Paul Brodowsky

Die blinde Fotografin

Erzählungen
Cover: Die blinde Fotografin
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
ISBN 9783518418741
Gebunden, 132 Seiten, 14,80 EUR

Klappentext

"Konzentrier dich, sagte sie, deine Bilder, du sollst sie mir beschreiben, ich will alle deine Eindrücke, sagte sie, möglichst genau." Eine Fotografin verliert ihre Sehkraft, sie beauftragt ihren Freund, ihr zu beschreiben, was er sieht. Er hetzt durch die Stadt, sammelt Eindrücke, will die Erblindende in der Welt der Farben und Formen halten, während sie längst ihren Abschied inszeniert, ihr letztes, ein existentielles Foto. Ein junger Komponist bemerkt, dass seine Freundin eine Affäre mit seinem Freund und Konkurrenten hat, ein schlafloser Stalker irrt durch das nächtliche Berlin und fühlt sich zunehmend selbst beobachtet, beinahe bedroht. Paul Brodowsky erzählt von den Kippmomenten in Beziehungen, beschreibt das Augenaufreißen kurz vor der Verzweiflung oder der Entscheidung. Seine Figuren machen flüchtige Kontakte in der U-Bahn, jagen dem Geheimnis des Gegenübers hinterher und geraten in fremde, exotische Räume. Sie gehen durch die Nacht und versuchen sich das Geschehene zu erklären. Sie verlieren das Bewusstsein und gewinnen Einblick in ihre Obsessionen, dabei überlagern sich Einbildung und Erinnerung, überscharfe Wahrnehmung und Wahnvorstellung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.06.2007

Als "ebenso streng wie zart" haben diese Erzählungen Rezensentin Anja Hirsch beeindruckt. Und so ist sie einerseits berührt von den merkwürdig fragilen Figuren und ihrer Erstarrung in einer kaum identifizierbaren Gegenwart. Andererseits sind die Erzählungen so dezidiert als Literatur markiert, dass das Mitfühlen mit ihrem Unglück der Rezensentin immer wieder schwer fällt. "Viele Adjektive, wenige Gefühle", bringt sie das Charakteristikum dieser Prosa auf den Punkt. Doch gerade diese Ambivalenz macht für die Rezensentin den starken Reiz dieser Texte aus, die sie manchmal an modernen Tanz erinnern, "in dem sich jedem Impuls eine fließende Serie von Bewegungen anschließt". Nur manchmal beschleunigt Paul Brodowsky seine Geschichten für ihren Geschmack gegen Ende hin etwas zu übermütig. Wenn er etwa die titelgebende blinde Fotografin ihren Selbstmord so inszenieren lässt, dass ihr Freund sie in ihrer Wohnung von der Decke baumelnd findet, während noch die Digitalkamera läuft.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.06.2007

Gut geschrieben und weltläufig findet Rezensent Hans-Peter Kunisch die Erzählungen dieses Bandes. Thematisch durchziehe die Fotografie die Texte: Mal gehe es um eine blinde Fotografin, eine andere Geschichte sei fast wie eine Fotoserie konzipiert. Aus Sicht des Rezensenten haftet den Erzählungen manchmal etwas "Marguerite-Duras-haft Intimistisches" an, gelegentlich aber nervt ihn auch zu viel "stilvoll Zeitgenössisches" in Stoffen und Erzählweisen der Texte. Am Ende aber findet er sie zwar nicht abendfüllend, aber doch irgendwie "geheimnisvoll".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.05.2007

Nicht wirklich erwärmen kann sich Rezensentin Jutta Person für diese Erzählungen von Paul Brodowsky. Die im urbanen Umfeld New Yorks, Berlins oder Hanois angesiedelten Melodramen um Liebe, Beziehung, Verrat und existenzielle Verunsicherungen scheinen ihr schlicht zu pathetisch, zu gewollt ernsthaft und bedeutungsschwanger. Der Vorschlag des Klappentexts, das Buch als "Sammlung von Polaroids" zu lesen, geht ihres Erachtens in die falsche Richtung. Mit dem in der deutschen Gegenwartsliteratur lange dominierenden polaroidartigen Realismus haben Brodowskys Geschichten für sie nämlich nichts gemein. Treffender scheint ihr da schon ein Vergleich mit digitaler Bildbearbeitung. Die Erzählungen inszenieren ihrer Einschätzung nach ein umfangreiches "Sampling existentieller Gesten". Auf sie wirkt das alles andere als spontan und lebendig: prätentiös und unecht. Die Figuren, die Zoltan und Rachel heißen, mit DAT-Rekordern ausstaffiert durch Metropolen irren und ihr Leiden selbstverliebt zur Schau tragen, hält Person vor allem für eines: "sehr, sehr überkandidelt".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.05.2007

Kein gutes Haar lässt Rezensentin Beatrix Langner an diesen sechs Erzählungen Paul Brodowskys. Zwar stellt sie die Jugend des 1980 geborenen Autors, der mit "Die blinde Fotografien" sein zweites Buch vorlegt, in Rechnung. Aber an ihrem gar strengen Urteil kann das nichts ändern. Kritisch betrachtet sie unter anderem den sich als "präjudizierte Rezensension und Werbebotschaft" gebenden Klappentext, mit dem der Verlag dem Autor keinen Gefallen tue. Denn was Langner hier zu lesen bekommt, kann sie bestensfalls als "vorliterarische Skizzen und Vorübungen" mit den typischen Anfängerfehlern durchgehen lassen. Sie hält den Texten um Verliebtsein und Trennungsschmerz vor, nur zu "fuchteln", aber nicht zu "leben". Außerdem scheinen ihr die Erzählungen sprachlich schlicht indiskutabel. "Der blinde Lektor" wäre ihres Erachtens daher der treffendere Titel für diese "Gymnasiastenprosa" gewesen.
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