Thomas Lehr

September

Fata Morgana
Cover: September
Carl Hanser Verlag, München 2010
ISBN 9783446235571
Gebunden, 477 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Zwei Väter und zwei Töchter, zwei parallele Lebensgeschichten in den USA und im Irak. Ihre Schauplätze sind weit entfernt, und doch verbinden sie zwei politische Ereignisse: Sabrina stirbt am 11. September 2001 im New Yorker World Trade Center, während Muna 2004 in Bagdad bei einem Bombenattentat ums Leben kommt. "September" erzählt vom Islam, von Öl, Terror und Krieg und von zwei Frauen, die stellvertretend für die Opfer dieses Konflikts stehen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2010

In seiner schwer begeisterten Kritik zieht Jörg Magenau gegen die von ihm als schlichtweg dumm angesehene Kategorie der "Welthaltigkeit" zu Felde, die die Literaturkritik so an Thomas Lehrs Roman "September" gepriesen hat. Denn in dem Roman, der "über Kreuz" den Germanisten Manfred, seine später bei den Anschlägen des 11. September ums Leben kommende Tochter Sabrina, den irakischen Arzt Tarik und dessen Tochter Muna erzählen lässt, gelinge es dem Autor, "Politik in Poesie" zu transformieren, wie der Rezensent schwärmt. Er räumt ein, dass der interpunktionslose Text, in dem sich Gedichte und Prosa abwechseln, nicht ohne Mühe zu lesen ist. Dafür überzeugen ihn aber der musikalische Fluss und die "poetische Kraft" der Sprache, mit der Lehr weit über "puren Dokumentarismus" hinausgeht, den das Attribut "Welthaltigkeit" suggeriert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2010

Beatrix Langner stellt höchst beeindruckt Thomas Lehrs Roman September. Fata Morgana" vor, wobei es ihr wichtig ist zu betonen, dass er sich konsequent der Logik der Kriegssprache widersetzt und deshalb auch nicht als "Antikriegsroman" verstanden werden darf. Interpunktionslos und in an antike Heldensagen erinnernden rhythmischen Zeilen lässt der Berliner Autor abwechselnd die Irakerin Muna und die Deutsch-Amerikanerin Sabrina sowie ihre beiden Väter zu Wort kommen. Sein Buch spielt in der Zeit vom Anschlag des 11. September bis drei Jahre danach mitten im Irakkrieg, erklärt die Rezensentin. Sie zeigt sich fasziniert von dieser "vierstimmigen Sonate" und preist die literarische Kühnheit sowie die "politische Klugheit", die Lehr hier an den Tag legt. Für sie stellt der Roman ein bewegendes "Requiem" auf die kriegerische Vernichtung eines "europäisch-arabischen Kulturraums" und zugleich einen höchst erhellenden Essay über die Golfkriege dar.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2010

Ehrgeizig und überzeugend erscheint Rezensentin Felicitas von Lovenberg der neue Roman von Thomas Lehr, den sie im Aufmacher der Literaturbeilage zusammen mit dem Debütroman von Mariam Kühsel-Hussaini bespricht. Den Vergleich mit west-östlichen Vorläufern hält das Buch ihrer Meinung nach durchaus stand. Lehrs in Prosa gehaltenes Langgedicht über den 11. September, über zwei Männer, einen deutschen Literaturwissenschaftler in den USA, der Frau und Tochter bei den Anschlägen verliert, und einen Iraker, dessen Tochter in Bagdad stirbt, gefällt ihr aber auch, weil der Autor neben der Chance zur Annäherung zwischen Orient und Okzident und bei allen Gemeinsamkeiten von Menschen und Schicksalen hier wie dort auch die Unterschiede nicht übersieht. Lehrs Verweise auf Goethe und Hafis und seine eigene sprachliche Wucht überzeugen die Rezensentin auf ganzer Linie.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.09.2010

Mit Atemschwierigkeiten und vor allem einem Kunstkrampf hatte Rezensent Jens Jessen bei der Lektüre dieses Romans zu kämpfen. Und das vollkommen unnötigerweise, wie er bedauernd feststellt. Denn objektiv gesehen handelt es sich hier um eine raffiniert verschränkte Geschichte zweier Familien, die im September 2001 eine Tochter verlieren. Eine junge Amerikanerin verbrennt in den explodierenden Twin-Towers, eine junge Irakerin bei einem darauf folgenden Vergeltungsschlag. Doch leider vertraut Thomas Lehr weder seiner raffinierten Konstruktion, noch der Schönheit der Sprache oder ihrer Subtilität, so Jessen. Offenbar habe er Angst gehabt, man könne seinen Roman als Thriller lesen und deshalb beschlossen, auf jede Interpunktion zu verzichten, um - dies Jessens Interpretation - dem Roman den Stempel "Kunst" aufzudrücken.  Was bleibt ohne diesen "Kunstnachweis"? Ein "mittelprächtiger" Roman, der "schön" erzählt ist, aber streckenweise auch Kitsch und Klischees aufweist, so der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.09.2010

Sehr beeindruckt zeigt sich Rezensentin Judith von Sternbug von diesem Roman Thomas Lehrs, der sich darin dem 11. September, dem Irakkrieg und seinen Folgen verschreibt, und zwar laut Sternburg in einer ebenso einfachen wie schlagenden Konstruktion: Vier Personen lässt er zu Wort kommen, den in den USA lehrenden deutschen Goethe-Spezialisten Martin, seine Tochter, die bei den Anschlägen vom 11. September ums Leben kommt, den irakischen Arzt Tarik und dessen Tochter Muna, die 2004 bei einem Selbstmordanschlag stirbt. Diese Figuren sind keine Konstrukte, sondern lebendige reflektierte Menschen, versichert die Rezensentin, die hier ein stetiges "nach innen und außen gewendetes Überlegen und Sprechen" erlebt hat, in dem sie vor allem ein Engagement für den Respekt vor dem Menschen entnommen hat. Angesichts Lehrs Interpunktion und - äh - Verzicht auf alle Gefälligkeit warnt sie vor: "Der Leser muss auf Draht sein."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.08.2010

Thomas Lehrs Roman erzählt eine komplexe Geschichte, so Rezensent Helmut Böttiger, die um einen Vater und seine Tochter in den USA und um einen Vater und seine Tochter im Irak kreist. Beide Väter sind Akademiker: Germanistikprofessor der Amerikaner, Arzt der Iraker. Thematisiert werden der 11. September, moderne amerikanische Patchwork-Familien, das Leben unter Saddam Hussein und die damit einhergehende Erfahrung von Desillusionierung und Gewalt. Außerdem: Reflexionen über Goethe, über Gedichte von Whitman und Hafis, über Rückerts "Kindertotenlieder". Und das alles in einem Roman ohne Satzzeichen! Man muss sich darauf einlassen, schreibt Böttiger, der sich offensichtlich dafür voll belohnt fühlt. Denn Lehr gelingt es, "eine Art Epochengefühl" zu beschreiben und Verbindungen zwischen Welten aufzuzeigen, die man sonst getrennt betrachtet. Ein "erstaunlicher" Roman, so der sichtlich beeindruckte Rezensent.
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