Toni Morrison

Gnade

Roman
Cover: Gnade
Rowohlt Verlag, Reinbek 2010
ISBN 9783498045128
Gebunden, 218 Seiten, 18,95 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Thomas Piltz. Milton, Delaware, 1682, der Pflanzer Vaark nimmt gegen seine Überzeugung aus Mitleid ein junges Sklavenmädchen in Zahlung, doch bald stirbt er, und das Mädchen bleibt mit drei anderen Frauen, die das Schicksal dort zusammengeweht hat, allein auf seiner Farm zurück. Zusammen kämpfen sie gegen die Wildnis - die der harschen Natur um sie herum und die in ihnen selbst ?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.06.2010

Ein recht kurzer Roman und dabei höchst komplex. Rezensentin Angela Schader enthält sich am Ende ihrer Kritik eines abschließenden Urteils. Aber wie sie den Roman resümiert und die Themen anschneidet, die er durchspielt, ist faszinierend. Morrison begibt sich also zurück in die Vorzeit der USA, in die rigiden puritanischen Glaubensgemeinschaften im 17. Jahrhundert. "Gnade" waltet dort eigentlich für niemanden - weder für die Weißen noch für die Schwarzen. Übrigens ist auch das Verhältnis von "frei" und "versklavt" noch unklar. Ein freier schwarzer Kunstschmied, der das gesamte Personal des Romans fasziniert, steht geknechteten Weißen gegenüber. Angela Schader liest den Roman als fragmentarische und zugleich kunstvoll ausgeführte Skizze zu einer "Schöpfunggeschichte Amerikas".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.06.2010

Sätzen "wie Peitschenhiebe" genießt Rezensentin Sylvia Staude bei der Lektüre von Toni Morrisons neuem Roman "Gnade". In ihrer knappen, lakonischen und gleichermaßen aufgeladenen Sprache erzähle die Autorin vom Schicksal vierer Frauen, die, benachteiligt durch ihre Armut, ihre Hautfarbe und ihr Geschlecht, ein elendes Dasein auf einer Farm führen. Allen Frauen ist eines gemeinsam: ihr Leben in einer bigotten und misogynen Siedlerkolonie des 17. Jahrhunderts hängt immer von der Gnade der sie umgebenden Männern ab. Das macht Morrison mit gewohnt moralischem Impetus deutlich, läuft dabei aber Gefahr die Geschichte zu konstruiert und hölzern wirken zu lassen, gibt Staude zu bedenken. So fühlt sich die Rezensentin auch entsprechend wenig von den Protagonistinnen berührt, verzeiht dies der Autorin aber dank der zahlreichen, erhellenden "Sprachblitze". Diese Großmütigkeit fällt ihr bei der Lektüre der deutschen Übersetzung offenbar schwerer; hier hätte sie sich ab und zu etwas weniger eigenständige Deutung gewünscht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.06.2010

Gar nicht lang, nicht einmal 200 Seiten im Original, ist dieser jüngste Roman der Nobelpreisträgerin Toni Morrison. Und doch ist er, versichert der Rezensent Thomas David, erzählerisch, motivisch und in der Gesamtkonstruktion so komplex, dass er seiner Ansicht nach sogar das Meisterwerk "Menschenkind" überragt. Erzählt wird - teilweise aus seiner eigenen Perspektive - die Geschichte des 1682 in den USA anlandenden Geschäftsmanns Jakob Vaark, aber auch die des Sklavenmädchens Florens, das Vaark in seine Familie aufnimmt. Auf die Perspektive von Florens als Ich-Erzählerin schaltet Morrison im Roman konsequent um und lässt sie selbst von ihrem Marsch Richtung Norden und ihrer Liebe zu einem namenlosen schwarzen Schmied berichten. David untermischt seine nicht immer leicht nachvollziehbare Besprechung mit Zitaten aus Morrisons Essayistik und betont, dass der Roman das Thema "Gnade" ebenso wie die Freiheit zwar ständig umspiele, erst ganz zuletzt aber umso wirkungsvoller das Wort, das ihm den Titel gibt, fallen lässt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.03.2010

Im Zentrum des Romans der Nobelpreisträgerin Morrison steht die Frage nach den Bedingungen der Freiheit, fasst Katharina Granzin zusammen. Die von Toni Morrison entworfene Geschichte ereignet sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Nordamerika, auf dem Höhepunkt des Sklavenhandels. Aus einem Moment der Schwäche heraus akzeptiert der englische Farmer Jacob entgegen seinen Prinzipien das Mädchen Florens als Bezahlung. Auf diesen Augenblick, der das moralische Versagen durch Jacob und den vermeintlichen Verrat der Mutter von Florens festhält, kommt die Autorin immer wieder zurück, wie Rezensent Granzin erklärt: Paradoxerweise liegt hierin für beide die Chance begründet, ihre Freiheit zu ergreifen. Für Morrison sei Freiheit immer auch ein Verzicht auf etwas und "niemals absolut zu haben", daher wird Jacob scheitern und Florens die Chance ergreifen, so Granzin, die hier ein hoffnungsvolleres Menschenbild verwirklicht sieht als in dem Roman "Menschenkind". Nur Lob hat die Rezensentin auch für den Schöpferreichtum der Autorin, der es gelingt, "noch der kleinsten Nebenfigur" eine Seele einzuhauchen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.03.2010

"Weiter in die amerikanische Historie" ist Toni Morrison bislang noch nicht vorgedrungen, stellt Verena Auffermann in ihrer Kritik des jüngsten Romans der Literaturnobelpreisträgerin von 1993 fest. Auf ihren gegen Ende des 17. Jahrhunderts spielenden Stoff hat sich die Autorin fünf Jahre vorbereitet, weiß die Rezensentin, die sich am überausgewogenen Personal mit Figuren aus allen "Schichten und Hautfarben und "etwas viel Schablone" stört. Aber Morrison, die von Auffermann als Moralinstanz Amerikas apostrophiert wird, hat ja auch ein "ehrenwertes" Anliegen, so die Rezensentin. Der Roman will einmal mehr die Untaten der Vergangenheit herausstellen, allerdings ohne "penetrant" anzuklagen oder den Lesern alles vorzukauen, stellt die Rezensentin klar. Der Roman beginnt mit dem Bericht der schwarzen Sklavin Florence, der zunächst auf gut Faulkner'sche Weise im Dunkeln lässt, was dann im restlichen Roman in der Rückschau aufgerollt wird. Es ist eine Geschichte um Schulden, die mit einem schwarzen Sklavenmädchen abgegolten werden, es geht um Bigotterie, Ausbeutung und Rassismus, fasst Auffermann zusammen, deren Lob verhalten klingt, die sich aber dennoch vor Morrisons moralischer Autorität zu verbeugen scheint.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2010

Burkhard Müller sieht Toni Morrison mit ihrem jüngsten Roman "noch tiefer in die Vergangenheit" eintauchen als mit ihrem Romanvorgänger "Liebe". Für den Rezensenten ist das eine Rückkehr in den Teil der amerikanischen Geschichte am Ende des 17. Jahrhunderts, als Rassen- und Klassengrenzen noch durchlässig schienen. Der Roman erzählt die Geschichte von vier Frauen, die nach dem Tod des Farmbesitzers die Farm allein weiter bewirtschaften, als da sind die Witwe, eine schwarze Sklavin, eine Indianerin und eine Waise aus Europa, fasst der Rezensent zusammen. Das viel gerühmte "Poetische" in Morrisons Texten erkennt der Rezensent in ihrer sprachlichen Zurückhaltung und Knappheit, eine Fähigkeit, die sich erst nach langer Zeit entwickeln kann, wie er meint. Aus dieser positiven Eigenheit allerdings erwachsen der Autorin in diesem Roman Strukturprobleme, denn indem sie jeder der vier Hauptfiguren eine eigene Stimme gebe, bekomme die einzelne Figur nicht immer genug Raum und sie seien sich vielleicht auch etwas zu ähnlich, wie Müller kritisiert. Aber wahrscheinlich gehe es der Autorin ohnehin mehr darum, "Allgemeinmenschliches" aus der verschollenen Geschichte Amerikas zurückzuholen, vermutet der Rezensent.
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