Angelika Klüssendorf

Vierunddreißigster September

Roman
Cover: Vierunddreißigster September
Piper Verlag, München 2021
ISBN 9783492059909
Gebunden, 224 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Ein Dorf in Ostdeutschland: Walter, ein zorniger Mann, erschlagen in der Silvesternacht von Hilde, der eigenen Frau. Nur kurz vor seinem Ende war er plötzlich sanft und ihr zugewandt. Dann ein Friedhof: Die Toten studieren die Lebenden. Walter wird zum Chronisten, sieht sich dazu verdammt, die Schicksale im Dorf festzuhalten. Und er fragt nach dem Warum. Was war der Grund für Hildes Tat? Geschah es aus Hass oder aus Barmherzigkeit?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2021

Rezensent Oliver Jungen ist großer Fan von Angelika Klüssendorf, aber mit ihrem neuen Roman kann er beim besten Willen nichts anfangen. Von dem für Klüssendorf typischen psychologischen Scharfsinn keine Spur, meint er. Stattdessen liest der Kritiker zunehmend genervt diese irgendwo im Osten angesiedelte Provinzgeschichte, in der Walter, einst Wendeverlierer und Tyrann, zuletzt dement und milde, von seiner Frau mit der Axt erschlagen wird und das Geschehen von nun aus dem Jenseits kommentiert. Weitere kaputte Lebende und drastisch umgekommene Tote treten auf, nur Subtilität will sich nicht einstellen, seufzt Jungen. Die Handvoll "feingesponnener" Formulierungen kann ihn nicht über den plumpen, teils "zotigen" Humor dieser "öden Dorfgroteske" hinwegtrösten.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.09.2021

Erst haben alle vom Großstadtleben geschrieben, jetzt sind Dorfromane das große Ding, meint Rezensentin Julia Encke mit Blick auf Juli Zeh, Judith Hermann und Angelika Klüssendorf. Doch egal ob Stadt oder Land, es scheint dabei immer um das eigene Leben zu gehen: von den Mittelstandsoasen in der Stadt zu den Mittelstandsoasen in der Provinz ist es ja eigentlich auch nur ein kleiner Schritt, denkt sich die Rezensentin und gähnt. Die Ur-Dorfbewohner sind dabei oft nur Staffage, klagt sie, wie bei Juli Zeh, die sie als herzerwärmende Exoten beschreibt. Die großstadtflüchtigen Protagonisten wiederum flüchten in die reine Innerlichkeit, wie bei Judith Hermann. Der Rest versinkt in "Dorfliteraturtopoi" wie bei Angelika Klüssendorf, so die angeödete Rezensentin, die sich endlich wieder mehr Welt wünscht in der deutschen Literatur. Vielleicht mal eine Reise?

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 04.09.2021

Rezensent Helmut Böttiger findet den dunklen Hyperrealismus in Angelika Klüssendorfs "Vierunddreißigster September" beklemmend. Die von der Kritik für ihre starke, rationale Sprache gelobte Autorin beschreibt in ihrem neuen Buch lebensnah und doch surreal den Alltag eines unscheinbaren Dorfes im Osten Deutschlands mit glaubwürdigen und gleichzeitig grotesken Figuren, erklärt Böttiger. Die Grundidee des Buches, nämlich dass ein Toter Protagonist ist und abwechselnd aus dem Totenreich und dem realistischen Dorfleben berichtet wird, findet der Rezensent gut. Doch ab der Hälfte der Erzählung wirkt das Ganze für ihn zu ausgeschöpft und seine ursprüngliche Verblüffung verpufft - nur Klüssendorfs Sprache verführt ihn bis zuletzt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.09.2021

Rezensentin Sophie Wennerscheid gelingt es, angesichts der Tristesse in Angelika Klüssendorfs neuem Roman nicht zu verzweifeln. Das liegt an der Wärme, mit der die Autorin eine Dorfgemeinschaft in der ostdeutschen Provinz beschreibt. Vermittelt durch einen von seiner Frau mit einem Beil erschlagenen Erzähler lernt der Leser laut Wennerscheid die Dorfbewohner und ihre Schicksale kennen, ihre Sehnsüchte und ihre Hoffnungslosigkeit. Die Wennerscheid anfangs etwas konstruiert erscheinende Erzählstruktur, trägt den Text und ermöglicht laut Rezensentin entspannte Einsichten in die Effekte der Wiedervereinigung bzw., mit Ernst Bloch gelesen, sogar "Einblicke in ein utopisches Denken des Humanen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.09.2021

Rezensent Adam Soboczynski schätzt Angelika Klüssendorfs Romane für ihre Menschenfreundlichkeit. Auch in Klüssendorfs neuem Text entdeckt er sie, wenn die Autorin ihren Erzähler das Schicksal einer Dorfgemeinschat in der brandenburgischen Provinz nacherzählen lässt. Das Besondere an diesem Erzähler: Er ist tot, seine eigene Ehefrau hat ihm den Kopf mit einem Beil gespalten. Dass der Mord nichts weiter zur Sache tut, sondern nur die Voraussetzungen schafft für ein ungehindertes Erzählen über die Menschen im Dorf und ihre vom Untergang der DDR geprägte Geschichte, scheint dem Rezensenten ungeheuerlich, aber auch genial, kokett, spleenig. Der Roman, experimentell und leicht zugleich, vermittelt dem Leser die Wende und ihre Folgen und erzählt von den Gespenstern der DDR, so Soboczynski.