Laszlo Darvasi

Wintermorgen

Novellen
Cover: Wintermorgen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518425527
Gebunden, 348 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer. Ein Orchester kommt bei einem Busunglück um, nur der Schlagzeuger überlebt und erfüllt den Auftrag allein: die Insassen einer Nervenklinik mit dem kollektiven Erlebnis der Musik aus dem individuellen Wahnsinn zu erlösen. Ein Mädchen steht am Fenster und beobachtet auf der Straße zwei Küssende, den Stein in der Hand, mit dem es die beiden zerschmettern will.Ein Unglück, auf das die Betroffenen nicht reagieren; kryptische Geschehnisse, in deren Zentrum das hinterrücks hereinfahrende Böse steht; Töten, ohne zu wissen, warum: um diese unheimlichen Erfahrungen kreisen die 27 kurzen Prosastücke des Bandes. Die Normalität, in der wir leben, erscheint als Insel in einem Meer aus Hass, Brutalität und Paranoia. László Darvasi, der Erkunder des Unbegreiflichen, hat früh die Novelle als Form entdeckt, in der seine Kunst der Verrätselung und Verdichtung ihren stärksten Ausdruck findet. Unbeirrt nimmt sein Erzähler den Menschen in den Blick, der seine Wünsche und Handlungen selbst nicht versteht. Darvasis Geschöpfe wirken wie Verzauberte, die zur schönsten, verrücktesten Liebestat und zum entsetzlichsten Verbrechen fähig sind. Es ist die Sprachmacht des Autors, seine buchstäblich bodenlose Phantasie, die aus den abwegigsten, albtraumhaften Szenerien Texte erstehen lässt, die mit ihrer Lakonie und berückenden Schönheit fesseln.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.04.2017

"Ganz große Literatur" sieht Ilma Rakusa in den Erzählungen des ungarischen Autors Laszlo Darvasi, der seinen grausam-bizarren Erzählwelten auch in diesem Band treu bleibt. Unter den Überschriften "Gott", "Heimat" und "Familie" entfaltet Darvasi in fünfunddreißig Erzählungen einen Triptychon von geradezu "magischer Trostlosigkeit", seufzt die Rezensentin. Sie begegnet in den kurzen Novellen vor allem Jugendlichen, Verlorenen, Verbrechern und Verrückten, die sich in ihrem eigenen Leben nicht auskennen und der "stummen Wucht" der Ereignisse ausgeliefert werden. Rakusa ist klar, dass nichts im Leben dieser Menschen die Gewalt rechtfertigt, zu der sie am Ende greifen, wenn sie denn nicht im Wahn enden, doch gerade hierin sieht sie Darvasis große Leistung: Unmerklich verschiebt sich das Reale ins Phantastische, und die ins Absurde verschobene Aggression lässt sie umso mehr frösteln.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.01.2017

So erfrischend wie aktuell findet Rezensentin Nicole Henneberg die hier versammelten Novellen des ungarischen Autors Laszlo Darvasi, den sie längst als "Meister" der Form schätzt. Wie von einem Fausthieb wird die Kritikerin von den nüchternen und "schnörkellosen" Geschichten getroffen, in denen der Autor so melancholisch wie traurig, aber auch grotesk und komisch von der Orientierungslosigkeit in Ungarn erzählt. Henneberg begegnet hier einsamen, verrohten, aber auch lebenshungrigen Figuren, die ebenso schnell von Liebeswahn wie von Mordlust ergriffen werden: Etwa jener obdachlose Bibliothekar, der mit seinem Hund in die Bücherei zieht, den Hund einer Besucherin tötet und schließlich mit ihr und den ausgestopften Hunden auf einem Sofa kuschelt, erzählt die Kritikerin. Großartig, wie exakt Darvasi ganze Welten knapp umreißt und dabei das Politische nur subtil aufscheinen lässt, lobt die Rezensentin, der kein Autor einfällt, der so klar und "sensibel" von der aktuellen Krise Europas erzählt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.12.2016

Tobias Schwartz ist elektrisiert von Laszlo Darvarsis Novellen. Wie unter Strom gesetzt, mal mit Schlägen traktiert, mal von einem Kribbeln unter der Haut gepeinigt, liest er die schwarzhumorigen, mitunter derben Texte, die laut Schwartz die ungarische Gegenwart in ihrer prekären Verfasstheit abbilden, Fremdenhass und andere gesellschaftliche Defekte unter der Regierung Orban. Wie Albträume erscheinen ihm die Geschichten um Väter, die ihre Töchter in Pornofilmen entdecken und Söhne, die ihre nutzlosen Väter verscherbeln. Dass das Grausame in den Novellen weniger vordergründig erscheint wie etwa bei Haneke oder Jelinek, mit denen Schwartz den Autor vergleicht, liegt laut Rezensent an einer "betörend" poetischen Sprache und den Ambivalenzen, die in den Texten stecken. Auch an einem frostigen Wintermorgen, meint er, ist hier immer wieder zugleich eine rettenden Wärme spürbar.
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