Jürgen Becker

Graugänse über Toronto

Journalgedicht
Cover: Graugänse über Toronto
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
ISBN 9783518427521
Gebunden, 92 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Dieses lange Gedicht besteht aus lauter kurzen Gedichten - ein widersprüchlicher Zusammenhang, wie er zustande kommt, wenn das Schreiben den Sprüngen der Assoziationen, dem permanenten Zeitenwechsel, dem Hin und Her zwischen Aktualität und Erinnerung folgt. Ein journalhaftes Schreiben, das nach den Bestandteilen der Biographie sucht und wo sie auftauchen im täglichen Geschehen, im Repertoire der Medien und Bilder, in Sprechweisen und Zitaten, in vergangenen Zeiten. Indem der Verfasser dabei den Spuren des eigenen Lebens nachgeht, bewegt er sich zugleich im Erfahrungsraum der Zeitgenossen, vergegenwärtigt er ein Früher, das im Hier und Heute weiterwirkt. Eine Geschichte von Stimmungen und Erfahrungen, aufgereiht in einer Gedichtkette, die ein ganzes Jahrhundert mit sich zieht, vom Steckrübenwinter des Ersten Weltkriegs bis zur Italienischen Woche beim nächsten Discounter.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.09.2017

Rezensent Christian Metz staunt über Jürgen Beckers archivalische Qualitäten. Dass der Dichter sich im Alterswerk auf das Umschichten der Erinnerung im Modus der Wiederholung verlegt, findet Metz in Ordnung. Das in lockeren Versen daherkommende Langgedicht schreitet also vertraute Orte ab, erklärt der Rezensent, Ländliches, Scheune, Speicher und auch Koffer. Immer wenn etwas daraus aufleuchtet, spürt Metz die Meisterschaft des Autors, noch aus dem Verstaubtesten Glanz zu polieren oder aus dem Gar-nicht-Vorhandenen. Dass der Band auch Momente eines routinierten Lamentos hat, kann Metz grad so verkraften.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.09.2017

Rezensent Christoph Bartmann kann nicht genug von Jürgen Beckers Lyrik kriegen, von der Ruhe und Sanftmut, die diese ausstrahlt. Becker nimmt Alltägliches, Gewöhnliches und gewohnt Ungewöhnliches konstant auf und hält es in seinen Journalgedichten fest. Als "deutschsprachigen Meister" dieser Form bezeichnet Bartmann den Autor. Er lobt die Klarheit der Prosagedichte, die, wie er versichert, ohne protzige Metaphern, ohne aufwendige sprachliche Verhüllungstechniken und Symbole auskommen. Und er empfiehlt, Beckers Langgedicht stets griffbereit zu haben, um bei Gelegenheit immer wieder ein/zwei Sätze daraus und darin zu lesen, denn das sei Freude und Labsal.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.08.2017

Rezensent Eberhard Geisler lobt die Unverdrossenheit in den Journalgedichten von Jürgen Becker. In seinen Langgedichten vermischt er Erinnerungen an seine Jugend aus dem Zweiten Weltkrieg, den Einmarsch der Roten Armee und die Vertreibung seiner Familie mit Aktuellem, Asylanträgen, Klimakonferenzen und Fremdenhass. Dabei gelingt es ihm, so Geisler, trotz seines hohen Alters frisch und überraschend zu bleiben. Den prosaischen Titel des Werkes, "Graugänse über Toronto", beschreibt der Rezensent als eine Anlehnung an die Einsichten der Ästhetik, die bestimmend sind für die Moderne: ein Bürgertum das sich hauptsächlich für seine Geschäfte interessiert und die langsame Zubetonierung Europas, vor der Jürgen Becker immer warnte.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 08.07.2017

Rezensent Herbert Wiesner mag die "Wortarchitektur" des Journalisten Herbert Wiesner, in der "Schönheit und Schauder" ganz nahe beieinander liegen. Entsprechend erfreut nimmt der Kritiker Beckers "Journalgedicht" zur Hand, das im Stil von William Carlos Williams "Paterson" von einem ganzen Jahrhundert erzählt. Wiesner begleitet den stets genau beobachtenden Autor durch den Steckrübenwinter von 1916/17, erinnert sich an Tommy Dorsey, Sepp Herberger oder Cary Grant und kommt mit Becker schließlich in der Welt der Drohnen und Tweets an. Großartig, wie knapp und "sinnlich" der Autor seine "Assoziationsschübe" verknüpft, schwärmt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.06.2017

Lektüre, besser als Sternenstaub, bekommt Martin Oehlen mit Jürgen Beckers autobiografischen Journalen. Ob der Autor Prosa schreibt oder zu Versen greift, wie in diesem Band, ist Oehlen ganz gleich. So lange Becker nur weiter schön das Vergangene mit dem Gegenwärtigen kreuzt, Beobachtungssplitter sammelt und kombiniert und so den Leser mit fortträgt auf seiner Chronikwelle. Betörendes und Banales sprengen fast den (metrischen) Rahmen, meint Oehlen. Themen wie das Vergehen der Zeit nimmt der Autor laut Rezensent ohne Selbstmitleid, aber detailreich, genau und poetisch. Lohnt das Wieder- und Nochmallesen, versichert er.
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