Sarah Kirsch, Christa Wolf

"Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt"

Der Briefwechsel
Cover: "Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518428863
Gebunden, 456 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Sabine Wolf unter Mitarbeit von Heiner Wolf. "Liebe liebe Christa schön daß Du noch hier geblieben bist auf dem beknackten Planeten!", schreibt Sarah Kirsch im Herbst 1988 an ihre Freundin, die eben eine lebensgefährliche Krankheit überwunden hat. Ein Jahrzehnt zuvor konstatiert Christa Wolf nach einem Treffen in West-Berlin, kurz nach Kirschs Ausreise aus der DDR: "Ich bin froh, daß ich bei Dir war und jetzt ganz ruhig an Dich denken kann."
Zwei Autorinnen von internationalem Rang sind hier fast drei Jahrzehnte lang, von 1962 bis 1990, miteinander im Austausch: über das Schreiben, den Literaturbetrieb im Osten wie im Westen, über die Männer, die Kinder, die Arbeit im Garten und die politischen Systeme, in denen sie leben. Letztere sind es wohl, die diese Freundschaft an ein Ende bringen, nach vielen Jahren des vertrauensvollen Miteinanders. Streng und verspielt, heiter und verzweifelt, schnoddrig und ehrlich - Sarah Kirsch und Christa Wolf beim Schreiben und Leben über die Schulter zu schauen ist ein Geschenk.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 13.01.2020

Carola Wiemers entdeckt in dem Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Sarah Kirsch Unverstelltes und Vertrauensvolles, Selbstbetrachtung und Sinnsuche ohne Literarisierung. Zeitdokumente sind die laut Wiemers sorgfältig wie sachkundig edierten Briefe nur insoweit, als das Wissen des Lesers um die Epoche die Lektüre ergänzt, erklärt die Rezensentin. Zu Unrecht, findet Wiemers, verschweigt der Titel Gerhard Wolf, der laut Rezensentin maßgeblich die Korrespondenz mitprägt. Konflikte mit der Kulturpolitik der SED werden laut Wiemers ebenso verhandelt wie Ängste und Alltag. Über die Entstehung von Texten gibt Wiemers der Briefwechsel hingegen kaum Auskunft.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 07.12.2019

Rezensent Richard Kämmerlings liest den "vorbildlich" edierten Briefwechsel zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf mit Freude. Von den innigen Briefen der Frühzeit (1962), die mit dem Wahn des realsozialistischen Kulturbetriebs aber ein "heikles Sujet" verhandeln, über die viel Privates enthaltenen Kirsch-Briefe der späten 60er bis zur Intensivierung der Freundschaft Anfang der 70er und schließlich zum Bruch um 1989, als über Stasi-Spitzeleien und Kirschs "Auswanderung" Dissens zwischen den beiden Frauen herrscht, reicht die Korrespondenz laut Kämmerlings und demonstriert seiner Meinung nach, wie das Politische zur "Sollbruchstelle" einer Freundschaft wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 30.11.2019

Laut Rezensentin Anja Maier legt der Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Sarah Kirsch Zeugnis darüber ab, wie die beiden Schriftstellerinnen sich auseinanderlebten. Über dreißig Jahre Freundschaft hinweg schrieben sich die Autorinnen, anfangs sehr regelmäßig, später sporadischer, bis zu einem letzten traurigen Brief im Jahr 1992, erklärt Maier. Die Dokumente zeigen ihr zufolge, dass die Schriftstellerinnen seit Kirschs Umzug in den Westen weltanschaulich immer weiter auseinandertrieben, bis die fehlende Reaktion Kirschs auf die Anfeindungen gegen Wolf nach dem Mauerfall die Kommunikation endgültig ersterben ließ. Die Rezensentin fand die Lektüre sehr bewegend und es hat sie erschüttert, wie deutlich die Einschränkungen der Künstlerinnen durch die Zensur in der DDR hervortreten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.11.2019

Rezensent Helmut Böttiger ist beeindruckt und angeregt von diesem "spannenden" Briefwechsel der beiden Autorinnen, der über das alltäglich-politische hinausgeht, wie er schreibt. Sarah Kirsch erscheint ihm hier als die Flottere gewissermaßen, die Lebhaftere, Spontanere.  Christa Wolf dagegen als nachdenklicher. Beide sind vom Typus her also völlig unterschiedlich, verstehen sich aber dennoch blenden. Über Jahrzehnte schreiben sie sich: es geht wenig um Literatur, so Böttiger, mehr um Alltägliches wie Liebhaber oder die Gartenarbeit. In diesem Alltäglichen offenbart sich ihm aber immer wieder eine "abgründige" Ironie, die auf politische verweise. Der Bruch erfolgte nach 1989, als Wolf die DDR nicht loslassen konnte, wofür die schon vor Jahren in den Westen emigrierte Kirsch überhaupt kein Verständnis hatte. Da wird für Böttiger etwas "Grundsätzliches" erkennbar, das ihn auch nach der Lektüre noch fesselt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11.2019

Andreas Platthaus empfiehlt die Korrespondenz zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf, an der laut Rezensent auch der nicht im Titel genannte Gerhard Wolf maßgeblich mitgewirkt hat, aufgrund der Zeitzeugenschaft der beiden Autorinnen und auch wegen der "vorbildlichen" Edition. Zeitliche Lücken zwischen 1976 und1977 überspringend, gelangt der Rezensent lesend zum Jahr 1987 und fortfolgend und stellt gerührt fest, wie fürsorglich sich Kirsch um die erkrankte Wolf bemüht und wie temperamentvoll sie dann die Freundin antreibt, den Sommer 1975 literarisch festzuhalten. Das allein ist schon die Lektüre wert, findet er. Darüber hinaus erkennt Platthaus anhand des Briefwechsels exemplarisch, dass sowohl die deutsche Teilung als auch die Wiedervereinigung Menschen einander entfremden konnte.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.11.2019

Rezensentin Iris Radisch verfolgt mit diesem Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Sarah Kirsch gebannt, wie zwei absolut unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander prallen. Zuerst trennt die beiden DDR-Schriftstellerinnen vor allem das Temperament, wie Radisch nachverfolgt: Während sich Kirsch immer wieder neu und leidenschaftlich verliebte ("Es ist eine Schande, wie ich den K. liebe, da könnte ich Bomben werfen."), riet die gestrenge Wolf zu Mäßigung und Vernunft. Doch die politische Kluft wird mit Kirschs Ausreise in den Westen größer, erzählt Radisch ziemlich flott nach: Kirsch zieht sich in Schleswig-Holstein in ein Landleben zurück, das der männlich dominierten Großstadt eine subversive Utopie entgegensetzen will, Wolf bleibt auf Linie. 1990 bricht die Freundschaft auseinander, Kirsch kann nicht mehr ertragen, wie sich Wolf in ihren Hoffnungen auf eine reformierte DDR einmauert: "Hoffentlich kannst Politik auch mal wieder dahin rücken, wo sie hingehört...".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.11.2019

Rezensent Martin Oehlen beobachtet, wie die Freundschaft zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf mit der deutschen Wende zuende ging. Der Briefwechsel zwischen den beiden Schriftstellerinnen scheint Oehlen gleich dreifach spannend, literarisch, politisch, persönlich, geht es in den Anfang der 1960er einsetzenden Briefen laut Rezensent doch auch um Fragen der Produktion und Veröffentlichung. Dass Wolf eher verhalten und kontrolliert agiert, Kirsch mitunter offenherzig, stellt Oehlen fest, ebenso das Eindringen des mannigfach beschränkten DDR-Alltags in die Texte. Nachwort und Anmerkungen der Herausgeberin Sabine Wolf unterstützen den Rezensenten bei der Lektüre.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.11.2019

Rezensent Helmut Böttiger staunt, dass der Briefwechsel zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf 30 Jahre nach dem Mauerfall noch Neues zum Thema Ost und West offenbart. In diesem Fall bietet ihm die Innensicht zweier Schriftstellerinnen Einblick in DDR-Erfahrungen und das Seelenleben der beiden. Politisch und persönlich werden für Böttiger Unterschiede offenbar, auch wenn ein entscheidendes Ereignis, Kirschs Ausreise aus der DDR 1977, in den Briefen kaum vorkommt. Entfremdung, Vertrautheit und neuen Meinungsverschiedenheiten, wenn es um die Wende geht, wohnt Böttiger bei, der tief beeindruckt scheint, nicht zuletzt, da die Korrespondenz seiner Meinung nach auf Allgemeines verweist.