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Jornal do Brasil

1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 14.06.2004 - Jornal do Brasil

"Mit langen Schritten ist es möglich, die Avenida Rio Branco in einer halben Stunde von einem Ende zum anderen entlangzulaufen". Domingo, die Sonntagsbeilage der brasilianischen Tageszeitung Jornal do Brasil, wartet mit einer schönen Reportage über eine der Hauptschlagadern Rio de Janeiros auf. Autorin Fernanda Zambrotti hat sich dort, mitten im Zentrum der Millionenstadt, umgesehen und beispielsweise von einem Buchhalter beraten lassen, der sich gut auskennt: "Auf der linken Straßenseite gehe ich nicht, weil dort die Überfälle stattfinden. Auf der rechten Seite ist wegen der Straßenhändler alles viel konfuser, aber wenigstens gibt es dort keine Diebe. Zwischen 11.30 und 13.00 Uhr ist es ganz schlimm".

Außerdem stellt Domingo den Schriftsteller und Lastwagenfahrer Henrique Lessa vor. Der beschloss Anfang der siebziger Jahre seinen Job als Bankangestellter an den Nagel zu hängen, um einem Wunschtraum der großen brasilianischen Schriftstellerin Rachel de Queiroz zu folgen: "Wenn ich ein Mann wäre, würde ich alles auf eine Karte setzen, einen Lastwagen kaufen und mich auf den Weg machen". So romantisch, wie sich De Queiroz dieses Dassein darstellte, war es dann allerdings doch nicht, wie Lessa bald herausfand. Trotzdem blieb er dabei und sammelte Material für bislang vier Bücher, die dem mittlerweile 74-jährigen nicht nur einen Literaturpreis mit dem schönen Namen "Reife Talente" einbrachte, sondern auch eine enge Freundschaft mit ebenjener Rachel de Queiroz, die vergangenes Jahr starb.

Eine weitere Beilage der Zeitung, Caderno B, steht ganz im Zeichen des nahenden Geburtstages von Chico Buarque, einem der wichtigsten Songwriter Brasiliens, der mit seinen zärtlich-bösen Liedern in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur der eigenen Militärdiktatur zusetzte, sondern auch das Lebensgefühl ganzer Intellektuellen-Generationen Lateinamerikas mitprägte. Jornal do Brasil hat so ziemlich alles zusammengetragen, was es über ihn zu wissen gibt. Indes wird in der Kulturbeilage Ideias der gerade in Brasilien weilende britische Agitator, Schriftsteller und Künstler Stewart Home interviewt. Der hat in den Neunzigern schon einmal, allerdings erfolglos, zu einem dreijährigen Kunststreik aufgerufen und ist weiterhin Befürworter des systematischen Plagiats. Außerdem hat er sich vorgenommen, "ein Buch zu schreiben, so gewalttätig wie die Bibel". In den Buchbesprechungen wird über den brasilianischen Tellerrand hinausgeschaut und der gesamte portugiesische Sprachraum erforscht, etwa in Rezensionen der neuen Werke des Portugiesen Rui Zink, des Angolaners Pepetela und der Mozambikanerin Pauline Chiziane.