Jens Balzer

Ethik der Appropriation

Cover: Ethik der Appropriation
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2022
ISBN 9783751805353
Kartoniert, 87 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

Die Rede von kultureller Aneignung ist allgegenwärtig. Infrage steht mit ihr gerade für eine progressive politische Position die Legitimität kultureller Produktion, die sich an den Beständen anderer, ihr "fremder" Traditionen bedient. Während viele diese als eine Form des Diebstahls an marginalisierten Gruppen kritisieren, weisen andere den Vorwurf zurück: Er drücke eine Vorstellung von Identität aus, die Berührungspunkte mit der völkischen Rechten aufweise. Tatsächlich, so zeigt Jens Balzer, beruht jede Kultur auf Aneignung. Die Frage ist daher nicht, ob Appropriation berechtigt ist, sondern wie man richtig appropriiert. Kenntnisreich skizziert Balzer im Rückgriff auf die Entstehung des Hip Hop wie auf die erstaunliche Beliebtheit des Wunsches, "Indianer" zu sein, in der bundesdeutschen Nachkriegszeit eine Ethik der Appropriation. In ihr stellt er einer schlechten, weil naturalisierenden und festlegenden, eine gute, ihre eigene Gemachtheit bewusst einsetzende Aneignung entgegen. Ausgehend von dem Denken des Kreolischen Édouard Glissants und Paul Gilroys "Schwarzem Atlantik" sowie der Queer Theory Judith Butlers wird eine solche Aneignungsethik auch zur Grundlage eines aufgeklärten Verhältnisses zur eigenen Identität.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.09.2022

Kai Spanke macht sich mit Jens Balzer und seinem Essay Gedanken über kulturelle Aneignung und das Überschreiten geschlechtlicher Normen mit Winnetou. Handelt es sich um Rassismus oder linke Besessenheit, wenn Appropriation im Spiel ist? Balzers Idee, dass es "geschlossene kulturelle Traditionen" nicht gibt, und sein Vorschlag, zwischen "guter" und "schlechter" Appropriation zu trennen, lassen Spanke keine Ruhe, weil er die Grenzen der "hegemonialen Mehrheitsgesellschaft" nicht ohne weiteres erkennen kann. Wenn Balzer mit Butler, Deleuze und Glissant, aber auch mit Rappern wie Afrika Bambaataa das Heterogene feiert, bleiben bei Spanke Zweifel. Lesenswert und diskussionswürdig findet er den Band aber allemal.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.09.2022

Hat es je Kultur gegeben, die nicht "kulturelle Aneignung" war, fragt Rezensent Stefan Michalzik mit Jens Balzer und eignet sich dessen Kritik an einer oberflächlichen Kritik "kultureller Aneignung" umstandslos an. Kultur, die sich nicht anderen Kulturen öffnet, so Balzer, ist von vornherein tot. Man muss nicht mit Theoretikern wie Gilroy und Glissant behaupten, dass Kultur an sich vagiere und niemandem gehöre, um nicht zwischen einer gelungenen und misslungenen Aneignung und ebenso sehr zwischen einer gelungenen und misslungenen Kritik daran unterscheiden zu können. Gelungen sei Appropriation etwa, wenn sie wie im Hiphop von Public Enemy ironische Reappropriation sei. Balzer versteht sich auf diese Unterscheidung, meint Michalzik, der den Essay darum nur empfehlen kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.09.2022

Rezensent Klaus Walter weiß zu schätzen, dass der Poptheoretiker Jens Balzer die Diskussion um kulturelle Aneignung ohne simple Verzerrungen und von einem linken Standpunkt führen möchte. Dass Balzer sich auf einschlägige Verfechter des Hybriden beruft, auf Judith Butler, Paul Gilroy und vor allem Edouard Glissant, gefällt dem Rezensenten gut, auch dass er sich mit Glissant für den Begriff der Kreolisierung stark macht, der den Glauben an eine essenzialistische Reinheit von Kultur ablehnt. Schließlich sei beim Pop alles Aneignung, Vermischung, performative Kostümierung. Die Rolling Stones haben Howling Wolfs Gitarrenriffs eben nicht nur ausgebeutet, sondern dem R'n'B-Musiker auch eine Bühne geboten. Aber wie steht es mit Cher und Beyoncé? Hier komme Balzers Konzept, gute oder böse Aneignung fein säuberlich zu unterscheiden, an ihre Grenzen. Vielleicht ist Aneignung eben auch oft beides: kalte Ausbeutung anderer Kulturen und schöne Hommage, überlegt der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.09.2022

Rezensent Thomas Ribi möchte Jens Balzer und seiner Ethik der Aneignung nicht in allem zustimmen. Wenn der Autor den Rechten die Schuld gibt, die eine Art Kulturkampf gegen die Linke über das Thema der kulturellen Aneignung initiieren wollen, legt Ribi die Stirn in Falten. Ruft Balzer hingegen zu mehr Gelassenheit in der Debatte auf, kann er der Zustimmung des Rezensenten sicher sein. Balzers Beispiele für aus seiner Sicht gute und schlechte Aneignung (Blackfacing schlecht, Aneignung mit Bewusstsein schon besser) liest Ribi mit Interesse, jedoch stellt er fest: Balzers Unterscheidungsversuche verlaufen im Ungefähren.