Martin Walser

Tod eines Kritikers

Roman
Cover: Tod eines Kritikers
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518413784
Gebunden, 240 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Der Schriftsteller Hans Lach ist verhaftet worden: Mordverdacht. Auf der Party in der Villa seines Verlegers, zu der er ganz gegen die Regeln geladen war, hatte er einen berühmten Kritiker angepöbelt und bedroht, nachdem dieser am selben Abend in der Fernsehsendung 'Sprechstunde' sein neues Buch böse verrissen hatte. Am nächsten Morgen wird der gelbe Cashmere-Pullover des Kritikers blutgetränkt gefunden... Der drastisch erzählte Roman riskiert einen Beitrag zur Aufklärung über Zustandekommen und Wirken der öffentlichen Meinung: Vor und hinter den Kulissen des Kulturbetriebs geht es zu wie beim Boxsport oder an der Börse. Es wird auf Leben und Tod gespielt.

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

"Tod eines Kritikers" ist eines der besten Bücher nicht nur von Martin Walser. Es ist nicht damit zu rechnen, dass diesen Sommer noch ein Witzigeres, Böseres und Schöneres erscheint. Jedenfalls nicht von einem deutschen Autor. Vergessen Sie Reich-Ranicki. Er kommt nicht vor. Der Mann heißt Andre Ehrl-König, kommt aus Frankreich und spricht kein jiddisch, sondern von "Literatür". Er hat eine Fernsehsendung, er liebt paradoxe Steigerungen und beherrscht den Literaturbetrieb durch die Kunst des Verrisses. Also doch Reich-Ranicki? Er war nicht im Ghetto, er ist kein Jude - nach seinem Tode wird überlegt, ob er es vielleicht gewesen sein könnte - , er trägt einen gelben Pullover und fährt einen dicken Wagen. Also nicht Reich-Ranicki. Vor allem aber nicht Reich-Ranicki, weil Walsers Andre Ehrl-König viel besser ist als die doch eher komische Figur, die Reich-Ranicki heute macht...
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.06.2002

Jochen Hörisch ist zunächst entschlossen das Buch nicht als den Schlüsselroman zu lesen, der er ist, sondern nur als "Roman über den Literatur- und Medienbetrieb". Bleibt nicht viel übrig von dem Buch, und was übrig bleibt, gereicht seinem Autor nicht zum Ruhm. Was Walser an Medienkritik vorzubringen hat, findet Hörisch wenig originell, der Autor jongliert mit ihren "langweiligsten und ältesten Topoi", und dies zum Überfluss in einer stotternden Prosa voller missglückter Wendungen, "die einem reifen Schriftsteller nicht unterlaufen sollten". Schließlich kann Hörisch das Entschlüsseln doch nicht lassen. Walsers "Geifern" gegen den Kritiker Ehrl-König alias MRR aber strotzt seiner Ansicht nach nur so von "antisemitischen Ressentiments"; der antisemitische Grundton, so Hörisch, sei im Roman "fest verankert". Wirklich absurd erscheint Hörisch dabei der Umstand, dass die Walsersche Kritik an der literaturkritischen Praxis des MRR ins Schwarze trifft: "MRRs Kritiken sind antiintellektuell, sentimental, naiv inhaltlich gepolt", meint Hörisch. Dumm nur, dass Walser den "schlechten Kritiker MRR" gar nicht vorführt, "wohl aber einen hassenswerten Juden". So wird ein "peinliches affektgeladenes Machwerk" draus, und der Autor erscheint dem Rezensenten so wenig als bedeutender Schriftsteller "wie Möllemann ein bedeutender Politiker ist oder Reich- Ranicki ein bedeutender Literaturkritiker".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.06.2002

Ulrich Greiner bespricht in einer umfassenden Rezension die unkorrigierten Fahnen von Martin Walsers skandalträchtigem Roman "Tod eines Kritikers". Der Roman hatte bereits vor Erscheinen eine große Debatte ausgelöst, nachdem die FAZ den Vorabdruck öffentlich abgelehnt hatte mit der Begründung, er spiele mit antisemitischen Klischees. Der im Roman - vermeintlich - ermordete Kritiker ist dem FAZ-Kritiker Marcel Reich-Ranicki nachempfunden. Greiners Urteil lautet nun: der Roman ist "nicht antisemitisch", doch er wäre "besser nicht geschrieben worden". Seine Argumentation setzt sich aus sieben Punkten zusammen. Erstens: Im Unterschied zum tatsächlich verübten Massenmord des Holocausts gehe es hier um die üblichen Eitelkeiten des Literaturbetriebs - "also um nichts". Zweitens: Der Roman, "eine Mischung aus Satire, Pamphlet und Kolportage", sei stellenweise scharfsinnig, überwiegend aber abgeschmackt und rachsüchtig. Drittens: Die antisemitischen Sätze würden im Buch allesamt von verächtlichen Figuren hervorgebracht. Auch im Roman entzünde sich daran eine Antisemitismus-Debatte in den Medien. Der Roman, so Greiner, ist die Vorwegnahme genau der Debatte, die jetzt stattfindet. Viertens: Als Artefakt sei der Roman keineswegs antisemitisch, doch - und hier nimmt Greiner den Autor in die Verantwortung - ein Roman beziehe sich immer auf die Wirklichkeit, mehr noch, er erschaffe eine Wirklichkeit. Fünftens: Walsers naives Entsetzen über die Antisemitismus-Debatte findet Greiner unglaubwürdig. Er unterstellt Walser, dessen Bücher von Marcel Reich-Ranicki oft verrissen wurden, Rachsucht. Sechstens: Walsers Rechtfertigungsbedürfnis gegen die Vorwürfe nach seiner Paulskirchenrede ist hier in trotzige Meinungsfreude ausgeartet und ihm zum Verhängnis geworden. Siebtens stellt Greiner zwei Fragen: Warum hat Walser diesen Roman gerade der Zeitung angeboten, der Reich-Ranicki seit rund dreißig Jahren angehört? Und warum treibt Walser seinen eigenen Verlag, für den auch Reich-Ranicki schreibt, in einen solchen Konflikt? Greiners Fazit: "Die Beteiligten haben unter Missachtung der moralischen Hygiene und zwecks Mehrung ihrer medialen Macht, die sich darin ausdrückt, an der Spitze des Rumors zu stehen, das Antisemitismus-Spiel gespielt. Es ist ein schmutziges Spiel."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.06.2002

Nach den harten Vorwürfen Frank Schirrmachers in der FAZ, Martin Walsers neues Buch sei eine "Mordfantasie" über den ehemaligen FAZ-Literaturchef Marcel Reich-Ranicki und enthalte zudem zahlreiche "antisemitische Klischees" hat Joachim Kaiser die noch unkorrigierten Fahnen des Buchs mit "Angst" gelesen. Kaiser erklärt in seiner ausführlichen Kritik, warum das so ist: zum einen ist er ein "Duz-Freund" sowohl von Walser als auch von Marcel Reich-Ranicki, zum anderen fühlt er sich nach dem offenen Brief Schirrmachers und der dadurch ausgelösten Debatte "unaustilgbar konditioniert" zur Suche nach antisemitischen Untertönen. Bei der Lektüre stellt er dann erleichtert fest: es ist "alles ganz anders. Und dann fragt man sich im Hinblick auf die Riesenentrüstung: 'Ja, sind die denn alle verrückt?'" Antisemitische Äußerungen hat Kaiser jedenfalls keine gefunden. Höchstens "wilden, vielleicht sogar mordlustigen Hass" auf den Kritiker Reich-Ranicki, der Walser so oft niedergemacht hat. Das aber, so Kaiser ist kein Grund, das Buch nicht zu veröffentlichen. Und ein schlechtes Buch ist es für Kaiser auch nicht, im Gegenteil. Er hört in diesem "Literatur-Krimi" den "beschwingten, persönlichen, bildungsvergnügten, herzlichen Walser-Sound", der vor allem die frühen Romane des Autors auszeichnet. Walser rechne durchaus vergnüglich mit den Eitelkeiten des Literaturbetriebs ab. Seine Ansichten - vor allem über das Literarische Quartett - findet Kaiser in ihrer Härte übertrieben, auch gehen ihm manche Passagen zu sehr ins "Rauschhafte". Aber alles in allem scheint sich Kaiser mit diesem Roman, der nicht als "Weltliteratur" daherkomme, sondern eher in der Tradition eines Johannes Mario Simmel stehe, sehr gut unterhalten zu haben.
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