Andreas Petersen

Der Osten und das Unbewusste

Wie Freud im Kollektiv verschwand
Cover: Der Osten und das Unbewusste
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024
ISBN 9783608987201
Gebunden, 352 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Pawlow statt Freud oder wie der Osten die Psychoanalyse verbannte Andreas Petersen verfolgt die historischen Linien des Unbewussten in Ost und West. Er beschreibt, wie die Tiefenpsychologie in der Sowjetunion zunächst gefördert und dann in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts vollständig verworfen wurde. Während es in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem "psychological turn" kam, blieb das Unbewusste in Osteuropa offiziell tabu. Dies galt bis 1989 - mit Folgen bis in die Gegenwart. 

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2024

Manchmal etwas zu detailverliebt, aber insgesamt sehr interessant findet Rezensentin Marianna Lieder diese Studie über Psychoanalyse in der Sowjetunion und ihrem Einflussbereich. Autor Andreas Petersen stellt dar, wie nach der Oktoberrevolution vor allem Trotzki eine eigene, sowjetische Version der Psychoanalyse vorantrieb, die freilich mit Freud nicht allzu viel gemein hatte, und deren Implementierung außerdem unter Vetternwirtschaft litt, erzählt die Kritikerin. Stalin lehnte dann nach seiner Machtübernahme die tiefenpsychologische Lehre ab und unterdrückte ihre Anhänger, später wurde dann die Pawlowsche Konditionierung als Staatsideologie installiert. Auch die Position anderer Ostblockstaaten zur Psychoanalyse wird dargestellt, laut Lieder ist das gelegentlich redundant, aber schon auch lesenswert, wenn etwa Titos Sonderstellung erläutert wird - in Jugoslawien wurden Foltermethoden auf tiefenpsychologischer Basis entwickelt. Bezüge zur Gegenwart vermag dieses insgesamt lehrreiche Buch allerdings nicht herzustellen, bedauert die Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 16.03.2024

Rezensent Eckart Goebel ist fasziniert von Andreas Petersons Wissenschaftsgeschichte über die Psychoanalyse in Osteuropa und was sie enthüllt: hier Menschen, die ihre Version der Psychoanalyse teilweise unter Lebensgefahr praktizierten, dort Scharlatane, die versuchten, dem revolutionären Individuum mittels Psychologie, zum Beispiel der Pawlowschen Schule, den Individualismus auszutreiben. Was teilweise tödlich endete. Auch der Missbrauch der psychiatrischen Kliniken ist in diesem Zusammenhang "ergreifend" zu lesen, bekennt der mitgenommene Kritiker. Einige Fälle nennt er geradezu "filmreif". Wer unsere Gegenwart besser verstehen will - vom Ukrainekrieg bis zum nach wie vor oft gestörten Verhältnis von Ossis und Wessis - der sollte zu diesem Buch greifen, ermuntert der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 15.03.2024

Der Historiker Andreas Petersen untersucht und vergleicht in diesem Buch das Verständnis, die Entwicklungen und den Einfluss der Psychoanalyse in Ost- und Westeuropa. Und er tut dies auf überaus kluge, versierte und "anregende" Weise, findet Rezensent Thomas Groß. Während der Einfluss Freuds und seiner Erben und Erbinnen im Westen weitestgehend erforscht und bekannt ist, weiß man über seine Wirkung in den realsozialistischen Ländern relativ wenig. Als "Pionierleistung" bezeichnet Groß daher Petersens Blick in den Osten. Dass Trotzki beispielsweise im Salon des Tiefenpsychologen Alfred Adler und seiner Partnerin, der Frauenrechtlerin Raissa Epstein in Wien verkehrte, dass er Freud-Fan war und sich die Psychoanalyse für seine permanente Revolution zu Nutze machen wollte, mag für viele Leserinnen und Leser neu und überraschend sein. Petersen erzählt und verbindet die Lebensläufe solcher Persönlichkeiten, um daran exemplarisch eine Rezeptions- und Wirkungsgeschichte in Ost und West zu erzählen. Damit leistet er auch einen wertvollen Beitrag zum Verständnis eines anhaltenden Konflikts, lobt der Rezensent.

Buch in der Debatte

9punkt 19.03.2024
In der Welt unterhält sich Andrea Seibel mit dem Historiker Andreas Petersen über dessen neues Buch "Der Osten und das Unbewusste. Wie Freud im Kollektiv verschwand", das den Umgang mit der Tiefenpsychologie in den Gesellschaften Ost- und Westeuropas vor und nach den großen Diktaturen vergleicht. In Russland wurde "ab Ende der 1920er-Jahre durch Stalin alles Tiefenpsychologische ausgelöscht" und das hat Folgen bis heute, meint er. Unser Resümee