatten" herrschenden Rassismus prägte, als auch in Bezug auf patriarchale Strukturen, so Buch. Außerdem merkt er dem in den 50er Jahren entstandenen Roman den großen Erfahrungsschatz der Autorin an, die den damaligen Kampf gegen die postkolonialen Strukturen miterlebte. Ein wichtiger Roman gerade für die Kenntnis der Haitianischen Geschichte im westlichen Raum, lobt Buch.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 23.11.2022

Rezensent Marko Martin gibt uns zunächst einige Hintergründe mit an die Hand, um die gesamte Bedeutung und literarische Kraft dieses 1954 erstmals erschienenen Romans von Marie Vieux-Chauvet erfassen zu können. Die haitianische Schriftstellerin wurde 1916 geboren, verließ Haiti aber Richtung New York als Francois Duvalier an die Macht kam und kritische Autoren während der Diktatur zunehmend bedroht wurden. Vor diesem Hintergrund spielt der von Nathalie Lemmens hervorragend übersetzte, den Wechsel zwischen klassischem und kreolischem Französisch balancierende Roman, fährt der Kritiker fort: Wir folgen der jungen Lotus, Tochter eines Franzosen und einer Einheimischen, die in einer alten Villa im Elendsviertel lebt, als "Privilegierte" ausgegrenzt und von den Männern des Viertels bedrängt und vergewaltigt wird. Weder die Partnerschaft mit einem jungen Oppositionellen (der schließlich ermordet wird) noch die Wechsel der verschiedenen Präsidenten bringen die Wende. Vieux-Chauvets exakt beobachtende, stets kämpferische Heldin hat den Kritiker tief beeindruckt.