Matthias Nawrat

Die vielen Tode unseres Opas Jurek

Roman
Cover: Die vielen Tode unseres Opas Jurek
Rowohlt Verlag, Reinbek 2015
ISBN 9783498046316
Gebunden, 416 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Viele Tode musste Opa Jurek in seinem Leben sterben: im besetzten Warschau, nachts auf der Straße, wo er in der Sperrstunde zwei deutschen Soldaten in die Arme läuft. In der "weltberühmten" Ortschaft Oświęcim, in der er als Zwangsarbeiter den Todeshunger kennenlernt. In Opole, der vom Krieg zerstörten Stadt auf dem Mond, wo er vor den leeren Regalen seines Lebensmittelgeschäfts Nr. 6, noch immer sterbenshungrig, von Delikatessen und mehrgängigen Mittagessen träumt. Und auch, als er schon längst mit Oma Zofia verheiratet ist und ihre Tochter sich in einen schulbekannten Delinquenten und Sohn regimekritischer Eltern verliebt, der sie nach Kanada entführen will … Denn da steigt Opa Jurek, inzwischen Direktor eines Warenhauses, für kurze Zeit zum erfolgreichsten Delikatessenverkäufer von Opole auf - und findet sich, scheinbar unschuldig, in der Todesdunkelheit einer Zelle wieder.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.03.2016

Das Chaos der Welt in einem Haufen liebenswürdiger Schnurren aufgehoben, so lässt es sich Rezensent Rainer Moritz gefallen. Bei Matthias Nawrat und seinem Roman über 60 Jahre polnischer Geschichte aus der Schelmenperspektive eines mit reichlich Chuzpe begabten Helden-Opas fühlt er sich daher gut aufgehoben. Dass der Roman auch ein Familienepos ist und ein Füllhorn komischer Episoden, das der Autor laut Rezensent mit leichter Hand entleert, macht das Buch für Moritz zur höchst unterhaltsamen Lektüre.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.11.2015

Mit gemischten Gefühlen bespricht Konstantin Ulmer Matthias Nawrats neuen Roman "Die vielen Tode unseres Opas Jurek". Zwar muss der Kritiker meist über die Schelmengeschichten, die die Enkel über ihren Opa an dessen Grab erzählen, lachen - gelegentlich gerät ihm das Buch aber doch ein wenig zu albern. Nicht sonderlich gewagt, aber doch zumindest "solide" findet der Rezensent Nawrats Annäherung an die Geschichte Polens, die er in 32 Episoden anhand der verschiedenen Biografien der Familie von Opa Jurek erzählt. Trotz einiger unbeholfener Passagen bewundert Ulmer den schwarzen Humor, mit dem hier etwa von Jureks Erfahrungen in Auschwitz erzählt werde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.10.2015

Nahezu "perfekt" erscheint Rezensent Artur Becker Matthias Nawrats neuer Roman "Die vielen Tode unseres Opas Jurek", der Unmögliches möglich macht: Die ganze Geschichte Polens, insbesondere des zwanzigsten Jahrhunderts, anhand des titelgebenden Opas Jurek zu erzählen. Referenzen zu Bohumil Hrabal, Bruno Schulz, vor allem aber Witold Gombrowicz macht der Kritiker hier aus, etwa wenn er die geniale Mischung aus Sarkasmus und Empathie lobt. Mehr noch: Becker lauscht mit angehaltenem Atem dem "narrativen Tragödienchor" der Enkelkinder des kauzigen Jureks, die bei seinem Begräbnis episodenhaft an seine Zeit in Auschwitz, die Rückkehr in die Heimatstadt Opole, das Überleben unter dem Stalinismus, schließlich die Arbeiterproteste von 1970 und den Mauerfall erinnern. Dabei lässt sich der Kritiker ganz von Nawrats rhythmischer, "wellenartig" ansteigender und sanft wieder abebbender Sprache mitreißen und verspürt auf jeder Seite die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben im Angesicht des Bösen und der Hoffnungslosigkeit.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.10.2015

Christoph Schröder würde die ersten 80 Seiten des Romans von Matthias Nawrat gerne neu schreiben. Hier nämlich, im Sprechen über die Erlebnisse des titelgebenden Großvaters in Auschwitz, greift der Autor mit seiner kindlichen Perspektive daneben, findet er, weil ihm die "Leiderfahrung" und die sprachlichen Mittel fehlen, anders als Imre Kertész, der den Schrecken unter der Folie des Berichteten sichtbar macht, meint Schröder. Allerdings weiß er auch um die Ambitioniertheit des Textes, der 60 Jahre polnische Geschichte aus den Erinnerungen des Enkels an die Erinnerungen des Großvaters, als Schelmenroman zu erzählen versucht. Ab Seite 80 gelingt das auch, versichert Schröder. Nawrats satirisches Talent erfasst die Absurditäten des sozialistischen Nachkriegsalltags und ihre Tragikomik.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2015

Rezensent Tomasz Kurianowicz ist begeistert von der Gratwanderung zwischen Tragik und Komik, Wirklichkeit und Fiktion, die Mathias Nawrat in seinem dritten Buch unternimmt. Dass ein Autor uns die neuere Geschichte Polens anhand eines Einzelschicksals derart klug und witzig verdichtet vermittelt, ist dem Rezensenten noch nicht untergekommen. Zentral für die Haltung der Figuren und des Erzählers scheint Kurianowicz der tragische, der "invertierte" Witz, mit dessen Hilfe sich Ungerechtigkeit und Leid ertragen lassen. Hinzu kommt laut Rezensent eine zwischen Poesie und Parteiduktus changierende Sprache. Erst mit diesen Mitteln scheint Kurianowicz dieser Schelmenroman über die Hinterhältigkeiten des 20. Jahrhunderts und die Erlebnisse von Opa Jurek in Auschwitz und später im kommunistischen, kaputten Polen überhaupt möglich.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.10.2015

Mit "Die vielen Tode unseres Opas Jurek" ist bereits der dritte Roman Matthias Nawrats erschienen, verkündet Rezensent Nico Bleutge, der den Autor allein für sein geniales Spiel mit literarischen Ideen schätzt. In diesem Fall sind es Versatzstücke des Schelmenromans, erklärt der Kritiker, der hier einem Chor klug arrangierter Sprechweisen, ihren Affekten, Vorurteilen und ideologischen Hintergründen lauscht. Ein Jahrhundert polnischer Geschichte, beginnend im Warschau der Zwanziger Jahre bis in die Nach-Wende-Zeit, erlebt der Rezensent auf vielen verschiedenen Wahrnehmungsebenen und bewundert dabei Nawrats Kunst der Umkehrung, die gängige Denkmuster nicht selten in ihr Gegenteil verkehre. Insbesondere hebt der Rezensent das Kapitel über die Zeit des Großvaters in Auschwitz hervor: Absurder, komischer noch als Roberto Benigni in "La vita è bella", lobt Bleutge, der zwar nicht jedem Kapitel die gleiche "dialektische Schärfe" attestiert, diese bewegungsreiche, mit Klischees und Vorurteilen spielende Erinnerungssuche aber dennoch uneingeschränkt empfehlen kann.
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