Gerhard Henschel

Die Liebenden

Roman
Cover: Die Liebenden
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002
ISBN 9783455031706
Gebunden, 752 Seiten, 25,50 EUR

Klappentext

Aus zwei mittellosen jungen Menschen, einer angehenden Fremdsprachenkorrespondentin und einem Maschinenbaustudenten, wird 1950 in Hannover ein Liebespaar, das schließlich auch heiratet. Der Bräutigam, ein Flüchtlingssohn, war Kriegsgefangener in der Sowjetunion und bemüht sich nun darum, seiner entstehenden Familie ein Auskommen zu verschaffen, während sich die lebenslustige Braut allmählich in eine kinderreiche Hausfrau verwandelt. Aus Briefen, die weit bis in die Kindheit der späteren Eheleute zurückreichen und danach ihr gesamtes Glück und Unglück erzählen, erschließt sich die Lebensgeschichte zweier Liebender, die am deutschen Wirtschaftswunder teilhaben, unter Mühen ihren sozialen Aufstieg vollbringen und nach fast vierzig Jahren, als alles erreicht ist, vor den Trümmern ihrer Lebenspläne stehen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.08.2003

Frank Schulz ist so "stark beeindruckt" wie noch nie von Gerhard Henschel. Die Geschichte der "Liebenden" hat ihn "erschüttert", und das teilt sich zurückhaltend, aber eindringlich in den Zeilen seiner Rezension mit. Eine Zweisamkeit über Jahrzehnte, eine Geschichte von Hoffnung und ihrer Enttäuschung durch das Leben, vom Aufbegehren dagegen und von der Verzweiflung, erzählt in authentischen Briefen, die auch daran erinnern, "dass privatimes Schreiben einmal eine lebenswichtige Kommunikationsform gewesen ist". Unter anderem. Henschel, berichtet Schulz, hat mit "archivarischer Inbrunst" aus 120 Aktenordnern voller Korrespondenzen ausgewählt, hat stilistisch eingegriffen und gekürzt. Hat einen "ernsten", wunderbaren, traurigen Roman daraus gemacht. Boy meets Girl im Hannover des Jahres 1950, sie sind zuversichtlich, sie "rackern, ehren den Pfennig (...), bekommen vier Kinder, bauen ein Haus und leben von der Hoffnung auf bessere Zeiten". Dann müssen sie nicht mehr sparen, doch am Ende stehen sie "erneut vor Trümmern". Zwei Leben voller Briefe, "diskrete Liebesbriefe" und "verzweifelte Episteln" und Glück - "Glück, das immer woanders ist". Später. Und dann ist es zu spät. "Wie konnte das geschehen?, fragt man sich."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.07.2003

Als "bewegendes Stück Zeitgeschichte aus der Perspektive des privaten Lebens" würdigt Rezensentin Andrea Gnam den Briefroman "Die Liebenden" von Gerhard Henschel. Wie Gnam ausführt, verfolgt Henschel darin den Lebensweg eines jungen Soldaten und einer jungen Frau, die sich nach dem Krieg früh aneinander binden, sich gegenseitig stützen, aber auch mehr und mehr in ihrer persönlichen Entfaltung behindern. Ihre gemeinsame Geschichte entwerfe aus den banalen Gegebenheiten der Alltagssituation ein "dichtes Bild" der gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland von 1940 bis 1993, schreibt Gnam. Den Tonfall der Briefe, der die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik, etwa das sich ändernde Männer- und Frauenbild, widerspiegelt, findet sie "gut getroffen". Im allmählichen Wandel der Schreibhaltung zeige sich, "wie aus zärtlich Liebenden ein unglückliches Paar mit vier Kindern geworden ist". Alles in allem attestiert Gnam dem Werk eine "eigenartige Sogwirkung". Trotz einiger Längen und dem Tod der Hauptfiguren hätte nach siebenhundertfünfzig Seiten Lektüre einfach gern noch ein wenig weitergelesen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.03.2003

Mit seinem Roman "Die Liebenden" legt Gerhard Henschel nach Ansicht des begeisterten Rezensenten Stephan Maus eine "großartige Familiensaga" vor. Ganz in der Tradition der dokumentarischen Collagen Walter Kempowskis hat Henschel nach Angaben von Maus die Originalbriefe unterschiedlicher Mitglieder der Familien Lüttje und Schlosser bearbeitet und zu einer Collage zusammengestellt. Entstanden ist so eine "eindringliche" Privatgeschichte der Bundrepublik, die die Zeit von 1940 bis 1993 umfasst, und die Maus vor allem wegen ihres "ungeheuren" Materialreichtum und der "mikroskopischen" Detailgenauigkeit beeindruckt. Im Zentrum steht das "monumentale Duett" der Liebenden Richard und Ingeborg Schlosser, geborene Lüttje, über fünfzig Jahre hinweg, hält Maus fest. Mit ihrer Lebens- und Liebesgeschichte, die parallel zum Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands verläuft, entsteht eine "monumentale Saga der Bundesrepublik". Neben weit über tausend Briefen hat Henschel dazu Sterbeurkunden, Operationsberichte, Beschwerdebriefe an Versicherungen, Gewinnmitteilungen von Weinbrandlotterien, juristische Kleinkriegskorrespondenz und Menükarten von Hochzeitsfeiern zu einer "überwältigenden Archäologie der deutschen Nachkriegszeit" montiert, freut sich der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.02.2003

Ein wenig "überrascht" es die Rezensentin Anne Kraume, dass Gerhard Henschel, der sonst eher der Satire anhängt, hier einen Briefroman vorlegt, in dem er die deutsche "Alltagsgeschichte" vom Kriegsende bis über die Wende hinaus an der "Lebens- und Liebesgeschichte" eines Paares exemplarisch verdeutlicht. Dabei gehe Henschel allerdings nicht wie Walter Kempowski in seinem "Echolot"-Projekt vor, der in einem breiten Panorama von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen "wissenschaftliche Quellenedition" betreibe, bemerkt Kraume. Henschel verhalte sich, wenn auch die Geschichte eine wahre Geschichte sei, und auch die Briefe echt, eher als "Erzähler", der versuche, die Geschichte unter "geringfügigen" Eingriffen zu "verdichten". Die Briefe, die erst als Überbrückung "räumlicher Distanz" gedacht seien - oft ist das Paar getrennt - und die tatsächlich wirkliche "Nähe" schaffen, werden auch später, als die räumliche Distanz aufgehoben ist, weitergeschrieben, als die Liebe sich zunehmend verflüchtige. Denn "ungestraft", so die Rezensentin, hat man am Wirtschaftswunder nicht teil: In der gemeinsamen Arbeit am Aufschwung geht der "Blick für das Wesentliche" verloren. Jetzt machten die Briefe, indem sie eine "äußerlich Distanz" herstellen, die "innere Distanz" erträglicher. Und so verlaufe zeitgleich mit der deutsch-deutschen Annäherung das schrittweise "Auseinanderleben" der Ehepartner. Zunächst mag die Vielfalt der Stimmen und der Adressaten etwas "sperrig" und störend wirken, so Kraume, doch gerät man unweigerlich in deren Bann, und letztlich sind es wohl genau diese "unterschiedlichen Stimmen", die diese Geschichte so "plausibel und repräsentativ" machen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.12.2002

Ein großen Wurf sei Gerhard Henschel mit diesem Familienroman gelungen, schwärmt Oliver Fink, eine rührende, nein, ergreifende Liebesgeschichte, von der man nicht wahrhaben wolle, dass sie als Trauerspiel endet. Anhand von Briefen und Originaldokumenten zeichnet Henschel die Geschichte des Ehepaares Ingeborg und Richard Schlossers nach, von 1942 bis zum Jahr 1993. Dazwischen, so der begeisterte Fink, liege die ganze Weite und die ganze Enge bundesrepublikanischen Privatlebens, von der "Die Liebenden" in "wunderbarer Transparenz" erzählten: Von der Liebe, die auf das Lottoglück hofft, von der erdrückenden Strenge protestantischer Pfarrhäuser, von "hinreißenden Dankeslogen" auf die schlichtesten Geschenke ("Auch die Taschentücher kommen mir sehr gelegen"), schließlich vom Lymphdrüsenkrebs. Was dabei von Henschel und in welcher Form bearbeitet wurde, bleibt ebenso offen wie die Authentizität der Orte und Personennamen, bemerkt Fink. Henschel verwische, verschleiere, montiere, doch gerade dies gefällt dem Rezensenten besonders, erschaffe Henschel durch sein Arrangement doch "ein äußerst kunstvolles Geflecht" - und mithin den "Roman".