Szczepan Twardoch

Demut

Roman
Cover: Demut
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783737101219
Gebunden, 464 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Eben noch kämpfte Alois Pokora im Weltkrieg. Dann erwacht er im Krankenhaus in Berlin - und die Welt ist eine andere: das Jahr 1918, der Kaiser geflohen, die alte Ordnung zerbricht. Der Bergmannssohn Alois, der Erste in der Familie mit Schulbildung, sehnt sich nach seiner Liebe Agnes - lässt sich aber bald von der soghaften neuen Freiheit erfassen, geistig, revolutionär, auch erotisch. Er gerät in die Berliner Halbwelt, schult für die dubiose "Baronin" eine Kampftruppe, trifft Rosa Luxemburg. Nach einer Schießerei mit Kaisertreuen rund ums Berliner Schloss kann er gerade noch heim ins verwunschene Schlesien flüchten. Wo sich ebenfalls alles verändert hat. Unerwartet muss Alois sich der eigenen Herkunft stellen - und steht endlich Agnes gegenüber. Doch Alois ist zwischen alle Fronten geraten. Mit weltmalerischer Wucht erzählt Szczepan Twardoch vom Weltkrieg und vom umstürzlerischen Berlin mit seinen Kaputten, Geschlagenen und den feierwütigen Überlebenden, den Umbrüchen, die bald ganz Europa erfassen. "Demut" ist ein Roman über einen Mann im Strudel der Zeit, der zwischen Emanzipation und Selbstzweifel steht und in einer explosiven, ungeheuer freien Epoche seinen Weg sucht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.05.2022

Rezensent Christoph Bartmann gefällt die Unentschiedenheit von Szczepan Twardochs neuem Roman zwischen actionreichem Fantasiekino, freier Interpretation von Theweleits "Männerfantasien" und Gesellschaftskritik. Anregend scheint ihm, wie der Autor historische und soziale Realität mit Gedanken zu Klasse und Nation und brutaler Schützengrabenaction verschneidet. Dabei ist der Held, ein oberschlesischer Leutnant an der Front, bis zur Selbsterniedrigung verliebt! Wie der Autor all das unter einen Hut bringt und in einen expressiven wie präzisen Stil verpackt, findet Bartmann lesenswert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.05.2022

Rezensent Claus-Jürgen Göpfert empfiehlt dringend die Lektüre des in Polen schon längst berühmten Autors Szczepan Twardoch. In seinem neuen Buch geht es um den Bergarbeiter-Sohn Alois Pokora, der als getriebener Heimatloser zwischen 1918 und 1921 den Weltkrieg und die Revolutionswirren in Berlin erlebt und einigen historischen Persönlichkeiten begegnet, fasst Göpfert zusammen. Wie Twardoch seinen Protagonisten leiden lässt, der sich selbst erst als "straff geflochtenen Kranz", später als "Brennnessel" oder "Unkraut" bezeichnet, und wie dabei die politischen Konflikte der drei behandelten Jahre differenziert dargestellt werden - etwa der Streit zwischen schlesischen und polnischen Truppen um das schlesische "Industrierevier" - findet der Kritiker beeindruckend. Besonders mitgerissen scheint er außerdem von Passagen, in denen Twardoch "alle Zügel" fallen lasse und seine Leser in "wilder Jagd" über die Seiten treibe. Ein kluges Buch über ein wenig beleuchtetes Kapitel europäischer Geschichte, lobt Göpfert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.03.2022

Rezensent Paul Jandl wundert sich, wie ähnlich Szcepan Twardochs neue Erzählung "Demut" dem über hundert Jahre alten Roman Robert Musils "Die Verwirrungen des Zöglings Törless" ist. Twardoch erzählt in dem Buch auf beinahe 500 Seiten vor dem Hintergrund des ersten Weltkrieges von seinem seltsamen Protagonisten Alois Pokora, der wie bei Musil durch die "Schule subtiler Macht- und Statuskämpfe" geht und Pokoras Versuch, die Tragik seines Lebens, darunter Demütigungen von den höheren Ständen und seiner ihm versprochenen Ehefrau, in etwas Erfolgreiches umzuwandeln, erklärt Jandl. Auch, wenn der Rezensent manches in diesem Buch als zu dick oder zu dünn erzählt empfindet, gelingt dem polnischen Autor mit "Demut" ein gewaltiger, atmosphärisch verdichteter Roman in hervorragender Übersetzung von Olaf Kühl, schließt Jandl.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.03.2022

Szczepan Twardochs dicker Roman liest sich sehr gut weg, meint Rezensentin Susanne Romanowski: Temporeich, "sprachlich überbordend" und von Olaf Kühl stark übersetzt sei die Geschichte, die wie alle seiner Romane vor groß angelegter historischer Kulisse spielt. Dieses Mal ist es Alois Pokora, der, wie Twardoch, aus einer Arbeiterfamilie kommt, dann aber auf dem Gymnasium und nach seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg im Nachkriegsberlin landet. Manchen Lesern könnte das zu dick aufgetragen sein, vermutet Romanowski, und der Fokus liege eindeutig auf dem Identitätskonflikt und nicht auf den politischen Umwälzungen. Ob Pokora nun wirklich demütig oder einfach "hilflos" sei, möchte sie dahingestellt lassen. Jedenfalls rutsche dieser Protagonist wortwährend zwischen die Stühle, zwischen denen er sitzt, während Twardoch, den die Kritikerin getroffen hat, gekonnt zwischen den Stühlen balanciere: ein Autor, der sich zwar im Dreiteiler und mit teuren Autos zeigt, scharfe politische Stellungnahmen postet, sich aber doch nur schwer politisch einordnen lässt, den Romanowski beim Interview aber auch als zweifelnden Denker kennen und schätzen lernt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.02.2022

Rezensent Urs Heftrich findet in Szczepan Twardochs neuem Roman mehr Walter Scott als Tarantino. Denn wo das "Enfant terrible" in vielen seiner Bücher die Gewalt zelebrierte, gehe es nun an die große Historie: Von einem zeitlebens durch Prügel gedemütigten Protagonisten wird erzählt, der dem durch eine Karriere als Offizier im Ersten Weltkrieg entkommen will, dabei aber immer wieder auf sein Trauma zurückgeworfen wird und währenddessen quer durch Europa treibt. Zu seinem Bedauern hat Heftrich dabei des Öfteren das Gefühl, im Geschichtsunterricht zu sitzen, so "brav" bete Twardoch etwa die Straßennamen Berlins herunter. Trotzdem "fesselnd" gerate das Buch aber durch die kreative Erzählperspektive - eine "Apostrophe" an eine vom Protagonisten begehrte dominante Frau -, durch Olaf Kühls "kraftvolle" Übersetzung und durch die "Gesamtbewegung" des Romans, die einen endlosen Wiederholungszwang darstelle und den Kritiker so in ihrer Parabelhaftigkeit beeindruckt.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 23.02.2022

Rezensent Eberhard Falcke begibt sich mit Szczepan Twardochs neuem Roman auf eine "Odysee der Zeitgenossenschaft". Erzählt wird die Geschichte des selbstzweifelnden Alois Pokora, den der Kritiker durch Ersten Weltkrieg, Revolution und Unruhen in Oberschlesien begleitet und der trotz aller Hindernisse und nie aufgibt. Es ist aber vor allem das Tempo, mit dem Twardoch zwischen den Stilen hin- und herspringt, das den Kritiker für den Roman so einnimmt: Mal sachlich-präzise, dann wieder dramatisch-expressiv zeichnet der Autor lebhafte Figuren, staunt Falcke. Auch auf das postmoderne Verweisspiel lässt er sich gern ein - ein Roman voller "deftiger Oberflächenreize" und Tiefe, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.02.2022

Seit Szczepan Twardoch ist es für Florian Illies keine Frage mehr, wer authentischer Kriegsgeschichte zu erfassen vermag, der Zeitzeuge oder der Fabulierer. Twardoch gewinnt das Rennen mit Abstand, versichert Illies, weil er subtiler und mitreißender von den geschichtlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen erzählt. So auch im neuen Roman, der Illies in die Berliner Lazarette und an die Front nach Flandern mitnimmt und die ganze Erbarmungslosigkeit des Ersten Weltkriegs in rhythmischer Sprache und so plastisch zu vermitteln vermag, dass der Rezensent die Geschosse pfeifen hört und die Schneeflocken im Kriegswinter auf der Haut spürt. Dieser als innerer Monolog eines schlesischen Offiziers angelegte Text bietet laut Illies schmachtende Liebesschwüre und die schweißtreibende Angst vor einer Erschießung ebenso hautnah wie die Erkenntnis, dass es keine höhere Wahrheit der Weltgeschichte gibt, sondern nur "schlammige Versionen".