Michael Kumpfmüller

Durst

Roman
Cover: Durst
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2003
ISBN 9783462033168
Gebunden, 224 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

In der Hitze des Hochsommers, als selbst die Grünflächen in ihrer Wohnsiedlung versteppen, versucht eine junge Frau, aus ihrem Leben zu fliehen. Sie packt einen Rucksack und macht sich davon. Zurück bleiben ihre beiden kleinen Kinder und ein paar Päckchen Saft. Die Frau will nicht lange fortbleiben, und obwohl sie nicht weit kommt, findet sie nicht mehr zurück. In seinem zweiten Roman lässt sich Michael Kumpfmüller auf ein Thema ein, vor dem sich die Gesellschaft mit Abscheu und Dämonisierung schützt: eine Mutter, die tötet. Die Frage nach dem Naheliegenden leitet die Erzählung: Was, um alles in der Welt, treibt diese Frau, während in ihrer Wohnung das Entsetzliche geschieht?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.06.2004

Der Rezensent Hans Christian Kosler ist beeindruckt von dem zweiten Buch des Überraschungserfolgsautors Michael Kumpfmüller - auch wenn er im ersten Moment etwas vor den Kopf gestoßen scheint von der Themenwahl, die in eine ganz andere Richtung geht als bei seinem vergnüglichen Debüt. "Durst" beleuchtet aus verschiedenen Blickwinkeln die wahre Geschichte einer Frau, die ihre zwei Kinder verdursten ließ. Der teilnahmslose Blick des Autors gefällt dem Rezensenten. "Ohne kausale Zusammenhänge herstellen zu wollen und damit den Leser auf eine bestimmte Fährte zu setzen, zieht er ihn durch die poetische Genauigkeit seiner Bilder in Bann." Er vergleicht die gelungene "heikle Gratwanderung" zwischen Anschaulichmachen einer Motivation und Verständnis mit der Arbeit des Regisseurs Krzysztof Kieslowski. "Die Fremdheit, die Kumpfmüller durch seinen filmischen Blickwinkel suggeriert, wird durch die karge Diktion seines Romans noch verstärkt". Kosler jedenfalls ist sehr beeindruckt von dem Können, das der Autor hier auf neuem Terrain beweist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.11.2003

"Zu einem derart brisanten Stoff gehört mehr als nur der Mut, ihn einfach aufzugreifen." Oliver Fink stört an Michael Kumpfmüllers Zweitling vor allem die unangemessene Sprache, mit der der Tod zweier Kinder beschrieben wird, eingesperrt und allein gelassen von ihrer vielfach überforderten Mutter. Die Beiläufigkeit des Stils, die bei Kumpfmüllers Debüt "Hampels Fluchten" noch für fruchtbare Diskussionen gesorgt habe, wirke nun einfach fehl am Platze. Dabei wäre das literarische Motiv an sich gar nicht so uninteressant, findet Fink, allerdings scheitere Kumpfmüller diesmal an der komplexen und problematischen Disposition seiner Protagonistin. "Eigentümlich parfümiert" wirke die Sprache, Gewalt erscheine bei der Lektüre als "modisches Accessoire", und der "vermeintliche Kunstgriff" der Abstraktion rücke das Ganze in eine "befremdliche Schieflage".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2003

Langer Vorrede kurzer Sinn: Robin Detje ist erstaunt, dass der mit seinem ganz ansehnlichen Erstling von der Literaturkritik in den Erfolg geredete und gepuschte Autor Kumpfmüller nun ein mehr als ansehnliches, nämlich ein lesenswertes Buch vorlegt. Dennoch kann sich Detje nicht verkneifen zu erwähnen, dass Kumpfmüller zu der Sorte Autor gehört, der in einer Stretch-Limousine a la DeLillo "in der Plattenbausiedlung vorfährt und sich einfühlt, ohne auszusteigen". Ein Umstand, der eigentlich nicht erwähnenswert ist, denn Kumpfmüller ist die Einfühlung "hervorragend gelungen", lobt Detje. Kumpfmüller ergreife sogar Partei für seine Antiheldin, eine Frau und Mutter zweier kleiner Kinder, die diese in der Wohnung zurück- und dem Tod überlässt. Er schreibt aus der Perspektive dieser Frau, erläutert Detje, schenkt ihr Sätze, die sie vermutlich nie hätte formulieren können. Dahinter versteckt sich eine Grundhaltung, die Detje imponiert: Erbarmen. Im übrigen macht er bei Kumpfmüller einige Motive aus, die sich durch beide Romane ziehen: das Thema des Verrats und einer tödlichen Passivität. War Kumpfmüllers Debütroman "Hampels Fluchten" ein "epischer Großangriff" auf die bundesdeutsche Gesellschaft, so Detje, dann ist "Durst" die auf den Punkt gebrachte Miniatur.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.09.2003

Für Verena Auffermann ist dieser Roman um eine junge Frau, die ihre beiden Kinder in der Plattenbauwohnung einschließt, zu ihrem Liebhaber geht und die Kinder damit dem Tod durch Verdursten überlässt, gescheitert. Die Handlung beruht auf einem wahren Fall, der sich 1999 zugetragen hat, weiß die Rezensentin, und sie empfindet die Idee des Autors, die Geschichte sowohl aus der Sicht eines neugierigen Erzählers, als auch in inneren Monologen der Frau zu erzählen, eigentlich als "gelungene Annäherung. Doch stört die Rezensentin, dass Michael Kumpfmüller die Kommentare und Bestandsaufnahmen der jungen Mutter mitunter in Pathos kippen lässt. Durch das Springen zwischen den beiden Stimmen werde zudem mitunter völlig unklar wird, wer gerade spricht. Die "philosophischen Anwandlungen" der Protagonistin findet sie schlicht nicht glaubwürdig; so mag es Auffermann der Figur nicht abnehmen, wenn sie beispielsweise "vom besseren Selbst faselt" oder poetische Betrachtungen von sich gibt. Hier fehlt die Konsequenz, so die Rezensentin streng, die moniert, der "harte Fall" sei zu "weich erzählt".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.08.2003

Erstaunt und positiv überrascht zeigt sich Oliver Pfohlmann angesichts des neuen Romans von Michael Kumpfmüller, der so ganz anders ausgefallen ist als dessen "süffig erzähltes" Debüt und Schelmenepos "Hampels Fluchten". Jetzt also ein tragischer Stoff, noch dazu aus der Wirklichkeit genommen, zum Protokoll eines Kriminalfalls verarbeitet, das laut Pfohlmann dennoch weit mehr als das Protokoll eines Verbrechens umfasst: eine Mutter, die ihre zwei kleinen Kinder zwei Wochen lang in ihrer Wohnung sich selbst überlässt, so dass diese verdursten müssen. Kumpfmüller lässt sich auf das Risiko ein, chronologisch aus der Perspektive der Frau zu berichten, einen "Tunnelblick" zu wagen, schreibt Pfohlmann, in dem die widerstreitenden Gefühlslagen der Frau, ihr amoralischer Lebenswille, ihr schwaches Ego, ihr Alleingelassensein in einer kommunikationsunfähigen Umgebung zur Sprache kommen: in einer "atemloses, empathischen Prosa aus Sätzen, die immer etwas weiter gehen, als man denkt". Der Leser werde dabei, merkt Pfohlmann an, zum Psychoanalytiker und Gesellschaftskritiker in einem, denn so sachlich sich die minutiöse Rekonstruktion der Geschichte gebe, setze sie doch einen großen Erklärungsbedarf frei. Insofern sei "Durst" ein zutiefst menschliches Buch, das einer Meditation über das Böse in der Gesellschaft gleichkommt, ohne anklagend zu sein.
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