Viktor Jerofejew

Der gute Stalin

Roman
Cover: Der gute Stalin
Berlin Verlag, Berlin 2004
ISBN 9783827001139
Gebunden, 363 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Beate Rausch. Viktor Jerofejew wuchs im Herzen der politischen Macht auf, sein Vater gehörte zum Stalinschen Hofstaat, er war Berater und Dolmetscher, später Botschafter im westlichen Ausland. Die Welt der geknechteten Herren, gesättigt und privilegiert, wird mit melancholischem Spott porträtiert. Zugleich wird der Blick des Kindes gewahrt, das nicht anders kann, als seinen Vater zu lieben, und mit ihm die Umgebung, in der es heranwächst. Kindliche Sicht und historisches Wissen sind die Pole der Wahrnehmung, zwischen denen dieser Text oszilliert und aus denen er seine Spannung bezieht. Letztlich aber ist dieser Roman die Geschichte der Geburt eines Schriftstellers und Dissidenten, die Geschichte des Triumphs der künstlerischen, der schöpferischen Freiheit - dank des politischen Mordes an seinem Vater wurde der Autor paradoxerweise ein freier Mensch.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.05.2004

Ein schlechter Romancier und ein glänzender Essayist sei Viktor Jerofew, eröffnet Ulrich M. Schmid seine Besprechung mit einem Rundumschlag. Sein jüngstes Buch bezeichnet Jerofejew, dem Kritiker trotzend, dennoch als Roman; Schmid allerdings meint, die Genrebezeichnung "autobiografischer Essay" werde dem Text am ehesten gerecht. Insofern lässt Schmid den Text auch als gelungen gelten. Die Provokation sei das Markenzeichen des russischen Autors, und diese Attitüde behalte er auch in diesem Buch bei oder durch, indem er seine eigene Kindheit als stalinistisches Paradies inszeniere. Jerofejew stammt aus der Kaderklasse, sein Vater - im Buch der "gute Stalin" - war Diplomat, der allerdings für die Aufmüpfigkeit seines Sohnes büßen musste und aus dem diplomatischen Dienst abberufen wurde. Den Text könne man einerseits als Hommage an den Vater lesen, der mit Anerkennung und zugleich kritisch porträtiert werde, meint der Rezensent, sowie als pfiffige Analyse der Bewusstseinsmechanismen der staatstragenden Intellektuellenkaste - besser als jedes soziologische Lehrbuch, lobt Schmid. Wirklich ärgerlich seien nur Jerofejews pubertären sexuellen Anspielungen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.03.2004

In diesem "Roman-Essay", so der Rezensent Yaak Karsunke, blickt Viktor Jerofejew auf seine "glückliche stalinistische Kindheit" als Sohn des sowjetischen Vizepräsidenten der UNESCO zurück und auf die Umstände, die ihn diesen "goldenen Käfig" verlassen ließen. Jerofejew erkunde, wie er den Mechanismen des stalinistischen Systems entkommen ist, und gleichzeitig von ihnen "geprägt" blieb, mit der Besonderheit, dass er sie gar nicht als wirkliche Mechanismen sehe, sondern als das Eigentliche des "russischen Nationalcharakters", als dessen Inbegriff Jerofejew seinen Vater begreife: "Der Russe findet nicht die Kraft, sich den Stalinschen Qualitäten zu widersetzen. (?) Der russische Volkscharakter wartet auf die Strafe für seine Unordnung. Stalin wird kommen und ihn bestrafen." Aus einem "Patchwork" von "Anekdoten, Berichten, Erinnerungen und Erzählungen, Gesprächen, Reflexionen und Tagträumen" setzt sich "das Mosaik einer deformierten Gesellschaft" zusammen, das vergleichbar ist mit dem Almanach Metropol, schreibt Karsunke. Die Übersetzerin Beate Rausch lobt er für das "lebendige und bildkräftige Deutsch", in das sie dieses "vielstimmige Ensemble" übertragen hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.03.2004

Einige Sätze haben Ijoma Mangold in Entzücken versetzt, aber dabei bleibt es leider auch. Ein "aufregendes und zugleich schwaches" Buch sei Viktor Jerofejews autobiografischer Roman. Die Stärken des Buches liegen für Mangold in dem "fraglos großartigen" Stoff, der "blühenden, überschießenden" Phantasie und dem Temperament des Autors, dem "helle Momente nicht versagt bleiben". Gravierende Mängel verbucht unser Rezensent aber in der Form oder besser dem "Hang zur Formlosigkeit" des Autors. Vieles sei zwar groß formuliert, aber nicht zu Ende gedacht. Erst nach einiger Zeit merke man, so der Rezensent, dass sehr vieles, was vorher beeindruckt hat, "einfach nur so in den Wind geballert" sei. Außerdem werde Jerofejew seinem Anspruch nicht gerecht: statt den Mythos Stalin zu durchleuchten, mystifiziere er ihn geradezu. Und so wirkt der Roman trotz aller französischen Erziehung des Autors wie ein "kraftvoll schnaubendes Monument" jenes irrationalen Russlands, vor dem sich der vernunftgeleitete Westen immer fürchtet, schließt Mangold, von Jerofejews Pathos offenbar nicht unberührt.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de