Eva Menasse

Dunkelblum

Roman
Cover: Dunkelblum
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2021
ISBN 9783462047905
Gebunden, 528 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten - genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf - und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.10.2021

Das Massaker von Rechnitz im Jahr 1945 war "singulär" - und deshalb kann man auch keine "paradigmatische Menschheitsgeschichte" darüber schreiben, wie Eva Menasse es versucht, wendet Rezensent Paul Jandl nach der Lektüre ein. Die Sprache Menasses, die viele Kritikerkollegen besonders lobten, stellt denn für Jandl auch die eigentliche Problematik des Romans dar: Natürlich erkennt er den "surrealen Witz", die Menge meisterlicher Anekdoten und das Pointenfeuerwerk, das die Autorin zündet. Was dem Roman allerdings fehlt, ist der Wille zur Aufklärung, überhaupt der kritische Blick, den es braucht, damit der Leser hier nicht mit einem "entlastungshumorigen Kuriositätenkabinett" allein gelassen wird, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.09.2021

Nicht oft bringt die Literatur einen historischen Roman diesen Ranges hervor, hält Rezensentin Judith von Sternburg fest und rühmt Eva Menasses Roman "Dunkelblum" für sein Reflexionsniveau, den politischen Weitblick, das erzählerische Geschick und am Ende auch für seine "Menschenliebe". Der Roman lässt sich als Fortsetzung zu Elfriede Jelineks Stück "Rechnitz" lesen, deutet Sternburg an: Doch während es Jelinek direkt um das - reale - Massaker an 180 Juden als makabren Höhepunkt einer NS-Promi-Party auf dem Schloss der Gräfin Batthyány ging, blickt Menasse auf ihr - fiktives - Dorf Dunkelblum vierzig Jahre später im Jahr 1989, auf das Verschweigen, das Vergessen, das Nichtwissenwollen. Sternburg ist überwältigt von dieser literarisch herausragenden Schilderung burgenländischer Zustände, wobei sie in ihren Porträts der Bauern und Intellektuellen, Saufbolde und Bösen Buben, Helden und Lumpen ihr satirisches Potenzial voll ausreize, ohne zu weit zu gehen. Dass Menasse selbst noch im tiefsten Abgrund den Witz erkennt, ringt der Rezensentin größte Bewunderung ab.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.08.2021

Rezensentin Hanna Engelmeier übt harsche Kritik an Eva Menasses Roman über die Nachwehen des Massakers von Rechnitz im Jahr 1945. Die Fiktionalisierung, wie die Autorin sie vornimmt, indem sie etwa den wahren Ort chiffriert, das Verbrechen selber nicht beschreibt, dafür aber umso wortreicher das Schweigen darüber, scheint Engelmeier problematisch. Solcherart an Menasses "sprachlich-psychologischer Kollaboration" teilzuhaben, ist der Rezensentin unangenehm, auch wenn sie den Wunsch der Autorin, historischer Selbstgerechtigkeit zu entkommen, nachvollziehen kann. Das Mittel der Groteske etwa hätte Engelmeier mehr zugesagt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.08.2021

Rezensent Andreas Platthaus empfiehlt Eva Menasses dritten Roman. Die Autorin verfügt über die vielstimmige Mündlichkeit eines Wolf Haas, die epische Lunge eines Musil oder Doderer, und sie hat Juli Zeh die Subtilitiät und den "bitterkomischen" Schmäh voraus, lobt der Rezensent. Menasses finstere wie komische Geschichte aus dem Burgenland, die an das Massaker von Rechnitz erinnert, ohne es aufklären zu wollen, nimmt Platthaus für sich ein als mehrgenerationales kleinstädtisches "Sittenstück" für alle, nicht als Schlüsselroman.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.08.2021

Noch ein Nazi-Roman in dieser Saison? möchte man seufzen. Und auch Rezensent Ijoma Mangold fragt sich zunächst, ob die Geschichte vom Nazi-Opa nicht längst "ausgelutscht" sei. Nein, nicht wenn Eva Menasse sie erzählt, denn ihr neuer Roman ist ein "Geniestreich", fährt der Kritiker fort. Dabei sind die Motive nicht unbedingt neu, räumt Mangold ein: Menasse erzählt die Nachkriegsgeschichte eines fiktiven Dorfes voller Alt-Nazis bis 1989 - angelehnt an das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern 1945 in Rechnitz. Von der Dorfgräfin über den Doktor bis zum jüdischen Ladenbesitzer Antal verschweigt man die Geschichte, auch als das Dorf in den Achtzigern zur Touristenattraktion gemacht werden soll, wird nach Möglichkeiten vertuscht. Erst wenn der alternde Doktor und Ex-Gauleiter Alois '89 in einem Fernsehinterview Nazi-Ansichten von sich gibt und von Hitlers Künstlerhänden schwärmt, kommt es zum Skandal, resümiert der Rezensent. Was den Roman für Mangold zum "Meisterwerk" macht, ist aber Menasses Sprache: Der Kunst-Dialekt, den die Autorin hier erschaffen hat, klingt nach Hofmannsthals "Rosenkavalier", nur drei Schichten tiefer, meint der Kritiker, der NS-Geschichte selten so farbig und lebensnah gelesen hat. Ein sogkräftiger "Vergangenheitsaufarbeitungsthriller" voller spannender, differenzierter Figuren, der lange nachhallt, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 17.08.2021

Rezensentin Sigrid Löffler scheint ein bisschen enttäuscht darüber, dass Eva Menasse in ihrem Roman nur Vermutungen und Schweigen ausbreitet über das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern 1945 in Rechnitz. Allerdings spricht das auch für das Feingefühl der Autorin, gibt Löffler zu. Die Rezensentin bescheidet sich also mit der Freude über Menasses detaillierte Fantasie beim Vorstellen ihres Biotops Rechnitz/Dunkelblum und seiner Bewohner - Altnazis, Verschweiger, Hobbyhistoriker. Das "soziale Wimmelbild" im Stil des Anti-Heimatromans birgt für Löffler schließlich allerhand Gemeinheiten. Das Verbrechen aber bleibt die leere Mitte des Textes, meint sie.