Ralf Rothmann

Rehe am Meer

Erzählungen
Cover: Rehe am Meer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518418253
Gebunden, 213 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

"Das plötzliche Erkennen einer besonderen Frau. Die helle Formulierung eigener Dunkelheiten und der verblüffende Einklang in Dingen, von denen man geglaubt hatte, lebenslang mit ihnen allein bleiben zu müssen." Erzählungen von Ralf Rothmann sind anzukündigen, und ob er nun von den Nöten einer Zwölfjährigen schreibt, die sich nach dem Tod der Mutter verantwortlich fühlt für die Familie, ob er einen Polterabend mit ostdeutschen Bauarbeitern schildert oder von einer Krankenschwester in der Uckermark erzählt, die ihr Haus westdeutschen Feriengästen überläßt, während sie mit ihrem Sohn im Garten campiert; ob er uns einen arbeitslosen Alkoholiker vorstellt, der seiner Frau auf die Schliche kommt, oder einen Zirkushelfer, der die Mißhandlung der Tiere nicht mehr erträgt - immer ist die Liebe das Wasserzeichen dieser Geschichten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2006

Mit großer Bewunderung für das Talent dieses Autors, "auf den Moment zu zielen und das Universelle zu treffen" hat Rezensent Ulrich Sonnenschein diese Novellen gelesen. Darin kommen, wie er schreibt, "die kleinen Leute" mit ihren "glatten, plumpen Wahrheiten" zu Wort. Doch beobachte Ralf Rothmann mit "distanzierter Genauigkeit", ohne zu bewerten, Wie "eine subjektive Kamera" sieht der Rezensent ihn von Text zu Text die Perspektive wechseln, über kleinteilige Beobachtungen zu den großen, existenziellen Fragen gelangen. Rothmanns literarisches Verfahren hat nach Ansicht des Rezensenten einiges mit der Erzählhaltung des italienischen neo-veristischen Films gemeinsam. Den Rezensenten beeindruckt aber auch der unbedingte Gestaltungswille, von dem er diese Geschichten aus dem Alltag durchdrungen sieht, wodurch sie für ihn gelegentlich nah an den Traum heranrücken und dabei doch den Leser zu ihrem Komplizen machen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.11.2006

Rezensent Eberhard Falcke fand diesen Erzählband ganz gut, aber so gut wie seine Kollegen nun auch wieder nicht. Zwar können ihn die zwölf Erzählungen gelegentlich mit aufmerksamen und feinfühligen Beobachtungen einfacher Menschen beeindrucken, mit den erzählenden Umkreisungen einiger "aufwühlender, fiebriger, heißkalter Daseinsmomente". Insgesamt greift ihm dieser Autor dann aber doch zu tief in die Trickkiste der Effekthascherei. Dabei stören den Rezensenten besonders "groß inszenierte" Naturbeschreibungen und symbolisch-poetisch eingesetzte Tiermotive, und zwar an Stellen, wo Falcke selbst eine "homöopathische Dosierung" deutlich angebrachter fände. Auch der "maulfertige Hinterhofjargon", den Ralf Rothmann als literarisches Stilmittel verwendet, erscheint dem Rezensenten in seiner Ausdruckskraft doch eher begrenzt und dem Ziel, große Prosa zu schreiben, nicht dienlich zu sein. Denn dieses Jargons wegen bleibe Rothmanns Prosa durchweg in den geschilderten Situationen verhaftet und deshalb letztlich "einschichtig" und unbeweglich.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.11.2006

"Sehr gut" hat Rezensent Christoph Schröder dieser Erzählband gefallen. Er findet die darin enthaltenen Texte subtil gebaut und sensibel vom Leben und Leiden eher im Prekärmilieu angesiedelter Menschen, also Arbeitern, Alten und Alleinerziehenden erzählen. Für Schröder zeichnen sich die Geschichten außerdem durch ihre "Durchmischung" verschiedener Wahrnehmungsebenen und eine große Sinnlichkeit aus. Er mag auch den zwischen "Jargon, Umgangssprache und scheinbar kühler äußerer Beschreibung" oszillierenden Ton und die "konkrete Verankerung" des Erzählten in der Wirklichkeit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.2006

Der Rezensent Patrick Bahners ist hingerissen. Vor allem eines hat er aus Ralf Rothmanns Erzählband "Rehe am Meer" mitgenommen, nämlich die Devise, "sich nicht zu wundern, sondern einfach zu sehen". Rothmanns knapper und kontingenzliebender Blick, der Biografien in wenigen Fakten erstehen lasse, bleibe immer wieder an Vögeln haften. Sie dienen als symbolisch aufgeladenes und sinnfälliges Motiv, die ein perspektivierendes Schattenbild abgeben, vor denen sich die menschlichen Handlungen entfalten. Sehr gefallen haben dem Rezensenten aber gerade auch die symbolischen "Blindstellen", jene Elemente, die bedeutend scheinen, die aber mangels Verknüpfung mit anderen Elementen ins Leere führen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.10.2006

Wahrhaftig beeindruckt ist die Rezensentin Verena Auffermann von Rolf Rothmanns Erzählband, mit dem er noch weiter geht als in seinem letzten Roman ("Junges Licht"). Viele Konstanten finden sich auch hier wieder: die "Milieutreue" (Handwerker, Arbeitslose, ruiniert von harter Arbeit und der "Poesielosigkeit ihres Lebens"), die Zuneigung für leidende Heranwachsende sowie eine Sympathie für Hirsch und Reh, mit der Rothmann "eine mythische Schicht unter die Geradlinigkeit schnörkelloser Alltage zieht". An diesem Buch interessiert die Rezensentin vor allem Rothmanns "neuer Blick für absurde Kollisionen", ganz besonders in Hinblick auf den Tod. Und es gelinge ihm, die gnadenlose Schwere seines Gegenstandes in leichtfüßiges Erzählen zu überführen. Rothmann, so das huldvolle Fazit der Rezensentin, ist so etwas wie unser Tschechow oder unser Carver, und sollte gebührend gefeiert werden.
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