Andrej Platonow

Tschewengur

Die Wanderung mit offenem Herzen. Roman
Cover: Tschewengur
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
ISBN 9783518428030
Gebunden, 581 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Renate Reschke, die für diese Ausgabe ihre Übersetzung von 1990 überarbeitet hat. Mit einem Nachwort von Hans Günther und einem dialogischen Essay von Dževad Karahasan und Ingo Schulze. Nicht nur "Die Baugrube", auch das zweite Hauptwerk Andrej Platonows, der Roman "Tschewengur", durfte in der Sowjetunion nicht erscheinen. Er habe nichts anderes versucht, als den Anfang der kommunistischen Gesellschaft darzustellen, schreibt der Autor an den mächtigen Maxim Gorki. Das Buch, so die Antwort, sei inakzeptabel, denn die Helden würden nicht als Revolutionäre, sondern als komische Käuze und Halbverrückte wahrgenommen.
Don Quijote und Sancho Pansa durchstreifen die Steppe Südrusslands: Sascha Dwanow hat als Heizer an den Kämpfen der Roten Armee gegen die Weißen teilgenommen. Kopjonkin ist auf dem Ross "Proletarische Kraft" unterwegs, auf der Suche nach dem Grab Rosa Luxemburgs, in deren Namen er Heldentaten begehen will. Soll das, was ihnen unterwegs begegnet, die Verwirklichung der sozialistischen Idee sein?  Erst nach der Trennung von Kopjonkin kommt Sascha auf die richtige Spur. In der Steppenstadt Tschewengur soll der Kommunismus bereits angebrochen sein. Wie elf Bolschewiki und ihr Führer dort die Bourgeoisie vernichten und mit der bettelarmen Bevölkerung das Paradies aufbauen, wird als Geschichte eines gigantischen Scheiterns erzählt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.08.2018

"Tschewengur" heißt das Paradies für Sascha Dwanow und seinen Begleiter Kopjonkin. Tschewengur - die Verheißung in der Steppe - eine Stadt, in der der Kommunismus regiert - für Gerechtigkeit und Freiheit, erklärt Rezensent Dirk Pilz. Dorthin sind die beiden Gefährten auf der Reise. Doch weil, so Pilz, eine wahre Geschichte über den Kommunismus niemals nur eine Geschichte über den Kommunismus sein kann, ist "Tschewengur" auch eine Erzählung, in der alle gesellschaftlichen und politischen Versuche sich spiegeln, in denen der Mensch versucht(-e) sich selbst zu überlisten. Andrej Platonow schreibt über den Trotz und die Hoffnung, vor allem aber über die Erfahrung des Scheiterns, lesen wir. Ihn interessieren die Details des Niedergangs und der Enttäuschung auf dem Weg zur "verlustreichen Wahrheit", so Pilz weiter. Diese schildere er mit einer Eindringlichkeit und Genauigkeit, die fast schmerzt und dabei doch ästhetisch ist, meint der Kritiker. Dieses Buch ist  ein "Meisterwerk" - hervorragend und feinfühlig übersetzt von Renate Reschke, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.07.2018

In Andrej Platonows "Tschewengur" geht es laut Rezensentin Katharina Granzin um eine fiktive Stadt, in der Männer leben, die glauben, den Kommunismus erreicht zu haben. Allerdings fand die Rezensentin deren Definition des Kommunismus höchst eigenwillig: In Tschewengur werde nicht gearbeitet, die Männer wollen von dem leben, was der "Weltproletarier", die Sonne, wachsen lässt. Außerdem fand sie männliches Begehren, Mütterlichkeit, Tod und Kommunismus auf befremdliche Art und Weise verknüpft. Beeindruckt hat sie die "poetische Eindringlichkeit" und der Einfallsreichtum des Romans, kann aber nicht recht entscheiden, ob Platonow hier eine Utopie oder eine satirische Dystopie geschrieben hat. Das müsse wohl jeder für sich selbst ausloten, glaubt Granzin, die diesen Auslegungsspielraum offensichtlich ebenfalls als Vorzug des Romans empfunden hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.06.2018

Rezensentin Christiane Pöhlmann erkennt in Andrej Platonows Erzählen den weltanschaulichen Aspekt und verbucht ihn als literarische Schwäche des Romans, über die für sie nicht mal die "funkelnde" neu durchgesehene Übersetzung von Renate Reschke hinwegtäuschen kann. Die Erwartungen, die das einstige Verbot des Textes bei der deutschen Erstveröffentlichung 1990 weckte, findet Pöhlmann allerdings nur bedingt erfüllt. Als literarischen Meilenstein in Sachen Dystopie kann sie den Roman nicht uneingeschränkt empfehlen. Schließlich geht es doch um Ideologiekritik.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.06.2018

Für Rezensentin Sonja Zekri bildet Andrej Platonow in diesem Roman nicht weniger ab als die menschliche Tragödie. Die von Renata Reschke überarbeitete Fassung findet sie musikalischer, eigenwilliger, aber auch unzugänglicher als die Ausgabe von 1990. Die Geschichte um eine Stadt, die den Kommunismus verwirklicht hat, scheint ihr mitunter zäh, dann wieder tarantinoesk. Die Darstellung von Revolution, Bürgerkrieg, Kollektivierung in filmreifen Szenen, die laut Rezensentin grandiosen Steppenbeschreibungen und die mitunter bizarre Komik ergeben für Zekri keine fantastische Uto- oder Dystopie und auch keine Groteske, sondern die fesselnde literarische Dokumentation einer unerhörten Zeit.
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