Paul Rabinow

Anthropologie der Vernunft

Studien zu Wissenschaft und Lebensführung
Cover: Anthropologie der Vernunft
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518292464
Taschenbuch, 251 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben und aus dem Amerikanischen übersetzt von Carlo Caduff und Tobias Rees. Was heißt Aufklärung heute, was Vernunft? Wie begründet sich das Verhältnis zwischen Vernunft und Lebensführung gegenwärtig? Diesen Fragen geht Paul Rabinow in den hier gesammelten Essays ethnographisch nach. Ethnographisch heißt: die Vernunft selbst als ein menschliches, dem Anthropologen zugängliches und also studierbares Feld sozialer Handlung zu begreifen. In konkreten, der Biotechnologie entnommenen Fallstudien fragt Rabinow nach der Vernunft, die in Laborexperimenten oder in Ethikdebatten am Werk ist. Indem er diese jeweilige Vernunft und deren implizite Menschenbilder auf die Lebensführung der Wissenschaftler hin anwendet und befragt, entstehen subtile anthropologische Studien einer biopolitischen Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.07.2004

"Schillernde Wissenschaftsprosa" sieht Rezensentin Bettina Engels in den nun vorliegenden Arbeiten zur "Anthropologie der Vernunft" von Paul Rabinow, der Mitte der achtziger Jahre mit seiner zusammen mit Hubert Dreyfus verfassten Foucault-Monografie "Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik" für Furore gesorgt hatte. Im vorliegenden Band, der Aufsätze der letzten zehn Jahre sowie einige mit den Herausgebern Carlo Caduff und Tobias Rees geführte Interviews mit Rabinow bietet, widme sich der Anthropologe dem "ehrgeizigen Projekt" einer "Ethnographie der Gegenwart". Der Schwierigkeit dieses Unternehmens, dem Fehlen der historische Distanz, aus der sich die kulturellen Formen objektiv beschreiben ließen, sei sich Rabinow bewusst. So können Rabinows Essays nach Ansicht Engels auch als "Kulturgeschichte der Zukunft" firmieren, schließlich spielen sie stets mit der Erwartung, dass sich heute noch Unverständliches und Paradoxes einst als bedeutsam erweisen werde. In diesem Zusammenhang moniert Engels dann allerdings auch: "Diese Suspense-Qualität seiner Science Fiction lässt sich in den vorliegenden Aufsätzen aber bestenfalls erahnen."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.03.2004

Mit Foucault und dem amerikanischen Pragmatismus im Gepäck sieht Thomas Hauschild den Kulturanthropologen Paul Rabinow den Weg zu einer "zeitgemäßen, auf Feldforschung und philosophischer Übung beruhenden Wissenschaft vom Menschen" beschreiten. Dem Leser empfiehlt der Rezensent, Rabinows Buch mit dem dritten, praxisbezogenen Teil zu beginnen, ehe er sich an die reine Theorie wagen sollte. "Nicht immer leicht zu verstehen" sei nämlich, was Rabinow aus der Verrechnung der hochtechnisierten Gegenwart und Foucaults Theorien "mit Ansätzen von Blumenberg, Luhmann, Heidegger und vielen anderen" destilliere. Es geht, so Hauschild, um die "Verfasstheit des Menschen in der postindustriellen Gesellschaft": "Rabinow sucht eine neue Verortung des Menschen nicht mehr in seiner ‚Kultur‘, sondern in mehr oder weniger flüchtigen Punkten der Überschneidung von Praktiken und Ideen, von Körperkonzepten und Begriffen der Person." Das einzige, was dem Rezensenten an Rabinows ansonsten "glänzendem Ansatz" nicht einleuchtet, ist dessen Verzicht auf die herkömmliche Methodik der sozialen Anthropologie.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.03.2004

Seit die Grenzen zwischen Anthropologie und Geschichtswissenschaft verwischen, kann die erzanthropologische Frage "Was ist der Mensch?" so nicht mehr gestellt werden, schreibt Rezensent Florian Coulmas, selbst Professor für Kultur und Geschichte des modernen Japans. Es müssen neue Fragen her, und der amerikanische Anthropologe Paul Rabinow versucht "vehement" solche neuen Fragen zu formulieren. Von seiner Einsicht geleitet, dass die Anthropologie Feldforschung braucht, stellt Rabinow in den vorliegenden Essays die Frage nach dem Menschen von der Warte der Vernunft aus. Als theoretische Grundlage zu seinen Überlegungen dienen Rabinow laut Coulmas Max Weber und Michel Foucault, als Gegenstände das "Humangenom-Projekt", die "Patentierung neuer Lebensformen", die "Zweckdienlichkeit der Wissenschaften" und der "Zusammenhang von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft". Rabinow befrage die Wissenschaft als "Lebenspraxis" und die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. So werde auch die Grenze zwischen Natur und Kultur neu gezogen. Schließlich beobachte Rabinow eine neue Art der Gemeinschaft zwischen Menschen, die an derselben Krankheit leiden, ein Phänomen, das er als "Biosozialität" bezeichne, und in dem Coulmas die "neuen Herausforderungen der Anthropologie" gebündelt sieht.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de