Taner Akcam

Armenien und der Völkermord

Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung. Neuausgabe
Cover: Armenien und der Völkermord
Hamburger Edition, Hamburg 2004
ISBN 9783930908998
Kartoniert, 430 Seiten, 16,00 EUR

Klappentext

In den Jahren 1919 bis 1921 wurde vor dem Kriegsgericht in Istanbul eine Reihe von Prozessen gegen führende türkische Politiker angestrengt, mit dem Ziel, den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs zu untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Diese Prozesse kamen durch Druck der alliierten Mächte zustande, die damit einen ersten Schritt unternahmen, Menschenrechtsprinzipien mit Hilfe einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zur Geltung zu verhelfen.
Der türkische Wissenschaftler Taner Akcam stellt diesen kaum bekannten Vorläufer der Nürnberger Prozesse in den Zusammenhang des Niedergangs des Osmanischen Reiches und des Aufstiegs der jungtürkischen Bewegung mit ihrem Bestreben, einen homogenen türkischen Nationalstaat zu gründen. Er analysiert zugleich die spezifischen historischen und politisch-ideologischen Hintergründe, die zum Genozid an den Armeniern führten, und zeigt, wie die Westmächte, ungeachtet ihres juristischen Engagements, die Aufteilung des Osmanischen Reiches betrieben. Damit riefen sie den Widerstand der türkischen Nationalbewegung gegen die "Siegerjustiz", die "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" und die "Verletzung der staatlichen Souveränität" hervor. Der Band enthält darüber hinaus zum ersten Mal in deutscher Sprache eine kommentierte Auswahl aus den Verhandlungsprotokollen und Urteilsbegründungen der Istanbuler Prozesse.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.07.2005

Noch immer ist der Völkermord an den Armeniern 1915/16 in der Türkei ein Tabu, für um so wichtiger erachtet Rezensent Hans-Lukas Kieser die Arbeiten Taner Akcams, der die innertürkische Perspektive auf das Geschehen kritisch hinterfragt. Er teilt Akcams Ansicht, dass die Türkei in Sachen Menschenrechte und Demokratie ohne eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels jungtürkischer Geschichte im Blick auf Menschenrechte und Demokratie defizitär bleiben. In seinem Buch "Armenien und der Völkermord" liefere Akcam eine Darstellung des Völkermordes und seiner Vorgeschichte, eine Recherche der internationalen und liberalen osmanischen Anstrengungen, den Verantwortlichen 1918-1920 den Prozess zu machen, sowie eine Auswahl von Übersetzungen der Prozessprotokolle. Mit der Neuauflage von Akcams 1996 erstmals veröffentlichter, "weiterhin aktueller" Doktorarbeit ist Kieser allerdings nicht zufrieden. Er findet es bedauerlich, dass bei dieser Ausgabe die Gelegenheit versäumt wurde, einen Namensindex beizufügen und Errata zu korrigieren. Dass ein Hinweis auf die Erstauflage fehlt, erscheint ihm "inakzeptabel". Er hebt hervor, dass Akcam im Gegensatz zum akademischen Establishment die Zeichen der Zeit und die Herausforderungen der Gesellschaft früh erkannt hat. "Daher", resümiert der Rezensent, "hat er intellektuell etwas zu sagen und wird - so ist für die Türkei zu hoffen - bald eine Lehrposition in seinem eigenen Land erhalten."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.04.2005

Noch heute leugnet die Türkei weitgehend den Genozid an 800.000 Armeniern zwischen 1915 und 1917, der von der jungtürkischen Regierung des osmanischen Reiches ausging. Dankenswert findet Rezensent Eberhard Seidel im Blick darauf die Neuauflage von Taner Akcams "Standardwerk" zu diesem Thema, das die türkische Haltung zum Völkermord anhand türkischer Quellen analysiert. Akcam räumt dabei den Protokollen der Kriegsgerichtsprozesse, die in Istanbul zwischen 1919 und 1921 gegen die Verantwortlichen des Genozids stattgefunden haben, einen besonderen Stellenwert ein, notiert der Rezensent. Für den Autoren sind sie "fehlgeschlagene Vorläufer der Nürnberger Prozesse". Akcams Buch versteht Seidel auch als einen Aufruf an die armenische und vor allem an die türkische Seite, "endlich die Dokumente zur Kenntnis zu nehmen." Akcams eigener Ansatz, der in der Türkei seit Jahren zustimmend debattiert werde, sei dabei ein "hoffnungsvoller Beginn."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.04.2005

In einer Sammelbesprechung behandelt Jörg Später drei Bücher zum Völkermord an den Armeniern, die ihn alle nicht zufrieden gestellt haben, wie er in meist knappen Bemerkungen zu Protokoll gibt. Taner Akcams Buch "Armenien und der Völkermord" ist zum ersten Mal vor zehn Jahren erschienen und war als rechtliche "Ahndung eines staatlichen Verbrechens" angelegt, wie Später informiert. So haben vor allem Akten aus den Prozessen vor dem Istanbuler Kriegsgericht aus den Jahren 1919 bis 1921 Eingang gefunden haben. Zum Bedauern des Rezensenten ist Akcams Buch ohne jegliche Überarbeitung wieder augelegt worden, neue Forschungsergebnisse sind ebenso wenig mit einbezogen wie die jüngeren politischen Entwicklungen.
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