Durs Grünbein

Strophen für übermorgen

Gedichte
Cover: Strophen für übermorgen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
ISBN 9783518419083
Gebunden, 121 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Durs Grünbeins neues Gedichtbuch ist ein poetisches Erinnerungswerk, zugleich ein Buch der Übergänge und Verwandlungen. In sieben Abteilungen und einer Vielzahl von Versformen entfaltet sich hier ein Bilderbogen zum Weltbild. Gedichte zur Herkunft stehen am Anfang, bevor sich, just im Reisegedicht, die Unheimlichkeit moderner Mobilität erweist. Ein Interludium, Strophen für übermorgen, führt zu jenem zentralen Ort, an dem der Dichter seit einem Vierteljahrhundert zu Hause ist: Transit Berlin. Genau in der Mitte der Metropole (und des Buches) findet sich auf der Museumsinsel die konzentrierte Durchdringung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Doch erneut übt die Ferne ihre Magie. Eine Folge seltsam irreal angelegter 'Charakterstücke' von liedhaftem Sprechgestus begleitet die Überquerung der Alpen in Richtung einer imaginären Antike und führt zur eigentlichen Frage dieser Lyrik: Was ist Imagination? Eine persönliche Bilanz in einer der strengsten lyrischen Formen, im Sonett, zieht der Dichter am Schluß des Bandes: Liebesgedichte und Lebensstudien.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.12.2007

Nicht ungern hat Rezensent Helmut Böttiger diesen neuen Gedichtband gelesen, wenngleich sich Durs Grünbein darin wohl nicht gänzlich vom marmornen Nimbus befreien konnte, der seinem Schaffen stets anhaftet weshalb seine Lyrik von Thomas Kling einst als "Sandalenfilme aus den Grünbeinstudios" verhöhnt wurde - was der Rezensent noch einmal genüsslich zitiert. Doch manchmal kann der Dichter seinen Rezensenten durch Witz oder Selbstironie verblüffen. Mitunter freut sich Böttiger auch an der Beschwörung von Grünbeins Ostherkunft als existenziellem Faktor. Insgesamt kann der Rezensent nicht umhin, Grünbein als Stilisten zu loben, und die Art, wie er "das überlieferte Versmaß" mit "zeitgenössischem Bewusstsein" zu verbinden versteht. Und dass die Gedichte letztlich von ihren "Blue Notes", also den improvisierenden Abweichungen von den metrischen Regeln leben würden. Auch wenn es sich insgesamt seiner Einschätzung zufolge meist nicht um große Lyrik sondern eher um "Zeugnisse einer Selbstbefragung" handelt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.11.2007

Hans-Herbert Räkel weiß genau, warum er diese neuen Gedichte von Durs Grünbein trotz ihrer kleinen Schwächen überaus schätzt. Sein Blick auf den Band gerät zur kleinteiligen Analyse der lyrischen Formen, die Grünbein in seinen Gedichten einsetzt. Minutiös erläutert er Formen wie Reim und Assonanz und auch das Formgesetz der Stanze kommt nicht zu kurz. Man fühlt sich unwillkürlich in eine herbstliche Germanistik-Vorlesung versetzt, die sich für ein erholsames Nickerchen anbietet. Als kenntnisreicher Philologe bescheinigt Räkel dem Dichter einen höchst souveränen, reflektierten und kunstvollen Umgang mit dem Arsenal traditioneller lyrischer Formen. Ganz kritiklos bleibt er indes nicht: manche Motive erscheinen ihm "nicht sehr treffend", ja sogar "ein wenig läppisch". Doch dank der "poetischen Offenlegung" der "Problematik von Quellen, Formen, Reimen", die Grünbein pflege, werden die Gedichte in seinen Augen "immun gegen ihre eigenen Schwächen".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2007

So ganz sicher scheint sich Rezensent Patrick Bahners nicht, wie er eigentlich die neuen Gedichte von Durs Grünbein finden will. Zwar bezeichnet er den Dichter am Ende als "lyrisches Genie", aber nicht, ohne doch vorher an vielen kleinen Einzelheiten herumgenörgelt zu haben. Sehr schön führt er den Leser - trotz seiner etwas belehrenden Haltung - an einige Hauptmotive des Bandes heran: an den Unfall, der Kindheit wieder erinnern ließ, und wie daraus verdichtete Sprache wird, an die Großmutter namens Wachtel, an Dresden und Grünsbeins mutterloses Aufwachsen dort. Bei allem Besserwissen des Kritikers ist es doch höchst erfreulich zu lesen, wie ernst hier lyrische Sprache genommen wird, wie ausführlich Beispiele zitiert und kommentiert werden. Eine differenzierte Kritik, die sich am Ende allerdings nur zu ambivalentem Lob bewegen lässt: Ein Genie sei Grünbein, aber eines ohne "Sprachmusikalität".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.10.2007

Zunächst stellt Rezensent Michael Braun erleichtert fest, dass der Dichter und Antikenverehrer Durs Grünbein in seinem seitenstarken, nach sieben Motivgruppen unterteilten neuen Lyrikband schon mit dem titelgebenden Zyklus "antikisierende Reflexe" überwindet und "poetische Zeitgenossenschaft" wie auch die "Fähigkeit zur Antizipation" einfordert. Auch die ab und an in den Gedichten durchscheinende Ironie vermerkt der Rezensent als Neuerung im Repertoire des Poeten. Und dass Grünbein handwerklich makellose Oden und Elegien in "lockeren Alexandrinern und Blankversen" zu schreiben versteht, scheint schon fast eine Selbstverständlichkeit zu sein. Wenn nur dieser abgeklärte und selbstgenügsame Ton a la Horaz nicht wäre, mit dem Grünbein seine lyrischen Subjekte in den Zustand der heiteren Kontemplation versenkt, seufzt der Rezensent. Auch in den Reisegedichten vermisst er Originalität und Reibung. Dafür sieht Braun den Lyriker in den Gedichten über die Kindheit, die ein "Erinnerungspanorama von sinnlicher Kraft" entfalten, auf der Höhe seiner Schaffenskunst.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2007

In Durs Grünbeins jüngstem Gedichtband legt sich das lyrische Ich bei Wanderungen durch Venedig Erinnerungsvorräte zu und wird dabei selbst unwillkürlich von Erinnerungen an die Kindheit überfallen, schreibt Rezensent Roman Bucheli. Nicht nur bei den Venedig-Gedichten dieses Bandes steht Erinnerung im Mittelpunkt, sei es als Proustsche "memoire involontaire" oder als bewusst dem Gedächtnis für "übermorgen" überantwortet, erklärt der Rezensent. Der Band enthält für den Geschmack des Rezensenten durchaus auch abgegriffene oder gar gedrechselte Verse, er begeistert sich aber für Grünbeins Gespür für die "kleinen Dinge des Lebens" und für die aufmerksame Behutsamkeit, mit der er ihnen begegnet. Die gelungensten Verse sind für Bucheli die, in denen der Lyriker diese kleinen Dinge ganz unspektakulär und skizzenhaft zu fassen bekommt und ihren "Herzrhythmus" festhält.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.10.2007

Hart ins Gericht geht Marius Meller in der FAZ am Sonntag mit Durs Grünbeins Gedichtband "Strophen für übermorgen". Schon den Titel stört ihn, wobei er zwischen dem Vorwurf der Anmaßung schwankt und dem des Klischees, das an eine Werbung von Stromkonzernen erinnert. Doch auch der Inhalt des Bandes kann ihn - abgesehen von einigen starken kurzen Texten, "Beobachtungsminiaturen", die von der Welt erzählen - nicht überzeugen, bietet der Dichter in seinen Augen doch eher "geformte Kurzprosa" als Lyrik. Die Assoziationen und Metaphern Grünbeins hält er für leicht zu entschlüsseln und die mythologischen Anspielungen, die man mit einem entsprechenden Lexikon verstehen kann, scheinen ihm über den Assoziationswert hinaus keine Bedeutung zu haben. Ihm mangelt es an poetischer Reflexion, die mythologische Folie wird ihm allzu oft aufgelegt. Außerdem ist er Grünbeins Assoziationsraum gerade im Blick auf die Gedichte über den Straßenkampf im Berlin des Zweiten Weltkriegs überdrüssig, weil er ihn hinlänglich aus den vorangegangenen Bänden kennt. Insgesamt spricht für Meller aus diesem Band vor allem ein Zustand von "phlegmatischer Hybris".
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