J. M. G. Le Clezio

Lied vom Hunger

Roman
Cover: Lied vom Hunger
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2009
ISBN 9783462041361
Gebunden, 224 Seiten, 18,95 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Uli Wittmann. Hunger ist die Grundmelodie ihres Lebens. Ethel lernt ihn während des Zweiten Weltkriegs kennen, aber nicht nur den Hunger nach Brot, sondern auch den nach Glück, nach Gerechtigkeit und Wahrheit. Ethel Brun wächst zwischen den beiden Weltkriegen in Paris auf. Mittelpunkt der Familie Brun, die von der Insel Mauritius stammt, ist Ethels Vater Alexandre, ein schwadronierender Schönling. Er lebt großspurig von seinem Erbe und schwafelt von der Vergangenheit. Die Gegenwart wird zunehmend bestimmt von nationalistischen und antisemitischen Tönen in Frankreich. Ethel leidet vor allem unter der unglücklichen Ehe der Eltern und dem ständigen Streit um Geld, denn Alexandre hat sein Vermögen verschleudert. Den drohenden Bankrott versucht er mit dem Geld, das Ethel von einem Onkel geerbt hat, abzuwenden. Vergeblich.
Ethel, kaum zwanzig Jahre alt, erkennt, dass sie die Verantwortung für die Familie übernehmen muss. Couragiert kümmert sie sich um die zerrütteten Finanzen und flieht mit den hilflosen Eltern in den Süden Frankreichs, nachdem die Deutschen Paris besetzt haben. In Nizza muss sie bittere Jahre des Hungers und der Demütigung durchstehen. Von ihren Eltern hat sie sich innerlich gelöst. Sie heiratet und wird nach Kanada auswandern, in eine Welt ohne Antisemitismus, ohne Kriege, ohne Hunger.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.07.2010

Schnörkellose Sprache, beiläufig wirkende Blicke auf alltägliche Details - so entsteht laut Lena Bopp in den Texten Jean-Marie Le Clezios unversehens eine Welt neu. Und so sieht die Rezensentin auch in diesem von Uli Wittmann, wie sie findet, "vorzüglich" übersetzten Roman Zeitgeschichte zunächst als Hintergrundmelodie einer behüteten Kindheit im Paris der 30er Jahre. Bis die Dinge in Bewegung geraten und Existentielles verhandelt wird, Wahrhaftigkeit und Leidenschaft, und das kleine Frauenporträt sich zu einem Sittenbild der französischen Gesellschaft wandelt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.12.2009

Sehr eingenommen ist Rezensent Thomas Laux von J. M. G. Le Clezios Roman "Lied vom Hunger". Der Hunger, von dem der Titel spricht, scheint ihm weniger ein physischer zu sein, als der nach einem eigenen Leben. Dieses Motiv findet er wieder in der Geschichte um die junge Ethel Brun, die im Paris der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts auf der Suche nach einem eigenen Weg ist und sich mehr und mehr von ihren Eltern emanzipiert. Wie in allen Werken Le Clezios tauchen auch in diesem Roman Gegenbilder auf, die für Laux Verluste markieren. Spätestens, wenn sich der Autor am Schluss des Romans in der Ich-Form meldet, liegt für ihn die Vermutung nah, in der Figur Ethel habe Le Clezio möglicherweise seine Mutter porträtiert. "So oder so", resümiert Laux, "bleibt dieses Buch eins der leisen Töne, unspektakulär und doch jederzeit eindringlich."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.10.2009

Großen Eindruck hat dieser Roman auf Rezensent Joseph Hanimann gemacht, der schon den Titel des französischen Originals "Ritournelle de la Faim" bestechend findet, der Hanimann zufolge nicht allein den physischen Hunger meint, sondern auch allerlei metaphysische Spielarten. Im Mittelpunkt des Romans, so Hanimann, steht eine junge Frau, die am Anfang des Buchs noch ein kleines Mädchen ist. Es geht um das Frankreich der Zwischenkriegsjahre, um den aufkommenden Faschismus. All dies lasse der französische Literaturnobelpreisträger das Mädchen aus den Gesprächen der Erwachsenen wahrnehmen, vom Schoß des Vater aus, "einem geschwätzigen Lebemann", der Gesellschaften für die Bourgoisie gibt, die über "Neger" und "geldgierige Juden" herzieht. Diese ganze Gesellschaft verursache in dem Mädchen eine Ablehnung, die - schon aufgrund ihrer Jugend - wohl eher  ästhetisch als politisch begründet ist. Wie Le Clezio diese ästhetische Abneigung in die wirklichen Hungerjahre während des Krieges überleitet - das macht für Hanimann den eigentlichen Reiz dieses Romans aus. Eine Szene, die der Rezensent besonders hervorhebt, ist die Reaktion der Pariser Gesellschaft auf Ravels "Bolero", dessen Uraufführung Le Clezios Mutter miterlebt habe.
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