Ralf Rothmann

Die Nacht unterm Schnee

Roman
Cover: Die Nacht unterm Schnee
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518430859
Gebunden, 304 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Winter 1945: Verwundet liegt die sechzehnjährige Elisabeth, ein Landarbeiterkind, in einem Bunker unter der Erde und wird von einem russischen Deserteur gepflegt. Durch das Ofenloch hört sie Schritte im Schnee, und fiebernd stellt sie sich vor, dass dort oben nicht nur alle, die sie kennt und mag, ihre Eltern und Brüder, die Oma aus Danzig, sondern auch ihr künftiger Mann und die ungeborenen Kinder nach ihr suchen und sich über die Trümmer entfernen, ohne zu ahnen, dass sie darunter liegt. Und plötzlich denkt die Vergewaltigte, dass es gut so ist, dass sie nie mehr hinaufwill zu ihnen, zu allem, und für immer in dieser Nacht, diesem Frieden unter dem Schnee bleiben möchte. Aber sie muss ihr Leben zu Ende leben. In diesem Panorama der frühen Nachkriegsjahre zeichnet Ralf Rothmann das Porträt einer Frau, der stets die Angst im Weg steht, während ihr das Durchlittene jedes Gefühl dafür nimmt, welches Leid sie anderen zufügt; einer lebenslang hart arbeitenden Frau und Mutter, die von einem Rummel zum anderen tanzt, um nicht mehr zur Besinnung zu kommen, und vor der man sich doch verneigen muss: weil sich in ihrer Verzweiflung der Wille zur Liebe ausdrückt.Nach den vielfach übersetzten Romanen Im Frühling sterben (2015) und Der Gott jenes Sommers (2018) schließt der Autor mit Die Nacht unterm Schnee seine Trilogie über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit in Deutschland ab.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2022

Rainer Moritz verfolgt Ralf Rothmanns Kriegs- und Nachkriegsgeschichte weiter mit Spannung. Im neuen Band, den Moritz für eins von Rothmanns besten Büchern hält, erkundet der Autor Leben, Sehnsüchte und Versehrungen des norddeutschen Bauern Walter und vor allem seiner Frau Liesel in der Zeit von 1945 bis 1980. Die retrospektive Erzählung aus Sicht einer Jugendfreundin Liesels überzeugt Moritz mit feinen Milieuzeichnungen, Alltagsbeschreibungen und der nur schwer erträglichen Darstellung der folgenreichen Kriegserlebnisse der Hauptfigur. Über unsere Sehnsüchte und den Umgang mit ihnen schreibt kaum einer so eindringlich wie dieser Autor, findet Moritz.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.2022

Rezensent Sascha Feuchert bedauert schon, dass Ralf Rothmanns an die Geschichte seiner Familie angelehnte Kriegsende- und Nachkriegs-Trilogie mit diesem Band zu Ende ist. Wie Rothmann weiß laut Feuchert nämlich keiner, die Verheerungen des Krieges in den Seelen der Menschen und ihr Nachwirken in den Folgegenerationen darzustellen, so lebensprall und sprachlich überzeugend. Die Hauptfigur im neuen Band, der Mutter des Autors nachgebildet, findet Feuchert plausibel, auch wenn sie von einem männlichen Autor entworfen wurde. Den historischen Hintergrund erschafft Rothmann mit ebensolcher Überzeugungskraft, versichert der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 08.08.2022

Rezensentin Meike Feßmann begeistert sich für den dritten Teil von Ralf Rothmanns Trilogie über das Leben seiner Eltern in der deutschen Nachkriegszeit. Gelungen findet sie Rothmanns Versuch, die impulsive, teilweise gewalttätige Mutter zu verstehen, sich ihr Verhalten aus dem Erlebten zu erklären. Indem der Autor die Beklemmung der Erzählung immer wieder durch eine Mischung aus Konkretion und Imagination und die Zartheit seiner Beschreibungen löst, wird die Lektüre für Feßmann erträglich. Dass der Autor dabei nicht zum Verharmlosen neigt, gehört für die Rezensentin zu den Wundern dieser Lektüre. Ebenso, dass die Mutter vor dem Hintergrund des Krieges schließlich selbst als leidgeprüfter Mensch dasteht. Ein Mutter-Buch mit starker Epochen-Signatur, so Feßmann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.07.2022

Rezensentin Judith von Sternburg bewundert einmal mehr Ralf Rothmanns Gabe, so zu erzählen, dass sich beim Leser nach der Lektüre das Gefühl einstellt, er hätte Einzelheiten selbst erlebt. So auch im neuen Roman, gedacht als Abschluss einer Trilogie zum Zweiten Weltkrieg, aber auch problemlos ohne Kenntnis der Vorgänger lesbar, versichert die Kritikerin. Sie begegnet hier erneut Elisabeth und Walther, angelehnt an Rothmanns Eltern, und Wolf und Luisa, die dem Autor und seiner Frau nachempfunden sind, klärt Sternburg auf. Im Zentrum steht Elisabeth, wir erfahren von ihr aus der Perspektive Luisas - ein "kluger Schachzug", die Geschichte von einer nicht direkt involvierten, sondern der Familie nur nahestehenden Person erzählen zu lassen, meint die Rezensentin. So liest sie hier von der harten Arbeit des Melkerpaars, von den Ausschweifungen Elisabeths, aber auch von ihrem Suizidversuch und der Vergewaltigung während des Kriegs, stets reflektiert von der eine Generation jüngeren Luisa, resümiert die Rezensentin, die das Buch nicht zuletzt als Dokument unterschiedlicher Frauenbiografien in den sechziger Jahren empfiehlt. Vor allem aber ist es ein so spannender wie "bedrückender" Roman voller präziser und "brillanter" Szenen, schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.07.2022

Für den Rezensenten Hilmar Klute setzt Ralf Rothmann seine Ruhrgebiets-Trilogie mit diesem Roman auf überzeugende Weise fort. Auch sein Thema der "Leidvererbung" behandelt der Autor laut Klute wiederum eindringlich (vielleicht noch bewegender als in den Vorgängerromanen, so Klute) anhand der Figur der Bäuerin Elisabeth, die den Angriff der Roten Armee zwar überlebt, aber in der Folge suizidal wird und ihre Kinder schlägt. Bestechend ist für Klute auch, wie der Autor seine Idee von der erlösenden Kraft der Sprache und Literatur in den Text einarbeitet, inhaltlich wie formal, etwa indem er das Melken mit dem Flötenspiel vergleicht. Dass Rothmann dabei auch mal danebengreift und Manierismen produziert, findet der Rezensent verzeihlich angesichts dieses "wagemutigen poetischen" geschichtliche Wahrheiten um- und einkreisenden Erzählens.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.07.2022

Rezensent Carsten Otte möchte Ralf Rothmann in Schutz nehmen gegen seine Kritiker, die ihm Gefühlskitsch vorwerfen. Dass sich der Autor mit seiner familienbiografischen Trilogie ästhetisch eher an US-Unterhaltungsliteratur orientiert denn an Grass und Co. kann Otte nicht schlecht finden. Schließlich geht es auch um Emotionen und wie sie durch die Generationen weitergereicht werden, etwa als Unfähigkeit, aus den eigenen Gewalterfahrungen zu lernen. Rothmanns neuen Roman empfiehlt Otte, besser nicht ohne Kenntnis der Vorgängertexte zu lesen, um der Entwicklung der Figuren vom Krieg bis in die sehnsuchtsvolle Nachkriegszeit gut folgen zu können. Für Otte ein vielschichtiger Text, autobiografisch, gesellschaftspolitisch und literarisch.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.07.2022

Es ist kaum möglich, Adam Soboczynskis Begeisterung für Ralf Rothmanns Werk im Allgemeinen und diesen Roman im Besonderen in wenigen Worten wiederzugeben. Den Autor hält er für einen "einsamen Meister der Gegenwartsliteratur", den nun vorliegenden Roman - den letzten Teil einer Trilogie über die deutsche Nachkriegszeit - für nicht weniger als ein "Ereignis". Warum? Weil es Rothmann gelinge das Grauen deutscher Kriegsverbrechen in so exakte wie elegante Worte zu fassen, die Leser dabei "moralisch und stilistisch" herauszufordern, etwa wenn er die zarte Verletzlichkeit auch der Täter schildert. Der Kritiker begegnet in dem Roman, der sich auch ohne Kenntnis der beiden Vorgänger lesen lässt, noch einmal Elisabeth und Walter - Rothmann macht keinen Hehl daraus, dass die beiden seinen Eltern nachempfunden sind, klärt Soboczynski auf. Erzählt wird die Vorgeschichte Elisabeths, die aus dem Osten floh und Opfer einer derart brutalen Vergewaltigung wird, dass dem Rezensenten der Atem stockt. Nicht zuletzt aufgrund des Wagemuts von Rothmann, der jene Szene so gnadenlos, detailreich "übersachlich und kalt" schildert, dass sich der Kritiker fragt: Wie konnte Elisabeth überhaupt weiterleben. Sie überlebt, stürzt sich in Sucht und Tanz, schlägt die Kinder und lebt mit Walter eine so "entsetzlich" wie "schöne" Liebesgeschichte, resümiert Soboczynski. Nicht zuletzt liest er den Roman auch als eine Vorgeschichte der Deutschen.