Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Musik

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.04.2024 - Musik

Blixa Bargeld, der mit den Einstürzenden Neubauten gerade ein neues Album veröffentlicht hat, verneint im taz-Gespräch mit Robert Mießner seine Punkwurzeln und sieht sich viel eher in der Tradition des Krautrock der frühen Siebziger und dessen Improvisationsprinzip. So funktioniere auch das neue Album über weite Strecken: "Jochen fängt an, Rudi, ich und Alex spielen, Felix Gebhardt spielt die Orgel. Und Andrew macht nix. Nachdem das nun gesungen war und so weiter befand Andrew: Da fehlt Wasser. Planet Umbra braucht Wasser. Das ist Andrew, so denkt Andrew musikalisch. Wenn man genau hinhört, bemerkt man, wie in Zeitlupe aus dem Wasser größere Flüsse werden. Ich bin jetzt in meiner Rembrandt-Zeit. Ich trete vom Bild zurück. Der Geruch der Farbe macht krank, aber ich fange an zu begreifen, was ich da in die Welt gesetzt habe. Ich bin glücklich mit dem Album." Wir hören rein:



Till Schmidt verneigt sich in der FAS vor der im Exil lebenden iranischen Sängerin Googoosh, die vor der Machtübernahme der Ayatollahs für ein modernes, hedonistisches Lebensgefühl in Iran stand. Auf ihrer Abschiedstour sah sie vor kurzem auch in Frankfurt vorbei: "Wie bei Googoosh-Konzerten üblich, befinden sich im Publikum vor allem iranischstämmige Menschen, die jedes ihrer kraftvollen Lieder mit stolzem Jubel feiern. ... In der iranischen Diaspora gelten ihre Songs seit Langem als Teil des Kulturerbes. Auch jüngere Menschen singen Klassiker wie 'Hejrat', 'Makhlough' oder 'Bavar Kon' laut und textsicher mit. Den Iran dürften viele der Anwesenden vor allem aus den Familienerzählungen und als Touristen kennen. Für große Teile der Diaspora im Westen ist Googoosh eine inoffizielle nationale Ikone, die euphorisierend-nostalgische Gefühle für das Moderne in der iranischen Geschichte freisetzt."



Weitere Artikel: Stefan Frommann spricht für die Welt mit dem spanischen Professor Jordi Ballera, der Vorlesungen über die Hardrock-Combo Kiss als Wirtschaftsmarke hält (und "selbstverständlich" vier Tattoos der Band auf seinem Körper trägt). Besprochen werden das Comeback-Album "All Quiet on the Eastern Esplanade" der Libertines (Welt, Zeit Online), ein Konzert von Gallagher & Squire (Welt), das neue Album von Mark Knopfler (WamS) sowie Gülru Ensaris und Herbert Schuchs Klavieralbum "Eternity" (SZ)

Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.04.2024 - Musik

Zwei Jahre nach der russischen Invasion in der Ukraine und den in Folge hartnäckig geführten Diskussionen, wie mit staatstragenden russischen Künstlern umzugehen sei, beobachtet NZZ-Kritiker Christian Wildhagen "eine Sehnsucht nach Business as usual" im Betrieb und einen "gewissen Pragmatismus". Darauf setzt wohl auch Teodor Currentzis, der mit seinem hartnäckigen Schweigen zu Putin und Russland die Furtwängler-Strategie gewählt hat: künstlerischer Idealismus schlägt triviale Politik. "Er spielt offenbar auf Zeit und setzt auf die voranschreitende Abstumpfung des Publikums gegenüber moralischen Diskussionen. Gleichzeitig kann er auf die nahezu kultische Verehrung bauen, die ihm Teile der Musikwelt noch immer entgegenbringen." Doch "schon vor 2022 konnte man Unstimmigkeiten im Bild des allein der hohen Kunst verpflichteten Idealisten entdecken. Als beispielsweise publik wurde, wie hoch der Preis ist, den die Mitglieder der von Currentzis in Russland gegründeten Ensembles zu zahlen haben. Deren Perfektion wird nämlich allem Anschein nach mit autoritativen Strukturen, ausufernden Probenzeiten und einem eigenartigen Korpsgeist erkauft. Man kann solche Exzesse wiederum mit Idealismus rechtfertigen oder mit der Gruppendynamik, die nötig ist, damit die Mitglieder des Originalklang-Ensembles Musica Aeterna und des dazugehörigen Chores der Klassikwelt derart einheizen können. Nicht zu verkennen ist aber auch, dass rund um die charismatische Leiter-Figur Currentzis ein System entstanden ist, das zugleich ein lukratives Geschäftsmodell darstellt."

Stephanie Grimm hört für die taz "Kratermusik", das neue Album der mittlerweile übers gesamte Bundesgebiebt verstreuten Postpunk-Band Messer rund um den Schriftsteller Hendrik Otremba. Wobei, was heißt hier Postpunk? "Selbst dieses unscharfe Etikett beschreibt beim besten Willen nicht mehr den aktuellen Messer-Sound, trotz schnalzend-zackiger New-Wave-Momente und hechelnder Beats, etwa im Song 'Eaten Alive'. Dafür groovt es einfach zu ungebrochen. Manchmal fühlt man sich gar an die guten Songs von The Police erinnert, wenn Messer erstaunlicherweise ziemlich funky klingen. Einflüsse aus Funk, Dub und den späten 1980er Jahren sorgen ob ihrer Vertrautheit für eine Zugänglichkeit des Sounds. Und doch amalgamieren Messer ihren Mix zu etwas Eigenwilligem und ziemlich Doppelbödigem: Kryptische und doch gegenwartssatte Songtexte, die bei aller Verrätselheit Assoziationsräume aufmachen; festgeklettet in einem moosig gemütlichen Offbeat-Bett." Von den aktuellen Singles der Band müssen wir natürlich "Taucher" einbinden:



Weitere Artikel: Juliane Liebert plaudert für die SZ mit Blixa Bargeld, dessen Einstürzende Neubauten gerade ein neues Album veröffentilcht haben. Lars Fleischmann berichtet für die taz vom Musikfestival Babel Music XP in Marseilles. Ane Hebeisen stellt im Tagesanzeiger das neue Musikprojekt "Achtung Niemand" des Schweizer Sprachkünstlers Jürg Halter vor. Besprochen wird das neue Album der Black Keys, für das sich auch Beck und Noel Gallagher für Gastauftritte im Studio vorbeigeschaut haben (Standard).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.04.2024 - Musik

Während die Berliner Klassikhäuser derzeit geradezu einen Run auf ihr Angebot erleben, kürzt der RBB sein Klassikangebot "antizyklisch" weiter ein, ärgert sich Frederik Hanssen im Tagesspiegel (und lügt sich damit aber vielleicht auch ein wenig in die eigene Tasche, wenn er die Ticketverkäufe eins zu eins in eins in individuelle Menschen übersetzt). Lotte Thaler resümiert in der FAZ den Heidelberger Frühling. Luzi Bernet plaudert für die NZZ mit Gianna Nannini, die in Italien gerade ein sensationelles Comeback hingelegt hat. Daniel Haas (NZZ) und Harald Hordych (SZ) berichten von Campinos Lyrik-Vorlesung an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf (mehr dazu bereits hier).

Besprochen werden Wiederveröffentlichungen aus der ukrainischen Undergroundszene der Achtziger- und Neunzigerjahre (taz) und das neue Werk der Einstürzenden Neubauten ("ein spannendes Album, das mehr Nice als Noise beinhaltet", schreibt sich Christian Schachinger im Standard).

Stichwörter: Einstürzende Neubauten

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.04.2024 - Musik

"Eine, ganz unironisch gemeint, wunderschöne deutsche Bürgerlichkeit" hat sich beim Auftakt von Campinos Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf eingefunden, schwärmt Frédéric Schwilden in der Welt. "Jetzt ist der Marsch durch die Institutionen an seinem logischen bürgerlichen Ende angelangt: vom Punkschuppen ins Stadion, vom Soundtrack der Punks zum Wahlsieg-Song der CDU 2014, zum Gala-Dinner mit Prince Charles und jetzt auf den Lehrstuhl. Folgerichtig für den Lehrerinnen- und Richter-Sohn Campino." Seine "erste Vorlesung trägt den Titel 'Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik'. Und das ist auch wieder ganz ehrlich: Wie toll ist es bitte, dass sich Campino selbst als Gebrauchslyriker sieht. Er sieht sich nicht als großer, berufener Künstler, und hat damit den Schweighöfers in diesem Land einiges voraus. Campino hat eine große, ehrliche Demut in seiner Person."

Weitere Artikel: Hanspeter Künzler hat für die NZZ mit Beth Ditto gesprochen, deren Band Gossip gerade ein Comeback hinlegt. Katharina Granzin berichtet in der taz von den Bestrebungen Barcelonas, sich mit Klassikfestivals mit teils freiem Eintritt vom Party-Tourismus zu emanzipieren und stattdessen Kulturmenschen anzulocken.

Besprochen werden das neue Idles-Album "Tangk" (FR), die Neuausgabe von Brion Gysins Underground-Album "Junk" ("insofern ein klassisches Postpunk-Album, als es den Zusammenprall von Punk mit vorherigen Popgenres, von Disco zu Krautrock, Dub und Reggae abbildet", schreibt Jens Uthoff in der taz) und das Wiener Konzert von Judas Priest (Standard, Presse). Wir moshen in Berlin aus der Ferne mit:

Stichwörter: Campino, Postpunk, Krautrock

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.04.2024 - Musik

Julia Lorenz spricht für Zeit Online mit Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel. Besprochen werden Beyoncés neues Album "Cowboy Carter" (Pitchfork, Standard, mehr dazu bereits hier), ein Konzert der Einstürzenden Neubauten (taz), Jan Blomqvists Auftritt beim Caprices Electronic Dance Music Festival in Crans-Montana (NZZ), ein Berliner Konzert von Tom Odell (Tsp) und ein Konzert von Underworld (FR).
Stichwörter: Einstürzende Neubauten

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.03.2024 - Musik



Mit ihrem neuen Album "Cowboy Carter" erobert Beyoncé nicht nur die Streaming-Charts und Social Media wie im Sturm, sondern auch die brav den Gesslerhut werfenden Feuilletons. Wie der Vorgänger von 2022, "Renaissance, Act 1", ist auch dieses Album wieder eine musikarchäologische Grabungsarbeit - diesmal allerdings in den Archiven des Country. Mit ihrer Vorab-Single "Texas Hold'em" dominiert sie, als erste schwarze Frau überhaupt und übrigens tatsächliche Texanerin, seit Wochen die Country-Charts in den USA. Diese "Renaissance der Hillbilly-Musik ist eine dialektische Provokation, ein feierliches, fröhliches Bekenntnis zum konservativen Süden und zu ihrer Herkunft mit der Botschaft: Country, älter, männlich, weiß, ist ein Klischee und kann auch jünger, weiblich, schwarz sein und für alle da", schreibt Michael Pilz in der Welt. "Dabei war weißer Country immer schon ein Märchen, eine amerikanische Legende. ... Wo der Country herkam, aus den Appalachen und dem Hinterland der Südstaaten, lebten bekanntlich nicht nur Weiße. Mit den schwarzen Sklaven hatten sich die weißen Siedler auch gewisse Spielarten der afrikanischen Musik ins Land geholt. Ohne den Blues der schwarzen Landarbeiter hätte es den Country nie gegeben." Hier covert Beyoncé Dolly Partons "Jolene" (Parton selbst tritt in einem kleinen Einspieler und in einem Duett auf dem Album in Erscheinung).



"Es geht bei Beyoncé also mal wieder um Rückeroberung", schreibt Julia Lorenz auf Zeit Online und staunt, "wie ernsthaft, wie frei von Brüchen oder Twists die stets ostentativ geschmackssicher agierende Beyoncé mit Spezifika, sogar Klischees des Genres Country umgeht". Aber Lorenz packt hier und da doch auch leiser Zweifel: "Egal, wie respektvoll sie ihre Vorgängerinnen und Vorgänger mit Credits und Querverweisen zu ehren versucht: Giganten glaubt man so schrecklich schwer, dass sie auf den Schultern von Giganten stehen. ... Im besten Falle schärft ein Star wie Beyoncé das popkulturelle Geschichtsbewusstsein ihres Publikums", doch "im schlechtesten Falle überschreibt sie eben jene übersehenen, übergangenen Stimmen, auf die sie aufmerksam machen will, mit ihrem eigenen Highperformertum."

Weiteres zu Beyoncés Album: Für Pop-Philologen ist dieses Album ein gefundenes Fressen, ein reich gefüllter Steinbruch, jubelt Joachim Hentschel in der SZ nach dem ersten Hördurchgang. Jonathan Fischer erzählt auf Zeit Online die Diskriminierungsgeschichte schwarzer Musiker im Country. In der NZZ zeichnet Ueli Bernays Beyoncés künstlerischen Werdegang vom Nineties-Girlie-Pop unter der Fuchtel ihrer Eltern zum emanzipierten Autorinnen-Pop der Gegenwart nach. Weitere Besprechungen außerdem im Standard und auf FAZ.net.

Außerdem: FAZ-Kritiker Clemens Haustein betrachtet mit dem neuen, vom RIAS-Kammerchor eingesungenen Audio-Guide die zwölf Passionsbilder in der Berliner Gemäldegalerie: Diese "herausragend schönen Aufnahmen ermöglichen beglückende Bildmeditationen". In der taz annonciert Katja Kollmann die Tour des ukrainischen Quartetts DZ'OB. Vor fünfzig Jahren legte Punk mit dem ersten Auftritt der Ramones seine Initialzündung hin, schreibt Karl Fluch im Standard. Günther Haller erinnert in der Presse an Anton Bruckners Kindheit.

Besprochen werden die Wiederaufführung von Jonathan Demmes Konzertfilmklassiker "Stop Making Sense" mit den Talking Heads (Jungle World), André Hellers Bühnencomeback in der Hamburger Elbphilharmonie (Standard) und das Comeback-Album der Libertines (WamS). Wir hören rein:

Stichwörter: Beyonce, Country

Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.03.2024 - Musik

Am Karfreitag 1724 wurde in der Leipziger Nikolaikirche Bachs Johannes-Passion uraufgeführt - Michael Maul von VAN staunt darüber und leidet daran, dass kaum etwas davon überliefert ist, geschweige denn überhaupt dokumentiert wurde, wie das epochale Werk seinerzeit von den ersten Ohrenzeugen aufgenommen wurde. Das Geplänkel und Gezerre im Vorfeld der Aufführung sowie das Nachspiel von Bachs etwas kokettem Auftreten gegenüber den Oberen ist zwar bestens belegt. Doch "ein Wort zu Bachs 'Passion'? Auch im Gesprächsprotokoll des Superintendenten Fehlanzeige. ... Angesichts der Dokumentenlage, will man den damaligen Protagonisten rings um Bach mit Matthäus zurufen: 'Wer Ohren hat, der höre!' - und Bach von Herzen wünschen, dass zumindest ein paar beteiligte Thomaner und Stadtpfeifer und eine Handvoll musikalischer Kenner unter den Leipziger Zuhörern wenigstens erahnten, was ihr neuer Kantor da am 7. April 1724 der Stadt und dem Erdkreis geschenkt hatte." Außerdem führt Arno Lücker für VAN mit Klangbeispielen durch diverse Interpretationen der Johannes-Passion. "Unfassbar überzeugend" findet er die von René Jacobs dirigierte Aufnahme der Akademie für Alte Musik Berlin mit dem RIAS Kammerchor:



Als verschollen gilt hingegen die Musik (nicht aber das Libretto) von Bachs Markus-Passion. Deren bisherige Aufführungen basieren auf der spekulativen Montage von Stückwerken anderer Bach-Werke. Einen neuen Weg beschreitet nun der Dirigent und Komponist Nikolaus Matthes, schreibt Reinhard J. Brembeck in der SZ: Er hat auf CD eine Eigenkomposition der Passion vorgelegt, was "erst einmal staunen macht. Denn Matthes schreibt keine wie auch immer geartete moderne Musik, er versetzt sich in die Zeit seines 300 Jahre älteren Vorbilds und komponiert à la Bach, oft schlanker, weniger spekulativ. Das Ganze ist frech, gut gemacht, vertraut klingend und also hörenswert." Doch "letztlich macht Matthes nichts anderes als jene Baumeister des 19. Jahrhunderts, die begeistert von der Gotik deren Baustil einfach kopierten."



Weitere Artikel: Thomas Kramar blickt für die Presse amüsiert auf eine Studie, die nach einer Genanalyse zu dem Schluss kommt, dass Beethoven rein von seiner genetischen Disposition her deutlich weniger musikalisch gewesen sei als der Durchschnitt. In der FAZ gratuliert Gerald Felber dem Komponisten Siegfried Thiele zum 90. Geburtstag.

Besprochen werden Diedrich Diederichsens Buch "Das 21. Jahrhundert" mit gesammelten Texten und Essays seit 2000 (taz), 1010Benjas Album "Ten Total" (Pitchfork) und die restaurierte Wiederaufführung von Jonathan Demmes legendärem Kino-Konzertfilm "Stop Making Sense" mit den Talking Heads (taz, Standard).

In der Frankfurter Pop-Anthologie schreibt Thomas Combrink über "Breaking the Law" von Judas Priest:

Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.03.2024 - Musik

Robert Mießner freut sich in der taz über Johnny Dowds zwar schon letzten Herbst veröffentlichtes Album "Is Heaven Real? How Would I Know", mit dem der Outsider-Artist, der bis vor wenigen Jahren seine Kunst als Möbelspediteur querfinanziert hat, aber nun nach Deutschland auf Tour kommt. Sonst wildert Dowd in Country-iana, diese Musik aber "ließe sich als Dowds Version und Vision von Soul beschreiben. Die Musik klingt nach Sonnenstrahlen im Staub und Eiswürfeln im Glas". Thematisch bleibt sich Dowd treu: "Seine Housewives sind immer noch desperate und seine Handlungsreisenden Untergeher, doch kommt jetzt eine gewisse Gelassenheit zum Tragen. Der Humor ist immer noch skurril: Den liebeskranken Protagonisten von 'Ice Pick' zu Trotzki in seinem letzten Moment werden zu lassen, muss man erst einmal bringen. 'Pillow', das mit Kirmesmusik gemachte Geständnis, Sartre nie verstanden zu haben, und 'LSD', die Antwort auf die philosophische Misere, bilden eine Klammer. ... Freude ist möglich, vor dem Himmel."



Weitere Artikel: Elmar Krekeler ruft in der Welt mit Vivaldis "Vier Jahreszeiten" den Frühling aus. Besprochen werden das Comeback-Album von Shakira (Presse) und Brittany Howards Album "What Now" (FR).
Stichwörter: Dowd, Johnny, Country

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.03.2024 - Musik

Hin und weg ist Christian Wildhagen (NZZ) von Pablo Heras-Casados Gastspiel, der beim Lucerne Festival Beethovens Siebte dirigierte und glatt "zur Eruption" brachte. Seit seinem Bayreuther "Parsifal" drehen sich alle nach dem Spanier um. Er ist "Experte sowohl für die historische Aufführungspraxis wie auch für zeitgenössische Musik. Man kann diese doppelte Perspektive sogar hören: Die glasklare Artikulation, der genau dosierte Vibrato-Einsatz, die fließenden, aber nie übereilten Tempi - dies alles stammt aus der Originalklang-Bewegung. ... Für das LFO ist das in solcher Zuspitzung ein neuer Ton - umso mehr, als Heras-Casado eben nicht nur historisierend zurückblickt, sondern gleichzeitig die Modernität dieser radikalsten aller Beethoven-Sinfonien herausarbeitet. Die auf zehn erste Violinen reduzierte Streicherbesetzung lässt die phantastischen Bläser noch stärker hervortreten, der Klang wird prägnanter, härter, kämpferischer."

Außerdem: Thomas Mauch resümiert in der taz die Berliner MaerzMusik. In der Welt erklärt Michael Pilz, warum Peter Schillings "Major Tom" die beste Torhymne für die deutsche Fußballnationalmannschaft wäre. Nachgereichte Nachrufe auf Maurizio Pollini (weitere Nachrufe bereits hier) schreiben Florian Eichel (Zeit Online) und Berthold Seliger (ND). Außerdem schreiben Gregor Dotzauer (Tsp) und Max Nyffeler (FAZ) zum Tod von Péter Eötvös (weitere Nachrufe bereits hier). Edo Reents (FAZ), Claudia Reinhard (Tsp) und Andrian Kreye (SZ) gratulieren Diana Ross zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden ein Konzert von Judas Priest (FR), ein Bach-Konzert des HR-Sinfonieorchesters mit dem Vocalconsort Berlin (FR), ein Auftritt von Bilderbuch (Tsp) und Moor Mothers neues Album "The Great Bailout" (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.03.2024 - Musik

Die Feuilletons müssen den Tod gleich zweier Protagonisten des klassischen Musikbetriebs verkraften, Peter Eötvös und Maurizio Pollini. Zu Pollini, der im Alter von 82 Jahren starb, schreibt Wolfgang Schreiber in der SZ: "Er war der aufgeklärte, der 'fortschrittliche' Pianist seiner Zeit, vielleicht der sprödeste, empfindlichste, grüblerischste unter den großen Virtuosen. Für Chopin setzte Pollini auf kristallklare Energie, für Bachs Wohltemperiertes Klavier oder Beethovens 32 Sonaten auf eine eiserne Formlogik, für Schubert, Schumann oder Brahms, für Debussy oder Schönberg auf Poesie, Prägnanz, Geradlinigkeit." Auch der Moderne des 20. Jahrhunderts öffnete er sich, doch wollte er "bei aller Kampfansage an die Hörgewohnheiten des Publikums nie ein Avantgarde-Guru sein". In seinen Aufnahmen "wird man nicht mit letztgültigen Interpretationen für die Ewigkeit konfrontiert", schreibt Wolfgang Stähr in der NZZ. "Man folgt einer Suchbewegung und begreift, welcher Reichtum an Möglichkeiten sich hinter jeder Note auftut: Es könnte alles auch ganz anders sein. Unruhe, Begeisterung, Anspannung, Unberechenbarkeit zeichneten Pollinis Klavierspiel aus - keine Chance, sich bequem zurückzulehnen."

"Pollini explodierte sehr jung als pianistisches Genie, als er 1960, mit nur achtzehn Jahren, den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann", erinnert Jan Brachmann in der FAZ. "Seine sagenhafte Technik, die scharfgeschnittene Artikulation, unbeirrbare Phrasierung, lebhaft, doch weitgehend im Verzicht auf Temposchwankungen (das berühmte Rubato) und die perfekt ausbalancierte Statik der Mehrstimmigkeit verblüfften die Welt. Auf dem Debüt-Album, das kurz danach bei der EMI erschien, kann man es bis heute nachhören: Wie unausweichlich steuert er den Höhepunkt in der Coda von Chopins fis-Moll-Polonaise op. 44 an, wenn die heroische Anstrengung in tragische Kapitulation umschlägt!" Weitere Nachrufe schreiben Manuel Brug (Welt) und Judith Sternburg (FR).



Die Feuilletons trauern auch um den Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös, der achtzig Jahre alt wurde: "Eötvös war nie ein Komponist des schönen Scheins, immer begriff er das Komponieren wie das Leben", würdigt ihn Reinhard J. Brembeck in der SZ: "dramatisch, aufgewühlt, packend. Als Musiker war er wie als Komponist ein Mittler zwischen Ost und West, der Avantgarde und einem ihr skeptisch gegenüberstehenden Publikum. Wenn er die legendären 'Gruppen' seines Lehrers Karlheinz Stockhausen dirigierte, dann geschah das Wunder. Die Sperrigkeit wurde zu sinnlich einleuchtender Musik." Manuel Brug erinnert sich auf Welt Online: "Er war offen, kein Dogmatiker, man wusste nie, was man von ihm als nächstes Klanggericht vorgesetzt bekam. Ohne jedes Dogma pflegte er einen legeren Polystilismus. Peter Eötvös war weltoffen, liebte aber auch, wie Fellini, die zirzensische, extraterrestrische Welt der Gaukler und Akrobaten." Hier spielt das hr-Sinfonieorchester seine Komposition "The Gliding of the Eagle in the Skies", dirigiert von ihm selbst:



Alex Rühle ärgert sich in der SZ darüber, dass sich auf den popularen Gebrauchsmusik-Playlists auf Spotify (von Relaxen bis Yoga) nur ein paar Komponisten hinter einer Myriade von Pseudonymen verstecken - und dass Spotify hier wohl ausgefuchste Deals ausgeheckt hat: niedrige Tantiemen gegen prominente Platzierung. Der erfolgreichste Komponist ist ein gewisser Johan Röhr. "Spotify sitzt in Stockholm. Röhrs Musik wird von den Overtone Studios veröffentlicht, einem Stockholmer Label, das zu der ebenfalls in Stockholm ansässigen Firma Epidemic Sound gehört. Die konnte ihren Umsatz 2022 um fast 50 Prozent steigern. Bei Firefly Entertainment, einer Firma, die im schwedischen Stockholm beheimatet ist, vervierfachte sich das Geschäftsvolumen im selben Zeitraum sogar auf 360 Millionen schwedische Kronen. So, wie es aussieht, sind all die Playlists also genau das Gegenteil von Weltmusik, sie werden von einem kleinen Stockholmer Klüngel komponiert und vertrieben, Monokultur zu Dumpingpreisen."

Weiteres: In russischen Gefängnissen werden Dissidenten zum Teil auch mit musikalischer Dauerbeschallung gefoltert, schreibt Ueli Bernays in der NZZ, wobei dafür auf auffallend viel westliche Rockmusik zurückgegriffen wird. Besprochen werden die Berliner Ausstellung "Heavy Metal in der DDR" (taz), Adrianne Lenkers Folkalbum "Bright Future" (Zeit Online), das neue Album von Meute (FAS), ein Konzert von New Model Army (FR) und die Wiederveröffentlichung von Alice Coltranes "The Carnegie Hall Concert" aus dem Jahr 1971 (Pitchfork). Wir hören rein: