Christoph Hein

In seiner frühen Kindheit ein Garten

Roman
Cover: In seiner frühen Kindheit ein Garten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518416679
Gebunden, 271 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

In seinem Roman erzählt Christoph Hein von einem Vater, dessen Kind die Familie verriet, um sich in den Dienst der RAF zu stellen. Und er erzählt von einem wichtigen, oft verdrängten Stück bundesdeutscher Geschichte. Als der bundesweit gesuchte Terrorist Oliver Zurek in einem Gefecht mit Beamten des Grenzschutzes von einer Kugel tödlich verletzt wird, kommt es zu einem politischen Skandal. Denn die offiziellen Mitteilungen über seinen Tod im mecklenburgischen Kleinen - es ist von Selbstmord die Rede - stimmen nicht mit den Zeugenaussagen überein. Der Fall gerät in die Schlagzeilen, der Innenminister tritt zurück, der Generalbundesanwalt wird in den Ruhestand entlassen. Trotzdem wird das Ermittlungsverfahren wenige Monate später eingestellt. Olivers Vater aber misstraut den Behörden. Er macht sich auf, die Wahrheit über den Tod - die Ermordung? - seines Sohnes zu erfahren. Er, der ehemalige Gymnasialdirektor, der zusammen mit seiner Frau in der Nähe von Wiesbaden lebt und der die politische Orientierung und Entwicklung seines Sohnes nie verstanden hat, will nur eines: Gerechtigkeit.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.03.2005

Christoph Heins Roman sei leider nicht mehr als "Arbeit am Mythos" RAF, meint Ijoma Mangold. Was je an Verklärungen über die Terrorgruppe im Umlauf war "feiert einen trüben zweiten Frühling". Mangold spekuliert, Hein habe sich vielleicht als Schriftsteller präsentieren wollen, der völlig unabhängig von allen Obrigkeiten agiert und sich weder von Sozialismus noch vom Rechtsstaat "ins Bockshorn jagen" lasse. Gelungen sei das jedenfalls nicht, Hein mache sich nur zum "Sprachrohr jener Mythologisierungen", die Jan Philipp Reemtsma, für dessen Überlegungen der Rezensent die halbe Besprechung reserviert, schon ausführlich offengelegt habe. Der Stoff an sich, die RAF mit ihren Auswirkungen bis zum Drama um die Festnahme von Wolfgang Grams in Bad Kleinen, sei "hochspannend", meint Mangold. Hein komme aber nie über die "Reproduktion von Entlastungsdiskursen" hinaus, mithin zu wenig für die notwendige "Erkenntnisskrupulösität" eines modernen Romans.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 03.02.2005

Überhaupt nichts sei in Christoph Heins neuem Buch frei erfunden, grantelt Jens Jessen, in Wahrheit werde darin natürlich die "minutiös" recherchierte Geschichte des RAF-Terroristen Wolfgang Grams erzählt. Hein habe höchstens ein wenig hinzuerfunden, um einen Roman daraus zu basteln, dessen Grundthese lautet: Der Kampf der Terroristen war schmutzig, weil der Staat schmutzig war. Diese unmittelbare Botschaft wird für den Rezensenten nicht von der mindesten ästhetischen Anstrengung überhöht, vergeblich sucht er nach wenigstens einer kleinen Metapher, die von literarischem Ehrgeiz zeuge. Die dramaturgische Sorglosigkeit gipfelt für Jessen in der grammatikalischen, und er wird nicht müde, überflüssige und folgenlose Sätze zu zitieren: "Als er an der Tür klingelte, ließ Richard Zurek ihn ins Haus..." . Vielleicht habe Hein mit der einfachen Botschaft seines Buches, dass die BRD nicht der moralisch überlegene Staat war, als der er zu Wendezeiten bisweilen erschien, den in "postsozialistischer Depression" Versunkenen Trost spenden wollen. Dafür aber, findet Jessen, hätte der Autor nicht 271 betuliche Seiten vollschreiben müssen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.02.2005

Äußerst kritisch verfährt Roman Bucheli mit Christoph Heins neuem Roman, der sich darin eines der letzten Kapitel des deutschen Terrorismus angenommen hat, nämlich des Todes des Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen. Verärgert konstatiert Bucheli, dass es im Vorspann heißt, alle Personen seien frei erfunden, obwohl sich Hein noch nicht mal die Mühe mache, Grams Biografie - der im Buch Oliver Zureck heißt - über die bekannten Fakten hinaus nachzurecherchieren oder fiktiv auszuschmücken und damit plastischer werden zu lassen. Weiter beklagt Bucheli die eindimensionale Perspektivik, die ganz von der Sicht der Eltern von Grams bestimmt werde. Was Hein in seinen früheren Romanen immer unternommen habe, nämlich die Parallelisierung von Sichtweisen, das Aufbrechen der Perspektiven unterlasse er in diesem Falle, so der Rezensent erstaunt, obwohl sich doch gerade der Fall Grams als widersprüchlich und letztlich ungelöst präsentiere. So verpasst Hein seines Erachtens die Chance, diese Facette der deutschen Wirklichkeit näher zu beleuchten, stattdessen verharmlose Hein und schramme im übrigen immer haarscharf am Kitsch vorbei, schließt Bucheli grimmig. "Weder in der Sache noch ästhetisch angemessen", lautet sein Urteil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.01.2005

Nun also ist auch der Schriftsteller Christoph Hein im Westen angekommen, stellt der Rezensent Martin Lüdke erst einmal fest. In seinem jüngsten Roman nämlich erzählt er eine durch und durch westdeutsche Geschichte. Stark angelehnt ist sie an den bis heute ungeklärten Fall des Todes des RAF-Terroristen Wolfgang Grams. Hat er in Bad Kleinen Selbstmord begangen, wurde er ermordet? Um die Klärung dieser Frage geht es Hein natürlich nicht - vielmehr um die von diesem realen Fall sich entfernende Geschichte eines Vaters, der Gerechtigkeit für seinen Sohn will, aber nicht bekommt. Eine Studie also über Recht und Gerechtigkeit, die Lüdke in die Nähe des von Kleist (nach einer wahren Geschichte) erzählten Falles des "Michael Kohlhaas" rückt. Mit dem einen Unterschied allerdings, dass der Vater zuletzt nicht zum "Märtyrer seines Rechtgefühls" wird, sondern zum "Repräsentanten unserer Zivilgesellschaft". (Seltsam, dass niemand ein Wort darüber verliert, dass Wolfgang Grams Vater Mitglied der Waffen-SS war). Dieser Roman, resümiert Martin Lüdke, ist ein "Lehrstück", aber eines, das uns sowohl "anrührt" als auch "angeht".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.01.2005

Gerrit Bartels macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: Christoph Hein, die "ehrliche Haut", ist seiner Meinung nach literarisch gescheitert, weil er es zu gut meinte. Weil er in seiner Aufarbeitungsgeschichte um die RAF und die bundesrepublikanische Demokratie mehr um engagierte Argumentation bemüht ist, als um komplexe, glaubhafte Figuren. Die Handlung um das Ehepaar Zurek - den Eltern von Wolfgang Grams nachempfunden - zeigt die Entwicklung des Vaters, eines "treuen Staatsdieners", der nach dem Tod seines Sohnes (in Bad Kleinen) zum "skeptisch-enttäuschten und flammenden Gerechtigkeitskämpfer" wird, der in die Untiefen der staatlichen Ordnung blickt, die er als Lehrer seinen Schülern predigt. Der Vater gibt den Zweifeln Ausdruck, die Tochter ist in den "statisch-floskelhaften Streitgesprächen" dafür zuständig, die Seite des Staates einzunehmen, die Mutter steht nebenan am Herd. Der scharfe Kontrast von dundesdeutscher "Betulichkeit" und "Wirklichkeit" ist wohl beabsichtigt, meint Bartels, dennoch kann er Hein den Kitschvorwurf nicht ersparen. Insgesamt, so der Rezensent unwirsch, ist das alles "arg pathetisch, ehrpusselig und durchsichtig geraten".