Sven Regener

Neue Vahr Süd

Roman
Cover: Neue Vahr Süd
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783821807430
Gebunden, 581 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Wir befinden uns im Jahre 1980 in der Neuen Vahr Süd, einem ganz und gar nicht pittoresken Neubauviertel im Osten von Bremen. Für Frank Lehmann, der gerade seine Lehre beendet hat, noch immer bei seinen Eltern wohnt und irgendwie vergessen hat, den Wehrdienst zu verweigern, wird es ein hartes halbes Jahr. Zwar gelingt ihm nach einem Streit der Auszug aus dem Elternhaus in eine chaotische Wohngemeinschaft, aber ein neues Zuhause hat er damit noch lange nicht gefunden, und die Neue Vahr Süd holt ihn immer wieder ein. Und während Frank - noch immer rätselnd, wie es so weit kommen konnte - in der Kaserne strammstehen, Hemden auf Din A4 falten und durchs Gelände robben muss, streiten seine Freunde für ihre Version der proletarischen Weltrevolution, gegen Militär und Aufrüstung und um die energische Sibille, ohne diese allerdings vorher nach ihrer Meinung gefragt zu haben. Hin- und hergerissen zwischen Auflehnung und Resignation kämpft Frank Lehmann hart am Abgrund und mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln für eine eigene, würdige Existenz zwischen zwei widersprüchlichen Welten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2004

Susanne Ostwald mochte schon Sven Regeners erstes Lehmann-Buch und freut sich nun über den "zum Glück doppelt so dicken" Nachfolger, der ja eigentlich ein Vorläufer ist. Regener erzählt, wie Frank "Frankie" Lehmann Anfang der achtziger Jahre zwischen Bundeswehr und ideologietrunkenen Freunden zu überleben versucht. Wie schon im ersten Roman, frohlockt die Ostwald, sind Regener "hinreißende Milieubilder" gelungen, mit gewohnt "ins Absurde kippenden Dialogen". Die Zwiegespräche Lehmanns mit sich selbst und der "detailgenau" beobachteten Außenwelt sind dabei nicht bloßer Selbstzweck, die "liebevoll gedrechselten" Szenen vermitteln dem Leser vielmehr einen vielseitigen Einblick in eine Zeit, als die Ideologien der sechziger Jahre gegen einen neuen Pragmatismus eingetauscht wurden, so Ostwald. Mit Hilfe seines "trockenen Sprachwitzes" und der Meisterschaft in der "Kunst der intelligenten Unterhaltung" schafft es der Autor so, die unterschiedlichsten "Splitter der Zeit" zu einem "spektralen Gesellschaftsbild" zusammenzufügen, schreibt die begeisterte die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.09.2004

Einen "veritablen Ziegelstein" hat Sven Regener nachgelegt, und der Eindruck von Kristina Maidt-Zinke ist zwiespältig. Zunächst mal: Die Jugend- und Selbstfindungsgeschichte von Frank Lehmann, der im Bremer Stadtteil Neue Vahr Süd ("Synonym für geschichts- und ereignislose kleinbürgerliche Ödnis") heranwächst, aus Trägheit beim Bund landet und später in eine linke WG wechselt, ist viel weniger komisch als die Kreuzberger Slackergeschichte des erwachsenen Herr Lehmann. "Es ist nämlich so", schreibt Maidt-Zinke, "als hätte Regener, um Frankies Frühphase mit größtmöglicher Authentizität wiederzugeben, sich auch erzähltechnisch auf eine Vor- und Schwundstufe zurückversetzt, auf ein Niveau, das von der schlitzohrigen Schlaffheit und träumerischen Trinker- Sophistik des Herrn Lehmann noch meilenweit entfernt ist." Die Erzählung ist also nicht klüger als ihr Protagonist und muss sich seinem Lebenstempo anpassen. Lehmann lernt langsam, "seinem Dasein eine Form zu geben" - doch wie langsam! "Quälend langweilig" sei es zuweilen, wenn Kapitel für Kapitel die Szenerien und Szenen, von denen sich der junge Herr Lehmann am Ende emanzipiert, "bis ins redundanteste Detail protokolliert" werden. Und doch hat die Rezensentin darin eine neue Qualität gefunden; in den besten Passagen erziele diese Dokumentation von Milieus eine "beklemmende Eindringlichkeit", wobei nichts - das an alle Fans - ins Komische überführt wird. Könnte es also sein, dass Regeners Qualitäten ganz woanders liegen als angenommen? Dieser Roman kann es höchstens andeuten.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.09.2004

Der zweite Roman von Sven Regener wird ein "Renner", prognostiziert Rezensent Michael Kohtes. Der Autor erzählt darin den Ausbruch seines Titelhelden Lehmann aus dem kleinbürgerlichen Bremer "Herkunftskäfig" und die Mühsal des Erwachsenwerdens, wie Kohtes meint, "für jedermann verständlich und vergnüglich". Die Stärke Regeners liege dabei vor allem in seinen "knappen, witzgeladenen" Dialogen, die ihm "prima" gelingen und mit denen er zwar teilweise "hart" am Klischee "vorbeischrammt", aber seine Figuren dafür authentisch zum Sprechen bringt. Allerdings sei die Antriebsschwäche des Protagonisten nicht nur Teil der Handlung, sondern schlage sich mitunter auf deren Tempo nieder. Ein wenig mehr "Beschreibungskunst" und weniger "Oberflächenrealismus" hätten dem Buch besser "angestanden", findet der Rezensent. Etwas "Handfestes" ist seiner Meinung nach mit Regeners Roman nicht entstanden, aber durchaus ein bekömmliches, mit absurder Komik "gewürztes Lesefutter".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.09.2004

Ursula März verknüpft ihre Rezension mit einem Porträt Sven Regeners, der schließlich nicht nur Schriftsteller ist, sondern auch Sänger und Texter der Band "Element of Crime". Rezensentin März ist von Regener schon angetan ("kein Mann, der sich im zweiten Gang ausruht"), von seinem Roman aber ist sie ganz und gar verzückt. Einen "bedeutsamen Zeitroman" habe Regener vorgelegt. Und "gelacht wie wahnsinnig" habe sie auch bei der Lektüre. Denn in Sachen "gewaltiger Komik" könne der Roman durchaus mit dem Vorgänger "Herr Lehmann" mithalten, und was "Erkenntnisreichtum", "sittenmalerische Fülle" und "historische Komplexität" angeht, sei der Vorgänger gar um "einiges" übertroffen. Regener erzählt die Vorgeschichte seines Protagonisten Frank Lehmann, zehn Jahre vor der Handlung des ersten Romans. Lehmann hat gerade in Bremen seine Ausbildung beendet und wird nun zur Bundeswehr eingezogen; parallel dazu nimmt er ein Zimmer in einer "vermüllten Männer-WG", in der drei K-Gruppen-Mitglieder wohnen, und pendelt nun zwischen "Kaserne" und "Genossen". Darin sieht Rezensentin März die beiden "Repräsentanzpole der Bundesrepublik" skizziert und bejubelt die "literarische Goldgrube", die Regener aus der "Fusion dieser Gegenwelten" gezaubert habe und in einem "großartigen Finale" kulminieren lasse. Ferner empfindet März die Figur des Herrn Lehmann auch als überzeugende "Verkörperung des geschichtlichen Widersinns". Und sie bewundert die "Eleganz der Unauffälligkeit" mit der Regener eine tiefe, "satirisch nachgetönte Archäologie der Bundesrepublik" in "populäre Formen" und Pointen zu kleiden verstehe.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.09.2004

Gerrit Bartels hat anlässlich des Erscheinens des zweiten "Lehmann-Romans" von Sven Regener mit dem Autor in einem Berliner Cafe geplaudert. Der Rezensent hält es für vorprogrammiert, dass auch dieses Buch, das die frühen 80er Jahre des Protagonisten in Bremer WGs und bei der Bundeswehr schildert, ein Kassenschlager wird, waren doch der erste Teil dieser Trilogie und dessen Verfilmung außerordentlich erfolgreich. Bartels charakterisiert die Hauptfigur als "sympathischen Danebensteher und romantischen Verlierertypen", der sich sowohl in seiner "K-Gruppe" wie auch bei der Bundeswehr gleichermaßen fehl am Platz fühlt. Als sehr "gekonnt" lobt der Rezensent die Schilderung des "alltäglich-sinnlosen" Bundeswehr-Lebens und auch die linksalternative Studentenszene Bremens findet er außerordentlich treffend beleuchtet. Dabei wisse man manchmal gar nicht, ob man einen Roman oder ein "heiter-politisches Kabarettprogramm" vor sich haben, so der Rezensent amüsiert, der dies nicht zum Nachteil des Buches ausgelegt sehen will. Er lobt die witzigen "Redundanzen" und den kunstvollen Einsatz lebensnaher Dialoge als "brillant" und sieht den Roman in angenehmem Gegensatz zu Gerhard Seyfrieds ernsthaft "um Dokumentation bemühten" "Der schwarze Stern der Tupamaros" oder Sophie Dannenbergs "verbiestert-peinlichen" Roman "Das bleiche Herz der Revolution". Hier werden "Lacher am Fließband" erzeugt und viel "heiterer Unsinn" entfaltet, freut sich Bartels, der dennoch in dem Buch ein erhellendes Abbild der "hedonistisch-popistischen Achtzigerjahre" sieht.
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