Eine wahrlich erschütternde
Reportage
veröffentlicht
Lecturas Dominicales, die Kulturbeilage der kolumbianischen Tageszeitung
El Tiempo. Es geht um Leidy Tabares, jenes Straßenkind, das 1998 als
Rosenverkäuferin in dem gleichnamigem
Film von
Victor Gaviria über den roten Teppich in Cannes schwebte. Aufgeschrieben hat ihre Geschichte John Carlin, Reporter der spanischen Tageszeitung
El Pais. Der ist schon auf allerlei Kriegsschauplätzen gewesen, aber eine derartige
Tragödie war ihm noch nicht
untergekommen: "Ich hatte das Gefühl, ich könnte ihr nichts erzählen, was sie überraschen könnte. In Sachen Gewalt und
städtischer Verzweiflung wird die Welt, in der sie lebt, immer das letzte Wort behalten, eine Million Kilometer entfernt von den Sorgen um
Cholesterin oder Handy-Klingeltöne, die unsere bequemen westeuropäischen Existenzen erschüttern". Leidy Tabares ist in der kolumbianischen Großstadt
Medellin aufgewachsen, wo sich Jugendbanden, Polizei, Drogenhändler, Armee, Guerilla und Paramilitärs schon seit mehr als zwei Jahrzehnten gegenseitig niedermetzeln. Cannes verhalf der damals 14-Jährigen, zu einem gewissen Ruhm, und doch musste sie sich bald wieder als Rosenverkäuferin durchschlagen. Sie
verliebte sich in einen jungen Pistolero, Ferney, und bekam ein Kind von ihm. Ferney aber wurde erschossen, und wenig später nahm auch sie an einem Überfall teil, bei dem ein Taxifahrer ermordet wurde. Kurz nachdem Carlin mit der mittlerweile 21-jährigen sprach, musste sie ihre Haftstrafe antreten. Sie ist
wegen Mordes zu 26 Jahren verurteilt worden.
Weiterhin bringt
Lecturas Dominicales einen Vorabdruck aus "Delirio", dem neuen Roman der Kolumbianerin
Laura Restrepo. "Ich merkte, das etwas für immer zerbrochen war, als mir ein Mann
die Tür jenes Hotelzimmers öffnete und ich im Hintergrund meine Frau sitzen sah, die auf eine sehr merkwürdige Art und Weise aus dem Fenster schaute",
heißt es dort. Erzählt wird die Geschichte von Aguilar, einem Literaturdozenten, und seiner Frau Agustina, die aus anfangs
unerfindlichen Gründen wahnsinnig geworden ist. Schauplatz ist auch hier das heutige Kolumbien. "Delirio" ist in Spanien mit dem diesjährigen
Alfaguara-Preis des gleichnamigen
Verlagshauses bedacht worden (also 175.000 US-Dollar,
hier das Pressedossier). Auf Deutsch sind von Laura Restrepo bislang die gleichfalls empfehlenswerten
"Der Engel an meiner Seite",
"Die dunkle Braut" und
"Der Leopard in der Sonne" erschienen.
Außerdem in dieser Beilage und dieser Zeitung: ein
Interview mit dem kürzlich verstorbenen kolumbianischen
Maler Enrique Grau sowie eine ausführliche
Berichterstattung über das am Sonntag zu Ende gegangene
internationale Theaterfestival, das alle zwei Jahre die Hauptstadt
Bogota in Aufruhr versetzt. Viel Applaus ernteten dort auch die deutschen Inszenierungen der "Emilia Galotti" vom
Deutschen Theater sowie "Bernarda Albas Haus" vom
Thalia Theater.