Michail Ossorgin

Eine Straße in Moskau

Roman
Cover: Eine Straße in Moskau
Die Andere Bibliothek, Berlin 2015
ISBN 9783847703679
Gebunden, 500 Seiten, 42,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Ursula Keller unter Mitarbeit von Natalja Sharandak. Der Titel ist Reminiszenz an das alte Russland: Siwzew Wrazhek ist der Name einer kleinen, am Arbat gelegenen Straße im Zentrum Moskaus, die seit Ende des 19. Jahrhunderts Mittelpunkt des intellektuellen Lebens der ersten Hauptstadt des Zarenreichs war. "In einer fremden Stadt entlieh ich den Titel meines ersten großen Romans bei einer der bemerkenswertesten Straßen meiner Heimatstadt." Der in zwei Teile gegliederte Roman beginnt im Frühjahr 1914, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, und endet in Erwartung des Frühlings im Winter des Jahres 1920. Er ist gleichsam Chronologie der Ereignisse, die nicht linear erzählt, sondern in kinematographischer Montagetechnik miteinander verknüpft werden. Im Zentrum stehen die Vertreter der alten Werte, die durch die Kataklysmen jener Jahre - den Ersten Weltkrieg, die Revolution und den Bürgerkrieg zwischen den "Roten" und den "Weißen" - hin- und hergeworfen werden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.03.2016

Rezensentin Nadja Erb freut sich sehr über die Wiederentdeckung des ersten und, wie sie findet, grandiosen Romans des Russen Michail Ossorgin aus dem Jahr 1928. Die Übersetzung findet sie klar, den Text überzeugend durch seine Verzahnung des Mikrokosmos' eines Ornithologen mit Krieg und Revolution. Dass der Autor Zeiten und Orte durcheinanderwirbelt und in kurzen Szenen und Traumsequenzen und mit wechselnder Perspektive erzählt, scheint Erb zwar durchaus zu fordern, aber noch mehr Freude zu machen. Ein vielstimmiger Chor und ein Bildermosaik von expressionistischer Wucht, findet sie, die den Terror und das Grauen umso gewaltiger wirken lassen, ebenso wie die Enttäuschung des sozialrevolutionären Autors.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.03.2016

Dieser 1928 in einem Pariser Emigrantenverlag erstmals erschienene Roman ist eine wunderbare Entdeckung der "Anderen Bibliothek", freut sich Rezensentin Sonja Vogel. Michail Ossorgin erzählt am Beispiel der Bewohner einer kleinen, grad mal 40 Häuser umfassenden Straße in Moskau von Freuden und Leiden der Menschen zwischen dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem mit der Hoffnung auf eine langsame Normalisierung verbundenen Frühling 1920, erfahren wir. Hauptpersonen sind der Ornithologe Iwan Alexandrowitsch, dessen bürgerliche Welt langsam zusammenbricht, und seine Enkelin Tanjuscha, für die sich der Blick trotz allen Unglücks weitet. Das Buch hat einen "ironischen Unterton", wird zum Ende hin aber immer bitterer, verzeichnet Vogel. Sie ist voll des Lobs für Ossorgins "ganz eigene, einzigartige Sprache". Übersetzerin Ursula Keller hat daran einen wichtigen Anteil, ist sie überzeugt. Eine nachdrückliche Leseempfehlung!

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.02.2016

Groß, reich und kompositorisch überzeugend findet Jan Koneffke Michail Ossorgins im Pariser Exil entstandenes Moskauer Gesellschaftsporträt der Jahre 1914-1920. Die kurzen Kapitel, raschen Perspektivwechsel und mannigfachen Figuren und Geschichten sowie der beständige Wechsel von Mikro-zu Makroeinstellung ergeben für Koneffke ein facettenreiches, lyrisch-symbolisches Tableau der Kriegszeit. Den alles zermalmenden Geschichtsprozess vermag der Rezensent so gut zu erkennen, Trost findet er in der Erzählung allerdings  nicht: "Der Makrokosmos kennt kein Mitleid."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.12.2015

Thomas Urban ist froh, dass Michail Ossorgins bereits 1929 unter dem Titel "Der Wolf kreist" erschienener Roman nun in einer gelungenen Neuübersetzung und erstmals in voller Länge wiederentdeckt werden kann. In 86 Szenen erlebt der Kritiker, wie sich das Leben des Ornithologen Iwan Alexandrowitsch, seiner Frau und der bei ihnen lebenden verwaisten Enkelin Tatjana in den Jahren zwischen 1914 und 1920 während des Ersten Weltkriegs und der Revolution verändert. Erschüttert liest Urban, wie die kleine Familie verarmt, die Wohnung mit einem Dutzend fremder Menschen teilen muss und wie die "Tscheka" willkürlich verhaftet und ermordet. Im Gegensatz zu Tolstoi oder Pasternak hat Ossorgin kein umfassendes politisches Panorama der Zeit geschrieben, sondern konzentriert sich vielmehr auf das Private, informiert der Rezensent, der nach der Lektüre auch viel über die heutige russische Gesellschaft gelernt hat.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2015

Dieser Roman ist die literarische Sensation des Herbstes. Bringt glatt den Kanon in Ordnung - jedenfalls soweit es die russische Literatur betrifft, meint der hier rezensierende Martin Mosebach. Michail Ossorgins Roman "Siwzew Wrashek" - "Eine Straße in Moskau" erschien 1928 in einem Pariser Emigrantenverlag, lesen wir. Der Verfasser war 1922 zusammen mit 224 weiteren Intellektuellen aus der Sowjetunion verwiesen worden. Obwohl Ossorgin die Revolution anfangs unterstützt hatte, begriff er bald, dass hier nur ein Terror einen anderen ablöste, erzählt Mosebach. "Eine Straße in Moskau" erzählt von der Welt, die in der Revolution unterging - einer bescheidenen Welt, die sich durch "verträumte Kunstliebe und Gastfreundschaft" auszeichnete, so der Rezensent. Ossorgin schildert diesen Umbruch schildert nicht chronologisch erzählend, sondern indem er immer wieder schlaglichtartig einzelne Personen beleuchtet. So nah kommt Mosebach ihnen dabei, dass er sogar mit dem größten Schurken mitleidet.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 15.08.2015

Klaus Ungerer kann gar nicht genug beteuern, wie sehr dieser wiederentdeckte Roman aus dem Jahr 1928 schon immer in den Kanon der großen Gesellschaftsliteratur von Bulgakow über Fallada bis Arnold Zweig gehörte. Dass er jetzt wieder da ist, veranlasst den Rezensenten zur großen Willkommensgeste. Die Geschichte, die Michail Ossorgin erzählt, in einem Moskauer Haus, an einem Abend, umfasst laut Rezensent nicht weniger als den Untergang des Zarenreichs, die Wirren des Ersten Weltkriegs und die nachfolgenden Umstürze und den Terror, alles gut konsumierbar in der Art eines großen Wurfes, versichert Ungerer, der den russischen zentralperspektivischen "Puppenstubenfatalismus", der all das anhand von schicksalhaft geworfenen Menschenleben erzählt, ganz offensichtlich sehr schätzt. Ein Klassiker. Aus dem Nichts, meint er.