Paul Auster

Nacht des Orakels

Roman
Cover: Nacht des Orakels
Rowohlt Verlag, Reinbek 2004
ISBN 9783498000646
Gebunden, 286 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Der Schriftsteller Sidney Orr, 35, wohnhaft in Brooklyn, ist nach einem schweren Unfall auf dem Weg der Genesung. Als er in einem Schreibwarengeschäft von einem mysteriösen Chinesen ein wundervolles blaues Notizbuch kauft, verschwindet auch seine Schreibhemmung, die ihn seit dem Unfall plagt. Die Geschichten fliegen ihm nur so zu: eine gebiert eine andere, diese die nächste, und so taucht er ein in ein Labyrinth von Erzählungen, bis ihm langsam dämmert, dass diesen Geschichten eine seltsameNeigung innezuwohnen scheint. Sie beginnen fulminant und führen immer häufiger in ausweglose Situationen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.08.2004

Das Buch ist ein typischer Paul Auster, meint Rezensent Kai Martin Wiegandt. In dem Roman gehe es wieder um Helden, "die merkwürdige Zufälle zu begreifen versuchten, die ihnen Antwort auf die Frage versprachen, wer sie seien". Der neue Held hießt Sidney Orr, ein Schriftsteller aus Brooklyn, der durch den Kauf eines mysteriösen Notizbuches seine Schreibhemmung überwindet und von einem Verleger namens Bowen erzählt, der wiederum das Manuskript "Nacht des Orakels" liest. Austertypisch, so befindet der Rezensent, ist die Ausweglosigkeit, mit der sich der Ich-Erzähler in Erzählstränge und Anekdoten verstricke, "die sich immer neu verzweigen, intellektuelle Verweise generieren, einander überholen und sich ineinander verheddern". In diesem entstehenden "Sog" folge der Leser "immer atemloser" dem Erzähler. Der Rezensent entdeckt darin den Spieltrieb des Autors, der Literatur schaffe, "die unterhält, sich dabei aber ständig über die Schulter schaut und flüstert: just words".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.05.2004

Der Romantitel trägt seinen orakelhaften Namen zu Recht, beteuert Jürgen Brocan und erläutert (worauf wir an dieser Stelle verzichten wollen) die schwer nachvollziehbaren Windungen und Wendungen dieses Schriftsteller-Romans, in dem Paul Auster sich mal wieder als "Meister der Variation" und souveräner Herrscher über Chaos und Ordnung erweist. Kunstvoll habe der Autor ein "beinahe erdrückendes" System an Verdoppelungen, Spiegelungen und Wiederholungen aufgebaut, in dem Realität und Fiktion ständig vermengt würden, verkündet der Rezensent begeistert und gar nicht er- oder bedrückt. Brocan verleiht vielmehr seiner Bewunderung Ausdruck, mit welcher Ökonomie Auster die verschiedenen untereinander und aufeinander verweisenden Ebenen eingezogen hat und wie dicht seine Motive komponiert seien. Das mache die Lektüre des Romans einerseits zu einem unterhaltsamen Vergnügen, dem Brocan andererseits auch nachdenklich machende Momente abgewinnen konnte. Der Roman werfe mehr Fragen auf als er beantworten könne, bestätigt der Rezensent und hat daran nichts auszusetzen. Im Gegenteil: "Nacht des Orakels" sensibilisiere dazu, immer mehr Fragen zu stellen, freut sich Brocan.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.05.2004

Sebastian Domsch steht diesem neuen Roman von Paul Auster skeptisch gegenüber, denn diesmal ist die Erzählung ein bisschen zu exemplarisch für das postmoderne Dilemma, aus dem Auster seine schriftstellerische Ambition zieht: "Nichts sagen zu können, aber weiterreden zu müssen". Obwohl der Schriftsteller die Masken und Aufsplitterungen seiner selbst, mit denen er von jeher in seinen Romanen so gerne spielt, diesmal "so weit wie noch lüftet", führt das zu keiner für den Leser besonders befriedigenden Auflösung: "Sein neuester Roman, der als metafiktionale Routinearbeit beginnt, endet überraschend mit dem schmerzhaften Einbruch der Realität. Beide Teile aber wollen nicht so recht zueinander finden" findet Domsch. Erzähltechnisch ist Auster aber auch bei diesem Roman wieder auf der Höhe seiner Kunst, auch die von ihm gekonnt betriebene Aneignung neuer Genre - in diesem Fall das "romantische Doppelgängermotiv" - gelingt ihm wieder. Doch die in einer bewusst konstruierten Sackgasse endenden Binnenerzählungen des Romans wirken für den Rezensenten etwas zerfasert. Außerdem findet Domsch, dass Auster dann auch die Haupterzählung in einer Sackgasse hätte enden lassen sollen, das wäre dem Inhalt angemessener gewesen. Oder noch besser: Auster hätte aus der Erzählebene, auf der er seine "Masken lüftet", eine eigene Geschichte machen sollen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.04.2004

Nicht eines der "besten", aber doch eines seiner "interessantesten" Bücher sei der neue Roman von Paul Auster, urteilt Hans-Peter Kunisch. Denn die Geschichte eines angeschlagenen Schriftstellers, der in einem blauen Buch das Leben eines ebenso in der Krise befindlichen Mannes festhält, werde auf den zweiten Blick zu einem sehr "persönlichen" Werk des Autors. Der Rezensent hält es für möglich, dass Teile des Romans wie die "verstörenden Szenen" um einen gewissen Jakob, der sich über die Grenzen des Gesetzes hinauswagt, Ereignisse aus der Geschichte des Autors selbst wiederspiegeln - immerhin sei Austers Sohn aus erster Ehe wegen Diebstahls in New York verurteilt worden. Lebensnah oder nicht, der Rezensent ist sich zumindest in seinem Urteil über den Stil des Autors sicher. Trotz vieler "Verschachtelungen und Verpuppungen" bleibe die Erzählstimme "gemessen, selbstsicher", was immer sie berichte. Selbst die langen Fußnoten "sind so anschmiegsam" geschrieben wie der Rest des Textes. Insgesamt keine leichte Kost, aber doch ein Buch, mit dem man dem "Maskenbildner" Auster ein Stück weit "auf die Spur" kommen könne.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.04.2004

Ulrich Sonnenschein hält Paul Austers neuen Roman schlichtweg für gescheitert und in die "Sackgasse der Postmoderne" geraten, die für Sonnenschein darin besteht, "der Literatur ihren Gegenstand zu nehmen und an seine Stelle das Schreiben selbst zu setzen." Austers Geschichte eines blockierten Schriftstellers, der durch ein mysteriöses Notizbuch seine Kreativität wiederfindet, verliere sich in immer wieder neuen Ansätzen von Erzählungen, die weder konsequent zuende geführt werden, noch Parallelen aufweisen, kritisiert unser Rezensent. Nicht einmal als "Zeugnis einer fragmentierten Wirklichkeit" tauge dieser Roman, so Sonnenschein; zu viel Anspielungen und Metaphern habe Auster ins Spiel gebracht, die letztendlich alle nur auf ihn selbst als allmächtigen Autoren verweisen, der die Wege seiner Figuren bestimmt. Dabei entpuppe sich die erzählerische Omnipotenz als ohnmächtig. Die durch das blaue Notizbuch entfachte Kreativität von Austers Helden bleibt unzulänglich, denn immer wenn er nicht mehr weiterkommt, beginnt er einfach eine neue Geschichte. "Somit ist die Hilflosigkeit seines Helden auch Austers eigene Schwäche", resümiert Sonnenschein, der in dem Roman nicht mehr erkennen kann als "ein buntes Sammelsurium von beliebigen Erzählungen im Entwurfsstadium."
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