György Dragoman

Löwenchor

Novellen
Cover: Löwenchor
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518428511
Gebunden, 269 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Nach der Beerdigung seiner Mutter kehrt Ferenczi nicht in die leere Wohnung zurück, sondern fliegt nach Madrid. Auf dem Hotelbalkon an der Puerta del Sol, während von unten "Tanzmusik, Freudenmusik und Trauermusik" heraufdringt, geht ihm durch den Kopf, wie anders das Leben verlaufen wäre, hätten die kommunistischen Behörden seinen Eltern nicht die Hochzeitsreise nach Spanien verweigert - das Hotel an der Puerta del Sol war schon gebucht. Sein Vater wäre nicht in den Bergen verunglückt, und seine Mutter hätte ihre Gesangskarriere gemacht, statt putzen zu gehen. Wie Stimmen einer Partitur verflechten sich die langen, dichten Sätze und lassen Sequenzen der Vergangenheit und Gegenwart einander durchdringen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.09.2019

Wolfgang Sandner warnt vor der Anziehungskraft von György Dragomans Novellensammlung. Dabei müssen die Texte unbedingt in einem Zug gelesen werden, um ihre Vielstimmigkeit zu erfahren, rät Sandner zugleich. Die mal fantastischen, mal realistischen Erzählungen laden dazu schon durch das Motiv der Musikalität ein, das Sandner in allen Texten ausmacht, in Gestalt von Rockmusikfans, Sängerinnen und Geigern etwa, Cellisten oder Bastlern von Musikboxen. Dragomans vordergründiges, verschachteltes Erzählen hebt laut Sandner allerdings ab auf die Gefährdung der menschlichen Existenz, auf die politische und gesellschaftliche Realität der Figuren und Schicksale. Dass der Autor dabei niemals Klagegesänge anstimmt, rechnet ihm der Rezensent hoch an.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.05.2019

Ilma Rakusa ist vollkommen bezaubert von György Dragomans Novellen. Den Einstieg in medias res beherrscht der Autor laut Rakusa ebenso wie das Offenlassen von Leerstellen. Das schmerzt mitunter richtig, macht die Lektüre aber auch zum Genuss, versichert Rakusa, die in allen Geschichten sowohl die Signatur des Totalitarismus erkennt als auch die unweigerliche Verstrickung der Figuren in Familiendramen, Leidenschaften, Rituale, Freuden und Rätsel. Die leitmotivische Verwendung der Musik (als Medium der Ambivalenz und Beschleuniger rätselhafter Ereignisse), das Einziehen surrealer Szenen, überraschender Wendungen, Rückblenden und Verschränkungen fordert Rakusas Aufmerksamkeit und Fantasie heraus, und zwar aufs Schönste.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.04.2019

Sabine Peters entdeckt in den Erzählungen von György Dragoman widerständiges Potenzial. Wie Repression, aber ebenso Musik (in den vorliegenden Texten laut Peters ein Leitmotiv) und Humor Lebensgeschichten bestimmen können, erfährt die Rezensentin aus diesem Buch. Faszinierend scheint ihr, wie der Autor hier Bilder von Gewalt und Verspieltheit in enger Nachbarschaft unterbringt, wie er, laut Peters auf durchaus wechselnden Niveaus, über ambivalente Erfahrungen mit Musik erzählt. Dass Dragoman dabei im Vergleich zu seinen Romanen neue Wege beschreitet, den Horizont der Figuren und ihre Sprache erweitert, um Wege aus der scheinbaren Auswegslosigkeit zu suchen, findet Peters bemerkenswert.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.04.2019

Rezensent Christoph Schröder liest die 29 durch das Leitmotiv der Musik miteinander verbundenen Erzählungen von György Dragoman als gnadenlosen Spiegel unserer Gegenwart. Die über den Geschichten hängende bedrückende Atmosphäre führt Schröder zwar auf Dragomans Erfahrungen als Angehöriger der ungarischen Minderheit in Ceausescus Rumänien zurück. Die Wirkung aber scheint Schröder von allgemeiner politischer Gültigkeit. Mit der nötigen Aufmerksamkeit, meint er, erkennt der Leser die kunstvolle Komposition der Texte mit Leerstellen und endlos mäandernden Sätzen, die die Gedankenströme der Figuren abbilden und schließlich in alptraumhafte Konstellationen führen. Brillant und verstörend findet Schröder die Miniaturen im Band nicht zuletzt wegen ihres Humors, der ein bitteres Lachen provoziert.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 19.03.2019

Wolfgang Schneider folgt den Kurzgeschichten von György Dragoman mit Spannung. Geleitet durch das Motiv der Musik, mal in Form eines Liebeslamentos, mal als Gesang von Demonstranten, versetzt er sich immer wieder in die kindliche Perspektive, mit der der Autor in den Texten so oft auf die für ihn prägenden letzten Jahre der Ceausescu-Ära zurückblickt. Unheimliches, Traumhaftes wird so für Schneider plausibel, selbst, wenn es in den Texten um Mangelwirtschaft und Gewalt in der rumänischen Diktatur geht. Der von Timea Tanko laut Rezensent "hervorragend" wiedergegebene musikalische, rhythmische Stil und die nicht abreißende Kette sinnlicher Eindrücke in den Texten ziehen Schneider in die Geschichten hinein.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.03.2019

Lothar Müller staunt, wie raffiniert György Dragoman die Form der Novelle zu füllen weiß. Die im Band versammelten Texte bestechen laut Müller allerdings nicht durch die erwartete unerhörte Begebenheit, sondern vielmehr durch das vom Erzähler Ausgesparte oder bloß Angedeutete. Musik spielt in den 29 Geschichten eine große Rolle, erkennt der Rezensent, als Zünglein an der Waage, mit der Dragoman die Balance hält zwischen Erzähltem und Verschwiegenem, sei es in geschilderten Tagträumen oder bei der Erinnerung von Krisen. Ein Buch der einfallsreichen Menschenerkundung, so Müller, das auch die ein oder andere schwache Erzählung enthält.
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