Vorworte

Leseprobe aus Nafissatou dia Dioufs Erzählung "Ich fahre…"

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NAFISSATOU DIA DIOUF: ICH FAHRE…

Aus dem Französischen von Gundula Hornig

Nafissatou Dia Dioufs Erzählung folgt in ihrer Struktur einem Kinderreim von Souleymane Djigo Diop, "La Ronde des villes". Jeder Vers beginnt mit "J'irai à…" ("Ich fahre nach …"). Die Fussnoten, die einige senegalesische Ausdrücke erklären, sind auch im Originaltext zu finden.

"Ich fahre nach Dakar, nehme den Autobus da."

Das Taxi, das mich zu so früher Stunde zum Bahnhof bringt, hat keine Scheinwerfer, keinen Tacho, an manchen Stellen noch nicht mal einen Boden. Egal, dass es noch dunkel ist. Egal, dass ich keine Lust habe zu reden, geschweige denn endlose Diskussionen über den Fahrpreis zu führen. Egal, dass meine Füße auf einer dünnen Plastikmatte stehen, die unter dem Gewicht meiner Beine bedrohlich Richtung Asphalt nachgibt, sodass ich dessen warme Ausdünstungen spüren kann. Auf der holprigen Straße bleibt uns kein Schlagloch erspart. Jeder Stoß fährt mir in den leeren Magen. Der Motor reagiert nervös wie ein schlecht zusammengeflickter Diesel. Das Lenkrad schlägt brüsk und unkontrollierbar hin und her. Der Fahrer ist gereizt, bestimmt ein sirouman (1) kurz vor Schichtende. Was geht mich das an. Ich habe keine Lust, ihm sympathisch zu erscheinen, so wenig wie er meine Lebensgeschichte kennen will.

Mein Leben, das kenne ich ja selbst nicht …

Im orangefarbenen Licht der Straßenlampen verleihen tausend blasse kleine Sonnen Pompier (2) ein festliches Aussehen. Die Nacht ist noch nicht ganz vorbei, doch auf dem Platz wimmelt es von Menschen, als wäre es mitten am Tag. Pakete, Taschen, Plastikstühle, Schafe werden von emsigen coxeurs (3) auf die Dächer der Ndiaga Ndiaye (4) verladen. In großen Schöpflöffeln verteilen die fondé-Verkäuferinnen ihren Hirsebrei. Von meinem Taxi aus beobachte ich diese pulsierende Insel inmitten der noch toten Stadt. Der Nacken tut mir weh, weil ich mir den Hals verrenke, um die hundert umhereilenden Silhouetten im fahlen Lampenschein auszumachen, gegen den sich das noch schwache Sonnenlicht langsam Kraft erkämpft. Der Fahrer schaut die ganze Zeit nach vorn, unbeirrbar. Zum Glück. Ich bin mir nicht sicher, ob ich an meinem Reiseziel ankommen will, aber in einem Abgrund enden will ich ganz sicher nicht. Unbeirrbar. Bestimmt will er die letzte Fahrt schnell hinter sich bringen, um endlich seine Nacht beginnen zu können … morgens um sechs Uhr.

"… nehme den Autobus da." Jetzt fahren wir den Boulevard de l'Arsenal entlang, der Busbahnhof liegt hinter uns. Das fängt ja gut an … Dieser Kinderreim aus Grundschulzeiten geht mir nicht aus dem Sinn und setzt sich wie ein aufdringlicher, aber willkommener Ohrwurm fest. Eine ideale Ablenkung, um die tausend Fragen und Zweifel zu zerstreuen, die sich in meinem Kopf tummeln.

An der Place du Tirailleur, wo Demba und Dupont Rücken an Rücken stehen, zeichnet sich im Morgengrauen das Gebäude mit der Kolonialfassade ab. Ehemalige Waffenbrüder. Rücken an Rücken. Schon immer habe ich mich gefragt, wie unter solchen Bedingungen der Austausch zwischen Nord und Süd gelingen soll. Welche Sprache spricht der Dialog zwischen Muslimen und Christen? Warum hat der eine Anrecht auf einen Nachnamen, der andere nur auf einen Vornamen? Immerhin hat man ihn nicht Mamadou genannt oder Doudou, die männliche Entsprechung zu Fatou, wie der Einfachheit halber gleich alle afrikanischen Muslime genannt werden.

Der Fahrer passiert den Platz und setzt mich vor dem Bahnhofseingang ab. Ich reiche ihm einen Schein. Der Betrag scheint seine Zustimmung zu finden. In der immer noch wortlosen Stille öffne ich die Tür, die sich mit all ihrem Rost in den Angeln dagegen wehrt, und schlage sie hinter mir zu.

Die Bahnhofshalle ist leer. Abgesehen von ein paar streunenden Katzen, zwei Obdachlosen, die auf den Betonbänken schlafen, einem Kolanuss (5)- und Zigarettenverkäufer und dem Schalterbeamten, der hinter der Scheibe wie ein Fisch in seinem Glas vor sich hin döst. Wahrscheinlich bin ich viel zu früh dran. Schlafen konnte ich ohnehin nicht, ich habe mich die ganze Nacht im Bett hin- und hergewälzt. Irgendwann war ich es dann leid, bin aufgestanden, um auf andere Gedanken zu kommen, habe kurz geduscht und dann noch in der Nacht das Haus verlassen. Ich wollte mich lieber den Dschinns und nitu guddi (6) aussetzen als meinen eigenen Dämonen. Ich blicke auf mein Handgelenk. Verflixt! Ich habe meine Uhr vergessen. Die Wanduhr in der Halle ist keine Hilfe, ihre großen Zeiger sind zu staubiger Ewigkeit erstarrt. Zeit hat hier einen anderen Wert …

Ich nähere mich dem Schalterbeamten in seinem Aquarium. Er hat die Augen halb geschlossen, vor sich eine Schale Milchkaffee und ein großes, in Zeitungspapier gewickeltes Brot. Meiner Meinung nach sind es die Afrikaner gewesen, die lange vor Johannesburg, Rio oder Kopenhagen die Idee zum Recycling hatten. Not findet Lösungen …

Er hat die Augen halb geschlossen, schläft aber nicht. Vielleicht hat auch ihn die allseits herrschende Lethargie befallen? Ich schaue mich in der Abfahrtshalle um. Außer mir bewegt sich nichts, als hätte ich laut "Eins, zwei, drei, Sonnenschein!" gerufen. Nur ist die Sonne noch gar nicht aufgegangen, und keiner meiner Spielkameraden scheint fröhlicher Stimmung zu sein … Also wende ich mich erneut dem Beamten zu, der immer noch reglos dasitzt. Ich bin in seinem Blickfeld, doch er versucht ganz offensichtlich, mich zu ignorieren.

Schließlich klopfe ich an die schmutzige Scheibe, die zur Hälfte mit Prospekten und abgelaufenen Kalenderblättern mit den Konterfeis religiöser Oberhäupter zugeklebt ist. Er verdreht die Augen gen Himmel, bevor sein genervter Blick an mir hängen bleibt … oder an der imaginären Person hinter mir. Wenn es seine Kräfte nicht übersteigen würde, hätte er vermutlich ein "Was denn?!" hinterhergeschickt. Dabei hat er zu dieser Tageszeit nicht gerade viel zu tun! Unbeeindruckt von seinem Gemütszustand erwidere ich auf seine nicht gestellte Frage:

"Wann fährt der Express nach Saint-Louis ab?"

"Maalékum salam (7) !"

"Ähm, assalamu aleikum", antworte ich, etwas aus der Fassung gebracht. Im Eifer des Gefechts vergesse ich die grundlegenden Höflichkeitsregeln. Aber dieser kleine Typ hatte es verdient, dass ich gegen meine gute Erziehung verstoße.

"…"

Er hat meine Frage gehört, aber sichtlich Freude daran, dass ich sie nun wiederholen muss. Wenn er nur das zu seinem Glück braucht, werde ich es ihm nicht vorenthalten … Schon vor langer Zeit habe ich begriffen, dass man mit kleinen Angestellten (und "klein" hat für mich in diesem Fall keinerlei abwertende Bedeutung) höflich, wenn nicht sogar unterwürfig umgehen sollte, immer zu grüßen, wie es sich gehört, und so oft "bitte" und "danke" in die Sätze einzuflechten, wie es gerade noch erträglich ist, nur um diese eine winzige Information zu ergattern, für die sie sicherlich nicht gut, aber eben doch bezahlt werden. Das Konzept "Dienstleistung" existiert bei uns nicht, viele unserer Landsleute kennen nur den "Freundschaftsdienst" oder den guten Willen, der von der jeweiligen Tageslaune abhängt und der Fähigkeit des Gegenübers, damit umzugehen. Es ist aber nun so, dass ich schlecht geschlafen habe, und obwohl ich auf diesen Moment seit Jahren … oder vielmehr mein ganzes Leben gewartet habe, habe ich Lust und zugleich keine Lust auf diese Reise. Habe Angst, ihn dort zu treffen, und zugleich Angst, ihn dort nicht zu treffen. Jedenfalls habe ich keine Lust, nett zu einem Schalterbeamten zu sein, der mit dem falschen Fuß aufgestanden ist und ganz offensichtlich zu unpassender Überempfindlichkeit neigt.

Das muss er begriffen haben, denn zwischen zwei Bissen und einem geräuschvollen Schlürfen an seinem Milchkaffee lässt er sich angesichts meiner stummen Beharrlichkeit zu folgender Auskunft herab:

"In zwei Stunden Zeit …"

Und vertieft sich daraufhin wieder in die Zeitung von gestern.

Jeglicher Protest ist vergeblich, der Kampf im Voraus verloren. Dass der Zug, der planmäßig um 7:05 Uhr fahren sollte, erst um 9 Uhr abfährt? Nimm es hin und schweig. Dass man nicht in zwei Stunden Zeit sagt, weil in zwei Stunden ja bereits die Zeit angibt, wie ich es meinen Studenten immer einhämmere? Nimm es hin, und Punkt. Ich versage ihm das Danke, mit dem er sicher sowieso nicht gerechnet hat, mache auf dem Absatz kehrt und setze mich auf die einzige Bank, die nicht von den Obdachlosen belegt ist.

Endlich ist Abfahrtszeit. Oder vielmehr: Abfahrtszeit plus fünfundvierzig Minuten. Eine bunte Menschenmenge drängt sich auf den eben noch einsamen Bahnsteig. Der Raum ist bis zum Bersten gefüllt mit Lachen, Schreien, Fluchen, Staub, raschelnden Boubous, schmatzenden Sandalen. Kaum stößt der Zug an den Prellbock, vollführen die Passagiere akrobatische Kunststücke, um die besten Plätze zu ergattern und die Gepäckablagen zu besetzen. Hastiges Umhergerenne. Gerempel, Gedränge, Gezeter. Ein langanhaltender Pfiff kündigt die unmittelbar bevorstehende Abfahrt an. Das Schrillen bohrt sich als Tinnitus tief in meinen Gehörgang. Ich hätte die Rangelei gerne gemieden, doch langsam ist es Zeit, in das eiserne Monstrum zu steigen. Ich erklimme das Trittbrett, beinahe als Letzte, beinahe rückwärts. Kurz bevor der Zug sich in Bewegung setzt, kurz bevor die schwere Metalltür zufällt. Ein dumpfer Knall, dann bin ich tatsächlich auf der anderen Seite. Auf der Seite derjenigen, die abfährt, die sich auf den Weg macht. Etwas in mir ist allerdings auf dem Bahnsteig geblieben und sieht mir verzweifelt hinterher.

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(1) Fahrer, der das Taxi während der Ruhezeit des Inhabers nutzt.
(2) So wird der Busbahnhof von Dakar wegen seiner direkten Nähe zur Feuerwache genannt.
(3) Personen, die Reisende anwerben und den Fahrpreis kassieren.
(4) Öffentliche Fernreisebusse.
(5) Nuss mit stimulierender Wirkung.
(6) Böse Nachtgeister.
(7) Abgewandelte Form von wa aleikum salam, auf Wolof die Antwort auf Assalamu aleikum (Guten Tag). Der Ausdruck ist arabischen Ursprungs.

Mit freundlicher Genehmigung des C. W. Leske Verlags.