Miranda Fricker

Epistemische Ungerechtigkeit

Macht und die Ethik des Wissens
Cover: Epistemische Ungerechtigkeit
C.H. Beck Verlag, München 2023
ISBN 9783406798924
Gebunden, 278 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Antje Korsmeier. Dass Wissen und Macht einander beeinflussen und durchdringen, dass sie sich wechselseitig verstärken oder blockieren können, ist keine neue Einsicht. Umso erstaunlicher ist, dass die Philosophie sehr lange gebraucht hat, um die ethischen Konsequenzen für unser Erkenntnisleben genauer unter die Lupe zu nehmen, die sich insbesondere aus mächtigen Vorurteilen und Stereotypen ergeben. In ihrem Buch nimmt sich Miranda Fricker dieser Aufgabe an: Sie erschließt eine für Wissensgesellschaften hochaktuelle Form der Ungerechtigkeit, die sowohl die Menschlichkeit der Betroffenen als auch unsere geteilten Praktiken des Erkennens massiv bedroht.Der Begriff, den Miranda Fricker geprägt hat und der auf den Punkt bringt, was in unserem Erkenntnisleben schiefläuft, lautet "epistemische Ungerechtigkeit". Sie findet statt, wenn beispielsweise Frauen, migrantischen Gemeinschaften oder der Bevölkerung ganzer Kontinente die Fähigkeit abgesprochen wird, relevantes Wissen zu erlangen und verlässliche Wahrnehmungen mitzuteilen. Um ein Unrecht, das Personen in ihrer Eigenschaft als Wissenden geschieht, handelt es sich aber auch dann, wenn marginalisierte Gruppen gar nicht im Besitz der nötigen Deutungsmittel sind - wie z.B. der Begriffe der sexuellen Belästigung oder des Stalking -, um ihre besondere Erfahrung überhaupt einordnen zu können. Miranda Fricker enthüllt diese beiden Formen der epistemischen Ungerechtigkeit als mächtige, aber weitgehend stille Dimensionen der Diskriminierung. Dabei untersucht sie nicht nur die besondere Natur des jeweiligen Unrechts, sondern macht auch deutlich, welche Tugenden wir erlernen müssen, um es zu verhindern.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2023

2007 erstmals erschienen und bereits ein Klassiker ist Miranda Frickers erst jetzt auf Deutsch vorliegendes Buch, klärt uns Rezensent Wolfgang Hellmich auf. Die Wirklichkeit hat im Zuge von #MeToo die Thesen der Philosophin längst eingeholt, erkennt der Rezensent. Schließlich gehe es in dem Buch um zwei Formen systemischer Benachteiligung, nämlich um Zeugnisungerechtigkeit und hermeneutische Ungerechtigkeit. Erstere bezieht Fricker laut Hellmich auf Situationen, in denen Menschen aufgrund ihrer Stellung oder Herkunft nicht geglaubt wird, letztere tritt auf den Plan, wenn Gewalt gegen Benachteiligte im öffentlichen Diskurs verharmlost wird. In Bezug auf Zeugnisungerechtikgkeit merkt der Rezensent kritisch an, dass nicht klar wird, wie Stereotype konkret entstehen. Die Verbesserungsvorschläge in Richtung einer Hinführung auf mehr Achtsamkeit werden heute bereits teilweise umgesetzt, findet Hellmich, soweit dies staatliche Stellen betrifft sogar zu weitgehend. Grundsätzlich sympathisiert der Rezensent jedoch mit dem Anliegen des Buches, mehr Bewusstsein für kursierende Vorurteile zu schaffen. Er hätte sich nur gewünscht, dass Fricker diese Vorurteile konkretisiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.06.2023

Die Analyse der britischen Philosophin Miranda Fricker hat zwar ein wenig "Patina angesetzt", findet Rezensentin Marianna Lieder, sie kann aber durchaus nachvollziehen, warum dem Buch in der Wissenschaft so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Fricker verbindet hier eine ethische Kritik an der Diskriminierung von Minderheiten mit Elementen aus der Erkenntnistheorie. Diese Ideen vereint sie unter dem Begriff der "epistemischen Ungerechtigkeit", erläutert Fricker: Opfern von Sexismus oder Rassismus werden ihre intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten abgesprochen, eine Demütigung, die häufig "wirtschaftlichen und physischen Schaden" nach sich zieht. Ein wenig überholt ist Frickers Blick auf die Betroffenen, meint die Kritikerin, Handlungsfähigkeit sieht sie nur bei den Machthabenden, Potential zum Widerstand bei den Opfern erkennt sie nicht. Nichtsdestotrotz sieht Lieder diese Untersuchung der Effekte von "lebensweltlichen Machtverhältnissen auf das Denken" als richtungsweisend für viele spätere Theorien an.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.04.2023

Rezensent Lars Weisbrod nutzt das nun auch auf deutsch erscheinende Buch der Denkerin Miranda Fricker, um in die Geschichte der analytischen Philosophie einzuführen, der Fricker angehört und die lange Zeit als bloßer politischer Aktivismus degradiert wurde. Fricker versucht hier nun, so Weisbrod, mit ihrem Begriff der epistemischen Ungerechtigkeit ein Tool zur Analyse bereitzustellen, das so erklärt wird: Sie liegt dann vor, wenn aufgrund von gesellschaftlichen Machtstrukturen entschieden wird, wem Glauben geschenkt wird und wem nicht und nicht mehr auf Schlagkraft und Plausibilität der Argumente geachtet wird. Das legt Fricker ihm überzeugend dar, auch wenn er manchmal Schwierigkeiten hat, ihren doch recht theorieorientierten Gedankengängen zu folgen. Für ihn ist die Frage darum, wann und wie Wissen moralisch bewertet wird, zentraler Bestandteil aktueller Diskussionen, was ihm zufolge für durchschlagenden Erfolg des Buches sorgen könnte.