"Mit langen Schritten ist es möglich, die
Avenida Rio Branco in einer halben Stunde von einem Ende zum anderen entlangzulaufen".
Domingo, die Sonntagsbeilage der brasilianischen Tageszeitung
Jornal do Brasil, wartet mit einer schönen Reportage über eine der Hauptschlagadern Rio de Janeiros auf. Autorin Fernanda Zambrotti hat sich dort, mitten im Zentrum der Millionenstadt,
umgesehen und beispielsweise von einem
Buchhalter beraten lassen, der sich gut auskennt: "Auf der
linken Straßenseite gehe ich nicht, weil dort die Überfälle stattfinden. Auf der
rechten Seite ist wegen der Straßenhändler alles viel konfuser, aber wenigstens gibt es dort keine Diebe. Zwischen 11.30 und 13.00 Uhr ist es
ganz schlimm".
Außerdem
stellt Domingo den Schriftsteller und Lastwagenfahrer
Henrique Lessa vor. Der beschloss Anfang der siebziger Jahre seinen Job als Bankangestellter an den Nagel zu hängen, um einem Wunschtraum der großen brasilianischen Schriftstellerin
Rachel de Queiroz zu folgen: "Wenn ich ein Mann wäre, würde ich alles auf eine Karte setzen, einen
Lastwagen kaufen und mich auf den Weg machen". So romantisch, wie sich De Queiroz dieses Dassein darstellte, war es dann allerdings doch nicht, wie Lessa bald herausfand. Trotzdem blieb er dabei und sammelte Material für bislang vier Bücher, die dem mittlerweile 74-jährigen nicht nur einen Literaturpreis mit dem schönen Namen
"Reife Talente" einbrachte, sondern auch eine enge Freundschaft mit ebenjener Rachel de Queiroz, die vergangenes Jahr starb.
Eine weitere Beilage der Zeitung,
Caderno B, steht ganz im Zeichen des nahenden Geburtstages von
Chico Buarque, einem der wichtigsten
Songwriter Brasiliens, der mit seinen zärtlich-bösen Liedern in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur der eigenen Militärdiktatur zusetzte, sondern auch das Lebensgefühl ganzer Intellektuellen-Generationen Lateinamerikas mitprägte.
Jornal do Brasil hat so ziemlich alles
zusammengetragen, was es über ihn zu wissen gibt. Indes wird in der Kulturbeilage
Ideias der gerade in Brasilien weilende britische Agitator, Schriftsteller und Künstler
Stewart Home interviewt. Der hat in den Neunzigern schon einmal, allerdings erfolglos, zu einem
dreijährigen Kunststreik aufgerufen und ist weiterhin Befürworter des
systematischen Plagiats. Außerdem hat er sich vorgenommen, "ein Buch zu schreiben, so gewalttätig wie die Bibel". In den
Buchbesprechungen wird über den brasilianischen Tellerrand hinausgeschaut und der gesamte portugiesische Sprachraum erforscht, etwa in Rezensionen der neuen Werke des Portugiesen
Rui Zink, des Angolaners
Pepetela und der Mozambikanerin
Pauline Chiziane.