Alexandar Tisma

Reise in mein vergessenes Ich

Tagebuch 1942-1951
Cover: Reise in mein vergessenes Ich
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203594
Gebunden, 320 Seiten, 21,50 EUR

Klappentext

Aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak. Der erste Teil der Tagebücher von Aleksandar Tisma, der kurz nach seinem Tod auf seinen eigenen Wunsch erscheint. Analytisch klar wie in seinen späteren Romanen zeichnet der junge Tisma seinen inneren Werdegang auf: die Unbehaustheit bei den zerstrittenen Eltern, die Suche nach dem wahren Leben im Bereich der Sexualität und die heimliche Sehnsucht nach Ruhm und Unsterblichkeit.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.02.2004

Die Tagebücher von Aleksandar Tisma bieten eine verstörende Lektüre, gesteht Karl-Markus Gauß, es sei das Buch eines Narziss, eine Selbstbezichtigung, auch eine Selbstverletzung. Da mache sich jemand den Prozess, trete als Angeklagter, Ankläger und Zeuge in einem auf, ohne sich einen Verteidiger zu gönnen. Mit anderen Worten: quälend. Tisma hat von 1942 bis 2001 Tagebücher geführt, und im Serbischen sind sie alle erschienen, weiß Gauß, mehr als 1.200 Seiten. Er begrüßt die Entscheidung der deutschen Herausgeber, nur die ersten zehn Jahre zu dokumentieren. In diesem Jahrzehnt habe sich Tisma nämlich zum Schriftsteller entwickelt. Obwohl Tisma selbst nur knapp dem berüchtigten Massaker von Novi Sad entkommen ist, tauche die Politik in den Tagebüchern kaum auf, die der größte Teil handelt von der Gier nach Frauen und dem Streben nach Anerkennung, wundert sich Gauß. Erst nach der Vertreibung der Deutschen entdeckte Tisma sein Judentum, thematisierte erst dann die "Scham wegen dieser Scham", die ihn sein Leben lang begleiten sollte und sich nach Meinung von Karl-Markus Gauß in seine besten Büchern eingeschrieben hat.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.11.2003

Ehrfürchtig bespricht Stephan Schurr das Tagebuch des jungen Aleksandar Tisma - nicht, weil dieser darin Geschichte um Geschichte sexueller Eroberung aneinander reiht, sondern weil diese Aufzeichnungen zugleich Stilübungen sind, frühe Zeugnisse einer scharfen Beobachtungsgabe, weil Tisma hier - "ohne es zu wissen" - an der Sprache feilt, mit der er später "die Lebensgeschichten seiner Region" erzählen wird. Und dass er Schriftsteller werden wollte, dass nichts anderes je in Frage kam, dass wusste er schon damals, ist Schurr überzeugt, als adoleszenter Flaneur, der als Halbjude ein "Davongekommener" war, doch in seinem Tagebuch wenig von dem Horror durchscheinen lässt. Die Aufzeichnungen, schreibt Schurr, zeigen einen "Mann in der Schwebe, der noch alles vor sich hat. Ein Suchender, der schonungslos sein Ich analysiert, sein obsessives Geschlechtsleben protokolliert" und sich in die Rolle des Beobachters begibt, "der das wahrgenommene 'Material' auf seine literarischen Tauglichkeit prüft". Während biografische Einschnitte eher schemenhaft Eingang in die Notizen finden, rückt die drängende Suche nach dem literarischen Selbstbild in den Vordergrund, das Ausprobieren und Verwerfen von Methoden - Tismas "Metamorphose zum Schriftsteller". Ein "ein einzigartiges Vermächtnis", findet Schurr und vergisst nicht zu erwähnen, dass Barbara Antkowiak es wie gewohnt so übersetzt hat, "dass der unverwechselbare Ton Tismas in jeder Zeile zu hören ist".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2003

Alexander Tisma gehört nicht zu den großen Tagebuchschreibern der Literatur, stellt Peter Hamm nach Lektüre dieses Journals aus den Jugendjahren des serbischen Schriftstellers Tisma fest. Er schreibt ebenso glanz- und schnörkellos wie in seinen Romanen, findet Hamm. Die erotische Offenbarungswut Tismas erinnert ihn an den Tagebuchschreiber Georg Heym, der im Ersten Weltkrieg umgekommen ist. Tisma erweist sich als hemmungsloser Narziss, verkündet Hamm, und sei zugleich sich selbst gegenüber der gnadenloseste Kritiker. Obwohl um ihn herum die Deutschen in Novi Sad, wo der gebürtige Jude und Halbungar damals lebte, Massaker veranstalteten, finden diese Ereignisse im Journal keinerlei Niederschlag, staunt Hamm. Sein Judentum erwähne Tisma erstmals im Oktober 1944, also nach der Befreiung Ungarns vom Faschismus, was der Rezensent auf ein Schamgefühl Tismas über seine jüdische Abstammung zurückführt, das seiner Ansicht nach ebenso Scham über dieses Schamgefühl einschließt. Hamm konstatiert eine Lebensgier bei Tisma, die ihn ebenso Frauen wie Bücher verschlingen ließ. Tismas Bücher zeichneten sich schon immer dadurch aus, meint Hamm, dass sie zwischen Tätern und Opfern nicht säuberlich trennten. Diese Haltung erkennt er im Tagebuch der frühen Jahre wieder: der Mensch als sein eigener Abgrund.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Tief beeindruckt lässt Aleksandar Tismas Tagebuch von 1942 bis 1951 den Rezensenten Andreas Breitenstein zurück, der sich immer wieder versichern muss, dass dies die Aufzeichnungen eines kaum Erwachsenen sind. Schonungslos gegen sich selbst lasse Tisma den Leser in den "Urgrund seines Schaffens" schauen, was das Journal sowohl zu einer "Zumutung" wie zu einer beispiellosen "Tapferkeit vor dem Leser" mache. Möglich wird diese Wirkung auch durch die "geschmeidige Übersetzung", lobt Breitenstein. Das Tagebuch des serbischen Schriftstellers zeigt für unseren Rezensenten deutlich die autodestruktive Energie des gerade werdenden Schriftstellers, Tismas Fixierung aufs Private und vor allem die Frauen wirke da geradezu zwanghaft. Der Kern des späteren Erzählens von Tisma, das Nazi Pogrom von Novi Sad, wird ausgespart, das Trauma des Überlebenden wird aber zum Subtext für alle Einträge, erklärt Breitenstein. Die vielsagende wechselseitige Ausgrenzung von persönlicher und literarischer Entwicklung macht für ihn schließlich den großen Reiz des Buchs aus: "Kaum will man glauben, dass aus soviel Lebensangst solche Souveränität, aus so viel Verwirrung solche Klarheit, aus so viel Vorläufigkeit solche Form entstehen konnte."
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