Norbert Scheuer

Kall, Eifel

Erzählungen
Cover: Kall, Eifel
C.H. Beck Verlag, München 2005
ISBN 9783406535543
Gebunden, 190 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Vor Arimonds Gastwirtschaft binden die jungen Männer einem Hahn die Krallen zusammen und ziehen ihn am Seil hoch. Auf den Schultern eines Trägers sitzend, betrunken und mit verbundenen Augen schlagen die Männer nach dem Hahn. Milli, mit kleinen schimmernden Federn im Haar, schaut zu, und Braden glaubt, sie würde ihm gehören, wenn er nur Hahnenkönig würde. Rituale aus dem kleinen Ort in der Eifel, der das Zentrum von Norbert Scheuers neuem Buch bildet. Wie in Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio" sind die Geschichten in diesem Buch einzelnen Menschen aus dem Ort gewidmet und bilden zusammen, sich ergänzend und vernetzend, das Gewebe nicht nur dieses Städtchens ab, sondern einer ganzen Welt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.11.2005

In dem kleinen Dorf Kall in der Eifel muss man nicht unbedingt leben, schaudert der Rezensent Martin Krumbholz, wenn er seine Eindrücke über Norbert Scheuers Prosaband "Kall, Eifel" zu fassen versucht. Der Autor selbst möchte sein Buch nicht unbedingt als Roman klassifiziert wissen, eher schon als lose verknüpfte Sammlung von Geschichten, die sich um die vom Schicksal geplagten etwa zwei Dutzend Figuren, vom Schuhhändler bis zum Fischzüchter, drehen. "Glück", "Liebe", "Hochzeit", "Ameisen", "Hecht", "Kalbskopf": die Kapitelüberschriften vermischen Menschliches mit Tierischem und das sei nicht verwunderlich, findet Krumbholz. Er fühlt sich geneigt das Buch als "Panorama über das Leben in der Provinz" zu bezeichnen. Es sei gezeichnet von den "körperlichen und seelischen Beschädigungen" seiner Figuren, von den "Defiziten des Lebens". Gleichzeitig strahle es aber eine "empathische Wärme", entwerfe "Fluchtpunkte, Utopien, Glücksmomente", so dass sich Krumbholz geneigt fühlt eine präzisere Definition für das Dorf-Panorama zu finden und nennt es schließlich "Kaleidoskop einer rustikalen Gesellschaft". Auch die nüchterne, knappe und präzise Sprache des Autors mag daran nichts ändern, dass der Autor Kall zu einem "wahren Platz" verdichte, den "man förmlich riechen" könne, resümiert Krumbholz.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

Nicht nur mit dem Titel lehnt sich Norbert Scheuers Erzählungsband an Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio" an, stellt Ulrich Rüdenauer fest. In seinen Geschichten aus der Eifel erzählt der Autor von "seelisch deformierten" Menschen, die in der Kleinstadt in einem trüben Alltagsleben gefangen sind, schreibt der Rezensent. Dabei werde in den Texten allenthalben die "Sprachlosigkeit" und die "Leere" spürbar, die die Menschen bedroht, so Rüdenauer weiter, der betont, dass Scheuer keinen "glücklichen Ort", sondern eine "verfallende Heimat" evoziert, die, wenn überhaupt, nur kurze "Glücksmomente" aufscheinen lässt. Der Erzähler bleibe dabei stets distanziert, wenn er auch aufmerksam diese "Szenerien der Melancholie", sei es im Wirtshaus bei den Betrunkenen oder bei den den "Zügen hinterher schauenden Jugendlichen", protokolliert. Scheuers Prosa ist "schmucklos und wenig anheimelnd", derweil aber dennoch "wirkungsvoll" lobt Rüdenauer, der ihm attestiert, präzise die "Risse und Wunden" der deutschen Provinz zu zeichnen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2005

"Das Kaff in uns" hat Michael Kohtes in Norbert Scheuers 45 locker verknüpften Miniaturen über die Bewohner des Dorfes Kall in der Eifel gefunden. Exzentriker, Selbstmörder, Verlassene und Verzweifelte, Scheuers Figuren scheinen dem Rezensenten Bewohner einer "zeitlosen Trostlosigkeit" zu sein. Er bewundert Scheuers Trick, gleichzeitig "spröde" und sachlich zu schreiben und doch "mit wenigen Strichen" die Szenerie von der Landschaft bis zum Licht einzufangen und damit eine Atmosphäre zu erzeugen, die die "Verlorenheit" der Figuren noch deutlicher herausstreicht. Norbert Scheuer ist für Kohtes ein gutes Beispiel für das literarische Potenzial der deutschen Provinz. Allerdings hätte er sich etwas weniger aufdringliche Metaphern gewünscht, und auch die Kunst des Weglassens von einigen schwächeren Episoden solle sich Scheuer von seinen amerikanischen Vorbildern wie Sherwood Anderson noch abgucken. Dabei beherrscht Scheuer den schriftstellerischen Minimalismus durchaus: Kothes findet zu seiner Freude ganze Biografien zwischen den Zeilen.
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