Ursula Krechel

Der Übergriff

Erzählung
Cover: Der Übergriff
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2001
ISBN 9783902144164
Gebunden, 160 Seiten, 18,87 EUR

Klappentext

"Immer, wenn ich den Mund aufmache, erhebt sich neben mir eine Stimme. Sie sagt laut und vernehmlich: Halt's Maul." So häufig ist ihr über den Mund gefahren worden, dass die Lippen rau und spröde davon geworden sind. Wie dieser Einschüchterung entkommen? Indem man den Mund nur mehr öffnet, um zu essen, zu küssen oder zu staunen? Andererseits: Hat nicht gerade das Schweigen dieser Stimme Raum gegeben? Zu oft ist geschwiegen worden, auch damals, als man im ganzen Haus hörte, dass die Nachbarmädchen geschlagen wurden ... In dieser Erzählung spürt Ursula Krechel den unterschiedlichen Facetten und Formen der Gewalt nach: den mächtigen und den leisen, den sexuellen und politischen, denen, die man begangen hat, denen, die man erlitt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.09.2022

Ursula Krechels Erzählung "Der Übergriff" ist bereits 2001 erschienen, die Kritiker standen recht ratlos davor. Doch die Welt hat sich seitdem verändert, erkennt Rezensent Markus Clauer, so auch die Reaktion auf männliche Übergriffe und weiblichen Widerstand, die hier thematisiert werden. Aber das klingt, als gäbe es eine richtige Story, und das scheint hier nicht der Fall zu sein. Sofas leben, Charles Aznavour taucht im Garten auf Clauer, kurz: " Wahrnehmungssensationen" machen diese Prosa aus, so Clauer. Dass der Macho in der Erzählung für Gazprom arbeitet, wirkt heute fast prophetisch, meint er.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2002

Diese Erzählung ist nichts für die "Liebhaber straffen Erzählens" und für "Genießer literarischer Leichtkost", meint Rezensent Walter Hinck. Die Ich-Erzählerin wird nicht nur Ohrenzeugin der Gewalt größerer Jungs gegen kleinere - dem sogenannten 'Knabenpeitschen'. Sie hört auch eine Stimme im Ohr, die ihr den Mund verbietet, berichtet Hinck. Für ihn ist die Stimme "verinnerlichte Konvention, Selbstkontrolle und Selbstzensur" - allerdings findet er dieses Motiv reichlich überstrapaziert. Durch die nicht chronologische Erzählweise und die überwiegend anonymen Figuren erschließt sich das Geschehene erst nach und nach, stellt der Rezensent fest. Aber dass die Erzählerin als Pressesprecherin ihren Job verloren hat, weil sie zu vorlaut war - das bietet vielleicht einen Erklärungsansatz für ihre psychische Verfassung und für die Heilungsmöglichkeiten, vermutet Hinck.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2001

Hannelore Schlaffer ist nicht recht glücklich mit diesem Buch, in dem sich eine weibliche Hauptfigur gegen eine innere Stimme zur Wehr setzen muss, die ihr grob den Mund verbieten will. Schlaffer sieht sich einer Anzahl von "avantgardistischen und feministischen Pflichtübungen" ausgesetzt, die sie ärgerlich findet. Sie beklagt, dass es der Autorin an "Mut zu ihrem eigenen Stil" gebricht. Dabei sieht sie es als erwiesen an, dass Krechel eigentlich über einen "Stil, der sich sicher in den Vieldeutigkeiten einer poetischen Sprache bewegt" verfügt und macht zum Beweis auf ihrer Meinung nach sehr gelungene Landschafts- und Stadtbeschreibungen aufmerksam. Dass sich die Autorin bei der Beschreibung einer Kampfhandlung dann auch noch der Ästhetik des Fernsehens annähert, lässt dann jedoch die wenigen Sympathien, die Schlaffer gegenüber diesem Buch hegt, verpuffen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.10.2001

Frauke Meyer-Glosau kann Spektakuläres vom Buchumschlag berichten, der ein spitz im Holz stehendes Messer zeigt und die Aufschrift "Eine verletzte Frau beginnt zu reden". Die pure Ironie? Darauf gibt Meyer-Gosau zwar keine Antwort, empfiehlt aber: unbedingt lesen. Dahinter verbirgt sich, dafür verbürgt sich die Rezensentin, absolut keine Betroffenheitsgeschichte, sondern eine der "heitersten und raffiniertesten Beschreibungen einer Persönlichkeits-Entgleisung". Da gibt es also eine von irgendwas - was, wird bis zum Schluss nicht gesagt - traumatisierte Frau, der dieses Erlebnis die Sprache verschlagen hat und die daraufhin zu schreiben beginnt. Von Wahr-Nehmung im eigentlichen Wortsinn handele dieses Buch, meint Meyer-Gosau, und die verhält sich ver-rückt wie im Traum, wo Verstörung und Schönheit, disparate Momente ungerührt nebeneinander auftauchen können, ohne dass dies unlogisch erscheinen würde. So ist Krechels Sprachwitz wirklich witzig und zugleich tiefernst, schreibt Frau Meyer-Gosau gerührt über die Möglichkeit auch der eigenen Rettung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.10.2001

Andreas Nentwich scheut keine Mühe, die Handlung des Buches nachzuerzählen, scheint sich aber vor der kritischen Beurteilung der Erzählung drücken zu wollen. Letztlich gibt er aber doch zu, dass die Autorin ihren Text "mit Bedacht" verfertigt hat und lobt sie für ihre "spröde, scharf geschliffene Prosa". Besonders lobenswert erscheint ihm, dass sich in der Geschichte der privaten Misere einer Frau in den mittleren Jahren auch das "Gesellschaftliche" spiegelt.
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