Martin Walser

Ein sterbender Mann

Roman
Cover: Ein sterbender Mann
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016
ISBN 9783498073886
Gebunden, 288 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Theo Schadt, 72, Firmenchef und auch als "Nebenherschreiber" erfolgreich, wird verraten. Verraten ausgerechnet von dem Menschen, der ihn nie hätte verraten dürfen: Carlos Kroll, seinem engsten und einzigen Freund seit 19 Jahren, einem Dichter. Beruflich ruiniert, sitzt Theo Schadt jetzt an der Kasse des Tangoladens seiner Ehefrau, in der Schellingstraße in München. Und weil er glaubt, er könne nicht mehr leben, wenn das, was ihm passiert ist, menschenmöglich ist, hat er sich in einem Online-Suizid-Forum angemeldet. Da schreibt man hin, was einem geschehen ist, und kriegt von Menschen Antwort, die Ähnliches erfahren haben. Das gemeinsame Thema: der Freitod.
Eines Tages, er wieder an der Kasse, löst eine Kundin bei ihm eine Lichtexplosion aus. Seine Ehefrau glaubt, es sei ein Schlaganfall, aber es waren die Augen dieser Kundin, ihr Blick. Sobald er seine Augen schließt, starrt er in eine Lichtflut, darin sie. Ihre Adresse ist in der Kartei, also schreibt er ihr - jede E-Mail der Hauch einer Weiterlebensillusion. Und nach achtunddreißig Ehejahren zieht er zu Hause aus. Sitte, Anstand, Moral, das gilt ihm nun nichts mehr. Doch dann muss er erfahren, dass sie mit dem, der ihn verraten hat, in einer offenen Beziehung lebt. Ist sein Leben "eine verlorene, nicht zu gewinnende Partie"?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.01.2016

Witz und Pathos und einen "einen kecken Plot" attestiert Roman Bucheli Martin Walsers neuem Roman "Ein sterbender Mann". Dass er dennoch kein reines Lesevergnügen ist, erklärt der Rezensent mit der ermüdenden Rückblendenstruktur, schwerfälligen Perspektivwechseln, angestrengten Zufällen und dem Hang des erzählenden Personals zu Ignoranz und Übertreibungen. Die Form des Briefromans lässt das zwar zu, so Bucheli, doch die Figuren erscheinen ihm dadurch bisweilen wie "Sprechpuppen an der Hand des Autors". Insgesamt ist der Roman für Bucheli "eine harte Nuss zum Knacken", und um künftigen Lesern die Arbeit zu ersparen, das Buch nach dem Schluss-Clou gleich noch einmal lesen zu müssen, ist der Rezensent so freundlich, die überraschende Wendung zu verraten.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 09.01.2016

Wie der Roman über einen lebensmüden, finanziell und moralisch gebrochenen Mann enden muss, deutet schon der Titel an, schreibt Richard Kämmerlings und lässt sich im Folgenden kurz darüber aus, dass Walsers Romane zuletzt immer mehr an Glaubwürdigkeit eingebüßt hätten. Auch von der Handlung des neuesten Werkes zeigt sich der Kritiker wenig angetan, darüber hinaus sei das Buch selbstreferenziell, "einerseits überfrachtet mit Anspielungen und Beigepäck, andererseits grob holzschnitthaft in der Figurenzeichnung". Kämmerlings, der mutmaßt, dass sich Walser wegen seines hohen Alters nicht mehr zu viel Zeit lassen wollte, attestiert dem Roman etwas Unfertiges. Der Hang des Autors zu extremen Gegensätzen kommt dem Rezensenten vertraut vor, er erkennt darin "das Grundprinzip von Walsers erzählerischem Physikbaukasten". Wenigstens habe er mit dem Briefroman das geeignete Medium für seinen emphatischen Tonfall gefunden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.01.2016

Für Judith von Sternburg liegt die souveräne Virtuosität Martin Walsers in seiner Fähigkeit, die Leserin erneut maximal zu verunsichern. Das ist lässig und komisch, meint Sternburg, auch oder gerade weil es in diesem Buch um die letzten Dinge geht, um Sterbehilfe und späte Liebe etwa. Die Endzeitstimmung im Roman scheint der Rezensentin vielstimmig gebrochen. Sodass sie von Spätwerk kaum sprechen mag, eher von einem Autor als alter Fuchs, der Ironie, Satire und doppelte Böden en masse auskippt, Dutzende kleine Geschichten einstreut, immer wieder den richtigen Ton trifft, etwa den der Internetforen, und die Geschichte von einem "lebenden und liebenden Mann" einmal mehr überzeugend erzählt, so Sternburg.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.01.2016

Helmut Böttiger schwelgt im neuen Roman von Martin Walser, wie dieser in seiner eigenen Übertreibungskunst zu schwelgen scheint, wie Böttiger feststellt. Ganz abgesehen von unendlich reichen Interpretationsmöglichkeiten in Sachen Schlüsselroman beschert das Buch dem Rezensenten zwischen komplexesten Realismustheorien und krudesten (Alters-)Narreteien, Pointen um das Wort "Arsch" etwa, ein Füllhorn an Unerhörtem, Unterhaltsamem. Selbst wenn die im Buch laut Rezensent genüsslich und ausufernd aufs Korn genommene Virilität nicht diejenige des Autors sein sollte - die Lust und unbekümmerte Meisterschaft, mit der Walser Perspektiven und Stimmen, Themen und Motive wechselt oder auch bloß das mitunter für den Rezensenten erkennbare bewährte Romanhandwerk, sind die Lektüre für Böttiger wert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.01.2016

Rezensent Friedmar Apel kann sich den Respekt nicht verkneifen angesichts der Fähigkeit Martin Walsers, eine Welt literarisch nicht nur zu erschaffen, sondern ebenso auch wieder zu zerstören. Vorgemacht im neuen Walser, den Apel ein Verwirrspiel um das Thema Autorschaft nennt, aber auch eine etwas grobe Satire aufs Alter, die Lyrik und die Liebe. Das Münchener Bildungsbürgertum, das der Autor als Ort gewählt hat für die Torheiten seiner Figur Theo Schadt, scheint Apel ein dankbarer Nährgrund dafür zu sein. Dass der Roman alles andere als ironisch-sentimental ist, nämlich parodierend bis ins Alberne, hat für Apel zur Folge, dass ihn die Geschichte ziemlich kalt lässt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.01.2016

Die Figurenkonstellation, die Martin Walser in seinem neuen Roman "Ein sterbender Mann" aufstellt, ist ziemlich unübersichtlich, verrät Rezensentin Iris Radisch: da ist der Erzähler Theo Schadt, der in eingefahrener Ehe mit Iris lebt und sich eines Tages in die Tangotänzerin Sina Baldauf verliebt, die wiederum mit seinem ärgsten Widersacher Carlos Kroll liiert ist, fasst die Rezensentin zusammen. Es folgt eine Dickdarmkrebs-Diagnose, Selbstmordabsichten samt Austausch in einem Selbstmordforum und vor allem jede Menge Briefe, in denen Walser die Handlung vornehmlich entfaltet, erklärt Radisch. Walser Hauptfigur ist, wie gewohnt, in Wahrheit "keineswegs sterbebereit", so die Rezensentin, sein Erzähler findet sich mit dem vorgesehenen Altersverhalten nicht ab - begehrt allerdings nur im Schriftverkehr dagegen auf, während er den echten schon gar nicht mehr auf dem Schirm zu haben scheint, wundert sich Radisch, der dieser unbekümmerte Walser trotzdem sympathisch ist.