Efeu - Die Kulturrundschau

Wellnessbereiche in der Schwerelosigkeit

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26.03.2024. Große Trauer um Fritz Wepper: Als Harry Klein gehörte er zum bundesrepublikanischen Inventar, seufzt Zeit Online, und zählte doch zugleich zur Riege international vorweisbarer Schauspieler. Die Abschiedsvorstellung von Martin Kušej am Burgtheater hätte ein bisschen mehr Pepp haben können, meint die FAZ. Die NZZ kann sich in der neu eröffneten Villa Flora in Winterthur gar nicht satt sehen an Kunst und Architektur. Und die FR stellt fest: Ein Leben im Weltall ohne italienisches Design ist möglich, aber sinnlos.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.03.2024 finden Sie hier

Film



Die Feuilletons trauern um Fritz Wepper. Er "gehörte zum bundesrepublikanischen Inventar", schreibt André Boße auf Zeit Online. Vom legendären "Kommissar" (ein paar Folgen in der ZDF-Mediathek) über den insbesondere in den ersten Staffeln schmerzhaft unterschätzten "Derrick" (vom ZDF entgegen anderslautenden "Gitschrank"-Gerüchten offiziell auf Youtube ausgewertet) bis hin zu eher biederen Formaten der Gegenwart war er "eine darstellende Macht im Fernsehen", schreibt Jan Feddersen in der taz. Seine Kino-Karriere (die auch hier von eher bahnhofskino-artigen Filmen bis zu Hollywood reichte) wurde da manchmal übersehen: "Wepper zählte zur Riege - wie Mario Adorf, Horst Buchholz, Karin Dor und Karin Baal - der deutschen Nachkriegsschauspieler, die prinzipiell auch international vorzeigefähig waren: weil sie keinen Naziappeal verströmten. Diese, so ließe sich sagen, münchnerische Freundlichkeit, die er so undeutsch, so unwehrmachtshaft in jungen Jahren sanft fast verkörperte war einer der Gründe, warum ihn der US-amerikanische Regisseur Bob Fosse 1971 verplichtete, für die Rolle eines nicht ganz für voll zu nehmenden Hallodri in der Christopher-Isherwood-Geschichte 'Cabaret'."



Als Assistent Harry Klein, den er annähernd 30 Jahre lang und in zwei Serien spielte, wird er wohl langfristig im Gedächntis bleiben, schreibt Harry Nutt in der FR: "Gegen die auffällige Langsamkeit des von Erik Ode dargestellten Titelhelden ('Der Kommissar') verkörperte Harry Klein jugendlichen Elan. Und nicht selten war es dem gut aussehenden Ermittler vorbehalten, Verständnis für eine revoltierende Münchner Jugend aufzubringen, in deren Schwabinger Milieu es manch kniffliges Mordgeschehen aufzuklären galt. Harry Klein war der Langhaarigenversteher der Nation."

"Das deutsche Fernsehen, das waren die Weppers", schreibt Cosima Lutz in der Welt und holt dazu noch Elmar Wepper mit ins Boot, der vor bereits einem halben Jahr gestorben ist. Das Publikum liebte Fritz Wepper, "weil es vieles von sich selbst in ihm erkannte: etwas Durchschnittliches, Unaufgeregtes, sich Begnügendes und trotzdem bei Bedarf Renitentes. Trotz dieser bewährten Art schaffte er es, seinen Serienfiguren immer wieder neue komödiantische Facetten zu geben, schwang sogar als Elvis-Imitator die Hüften." Wepper war "ein Garant dafür, dass sympathisch-menschliche Schlitzohrigkeit zum Ziel führen kann, rein professionelle dagegen in den Knast", ergänzt Paul Jandl in der NZZ. Weitere Nachrufe schreiben Kurt Sagatz (Tsp) und Axel Weidemann (FAZ).

Besprochen werden James Hames' "One Life" (taz), Christopher Zallas "Radical" (Welt), die Doku "Quiet on Set" über mutmaßlichen Missbrauch beim Kindersender Nickelodeon (FAZ) und die ARD-Serie "Kafka" von David Schalko und Daniel Kehlmann (TA, Welt)
Archiv: Film

Bühne

"Orpheus steigt herab" am Burgtheater Wien. Foto: Matthias Horn.

Einen größeren Knall hätte sich FAZ-Kritiker Martin Lhotzky von der Abschiedsvorstellung des Burgtheater-Leiters Martin Kušej erwartet. Die Inszenierung von Tennessee Williams Südstaaten-Drama "Orpheus steigt herab" ist etwas "lau" geraten, findet er, die Möglichkeiten des Hauses und der Schauspieler wurden nicht voll ausgeschöpft. Trotzdem, die Themen, die hier verhandelt werden, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt im Universum beschränkten kleinbürgerlichen Denkens, sind zeitlos: "Wenn der Vorhang an diesem Premierenabend in die Höhe geht, ist es erst einmal dunkel. Doch lodern bereits die Flammen im Hintergrund, und die Drehbühne zeigt langsam die Ruine des Ladens, einige kleine, nicht gerade sauber wirkende Zimmer und wohl den Hinterhof, in dem ein ausgebranntes Autowrack neunzig Grad emporragt. In das Obergeschoss, wo Martin Reinke, bloß mit langen, schmuddeligen Unterhosen bekleidet, als Jabe die meiste Zeit dahinröchelt, wird noch kein Einblick gewährt. Das stimmig-kompakte Bühnenbild hat, wie schon oft, wenn Kušej inszeniert, Annette Murschetz entworfen."

Ein weiterer Abschied und auch dieses Mal Unzufriedheit auf der Kritikerseite: Jakob Hayner kann sich in der Welt nicht damit anfreunden, dass die scheidenden Intendanten des Zürcher Schauspielhauses Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg mit Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" dem Zürcher Publikum einen Denkzettel verpassen wollten (Unser Resümee): "Nachdem das Bühnenbild demontiert und dekonstruiert ist, flirren Videoeinspieler über die Bühne. Die Feuerwehrleute tragen nun Anzug und verkünden im Stile einer Fernsehreportage, dass das Theater künftig in einem neu gebauten Parkhaus für SUVs untergebracht wird. Kurz darauf sieht man, wie der alte Bau in die Luft fliegt. Nun dürfte man auch in der letzten Reihe merken, dass hier in selbstgerechter Pose die Zerstörung des Schauspielhauses durch eine verlogene Stadtgesellschaft angeprangert wird."

Besprochen werden der zweite Teil des Musiktheaterzyklus' "Resurrection Games" von Elischa Kaminer im Mousonturm in Frankfurt (FR), Christian Stückls Inszenierung von Sybille Bergs Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" am Volkstheater in München (SZ), Oliver Mears Inszenierung von Amilcare Ponchiellis Oper "La Gioconda" bei den Osterfestspielen in Salzburg (FAZ), Martin Kušejs Inszenierung von Tennessee Williams Stück "Orpheus steigt herab" am Burgtheater Wien (FAZ), Stas Zhyrkovs Inszenierung von "Die Orestie. Nach dem Krieg" nach Aischylos am Schauspielhaus Düsseldorf (SZ), Nadja Loschkys Inszenierung von Georg Friedrich Händels "Giulio Cesare in Egitto" an der Oper Frankfurt (FR), Christian Stücks Inszenierung von Sybille Berg Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" am Münchner Volkstheater (nachtkritik) und David Böschs Inszenierung der Strauss-Oper "Die Frau ohne Schatten" an der Semperoper in Dresden (nmz).
Archiv: Bühne

Musik

Hin und weg ist Christian Wildhagen (NZZ) von Pablo Heras-Casados Gastspiel, der beim Lucerne Festival Beethovens Siebte dirigierte und glatt "zur Eruption" brachte. Seit seinem Bayreuther "Parsifal" drehen sich alle nach dem Spanier um. Er ist "Experte sowohl für die historische Aufführungspraxis wie auch für zeitgenössische Musik. Man kann diese doppelte Perspektive sogar hören: Die glasklare Artikulation, der genau dosierte Vibrato-Einsatz, die fließenden, aber nie übereilten Tempi - dies alles stammt aus der Originalklang-Bewegung. ... Für das LFO ist das in solcher Zuspitzung ein neuer Ton - umso mehr, als Heras-Casado eben nicht nur historisierend zurückblickt, sondern gleichzeitig die Modernität dieser radikalsten aller Beethoven-Sinfonien herausarbeitet. Die auf zehn erste Violinen reduzierte Streicherbesetzung lässt die phantastischen Bläser noch stärker hervortreten, der Klang wird prägnanter, härter, kämpferischer."

Außerdem: Thomas Mauch resümiert in der taz die Berliner MaerzMusik. In der Welt erklärt Michael Pilz, warum Peter Schillings "Major Tom" die beste Torhymne für die deutsche Fußballnationalmannschaft wäre. Nachgereichte Nachrufe auf Maurizio Pollini (weitere Nachrufe bereits hier) schreiben Florian Eichel (Zeit Online) und Berthold Seliger (ND). Außerdem schreiben Gregor Dotzauer (Tsp) und Max Nyffeler (FAZ) zum Tod von Péter Eötvös (weitere Nachrufe bereits hier). Edo Reents (FAZ), Claudia Reinhard (Tsp) und Andrian Kreye (SZ) gratulieren Diana Ross zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden ein Konzert von Judas Priest (FR), ein Bach-Konzert des HR-Sinfonieorchesters mit dem Vocalconsort Berlin (FR), ein Auftritt von Bilderbuch (Tsp) und Moor Mothers neues Album "The Great Bailout" (taz).

Archiv: Musik

Kunst

Félix Vallotton: "La Blanche et la Noire", 1913, Öl auf Leinwand. (Bild: Villa Flora, Winterthur (Hahnloser/Jäggi-Stiftuung))

Winterthur hat sein "Juwel" zurück, jubelt Philipp Meier in der NZZ: die Villa Flora ist saniert und das ist gelungen, einen "luftigen Pavillon" hat das Basler Architekturbüro Jessen Vollenweider dem Haus und Garten hinzugefügt, in dem nun wieder die Sammlung von Hedy und Arthur Hahnloser zu sehen ist. Und dann entdeckt Meier hier auch noch ein Highlight nach dem anderen, neben Bonnard, Vuillard, Matisse, Manguin auch ein besonderes Werk von Félix Valloton: "Die verglaste Front gibt den Blick auf den Garten frei mit den weiblichen Akt-Skulpturen von Maillol. Ein Frauenakt dominiert den mit historischen Stofftapeten verkleideten Galerieraum selber: das großformatige Meisterwerk 'La Blanche et la Noire' (1913) des Hausfreundes der Hahnlosers, Félix Vallotton. Das Motiv der liegenden Nackten und ihrer bekleideten, schwarzen Bediensteten am Fußende des Betts geht auf Manets Skandalbild 'Olympia' zurück. Skandalös war für die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts auch Vallottons brutal nüchterne und fast schon neusachliche Umsetzung. Das ambivalente Verhältnis zwischen Rassen und Kulturen wird hier auf die Spitze getrieben. Das auch heute noch spektakuläre Bild war damals nicht bloß auf der Höhe der Zeit, sondern seiner Zeit weit voraus."

Besprochen werden die Ausstellung "Sieh dir die Menschen an" im Kunstmuseum Stuttgart (NZZ), die Ausstellung "Verzweigt. Bäume in Fotografien der Sammlung SpallArt" im Depot SpallArt (FAZ), die Ausstellung "feelings" mit Werken von Cosima von Bonin in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt (taz) und die Ausstellung "Unter Druck - e.o.plauen, der Ullstein Verlag und das Presseviertel in Berlin" in der Galerie e.o. Plauen in Berlin (tsp).
Archiv: Kunst

Literatur

"Ist ein junges öffentlich-rechtliches Literaturformat überhaupt möglich", fragt sich Johann Voigt in der taz nach dem (nach langem Lavieren) nun doch verkündeten Aus der Sendung von "Studio Orange" mit Sophie Passmann. Ein solches Format bräuchte es aber, will man die junge Lesegeneration nicht völlig an TikTok verlieren, glaubt er. Vielleicht löst "Longreads" im RBB dies ja ein, für das Helene Hegemann je Folge mit einem Gast über ein Buch spricht: "Die erste Folge lebt dabei von der Unmittelbarkeit der Dialoge und Szenen und ihrer dynamischen Ortswechsel. Die Aufmachung erinnert an Artes legendäre 'Durch die Nacht mit …'-Serie. Der Sound ist durchdacht, das Setting entschleunigt, was auch daran liegt, dass Hegemann sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängt. Sie hält die Gespräche am Laufen und fungiert als Stichwortgeberin, wie auch die Bücher selbst. Die große Leistung bei 'Longreads' ist es, Literatur ernst zu nehmen, aber die eigene Sprechposition dabei nicht zu überhöhen und so nie ins Didaktische abzudriften."

Weitere Artikel: Die SZ dokumentiert Dana von Suffrins Recherche zum Leben von Werner Kleemann im Rahmen des "Stolpertexte"-Projekts, für das das New Yorker Leo Baeck Institut seine Archive mit Dokumenten zu den Biografen von NS-Verfolgten für Schriftsteller öffnet. Karl-Heinz Göttert erinnert in der Welt an Heinrich Heines vor 200 Jahren veröffentlichtes Gedicht "Lore-Ley".

Besprochen werden unter anderem Percival Everetts "James" (TA), Philipp Felschs Biografie über Jürgen Habermas (Welt), Federico Axats Psychothriller "In den Stunden einer Nacht" (online nachgereicht von der FAZ), Ingo Schulzes "Zu Gast im Westen" (SZ) und Pedro Almodóvars Erzählband "Der letzte Traum" (FAZ).
Archiv: Literatur

Design

Ein Leben im Weltall ohne italienisches Design ist möglich, aber sinnlos, lautet Lisa Berins' Fazit in der FR nach dem Besuch des "Italian Design Days" im Frankfurter Kunstverein, wo Annalisa Dominoni und Benedetto Quaquaro vom Polytechnikum aus Mailand ihre Konzepte für ein angenehmes Leben in Outer Space vorstellten: Dazu gehören etwa "eine runde Tonne mit Rundum-Fensterblick, innen drin ein mit schallabsorbierendem Material ausgestatteter Raum zum Entspannen, man kann in einer modularen Chaiselongue sitzen und lesen oder das Spektakel draußen beobachten." Oder "ein Fitnessstudio und Wellnessbereiche in der Schwerelosigkeit für Astronaut:innen, ein Jacuzzi mit verschiedenen Zuständen von Wasser in einem Spacehotel von Virgin Galactic für Weltalltouristinnen und -touristen." Aber auch "aufblasbare Modell-Häuschen für den Mars, Möglichkeiten, Pflanzen im Weltall zu kultivieren. Oder auch futuristisch aussehende Prothesen und multifunktionale Erweiterungen für den menschlichen Körper, die den Alltag im All erleichtern sollen."
Archiv: Design