Antonio Munoz Molina

Die Augen eines Mörders

Roman
Cover: Die Augen eines Mörders
Rowohlt Verlag, Reinbek 2000
ISBN 9783498043971
Gebunden, 480 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Der Mörder schlägt bei Vollmond zu. Sein neuestes Opfer: ein zehnjähriges Mädchen. Trotz zahlreicher Spuren am Tatort bleibt er ein Schemen. Nur in seinen Augen muss etwas zu lesen sein... Der Inspektor sucht ihn mit der Besessenheit eines Mannes, der ein persönliches Unglück kompensieren muss. Denn er ist neu in der kleinen südspanischen Stadt, erst kürzlich aus Bilbao dorthin versetzt, wo die ständige Bedrohung durch die ETA ihm den Charakter und seiner Frau den Verstand verbogen hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.08.2000

"Ein großartiger, vielschichtiger Roman", ist dieses Buch, findet Evita Bauer. Zunächst jedoch macht sie den Leser darauf aufmerksam, in welchen Punkten sich der Roman von den früheren Büchern des Autors unterscheidet. So hält sie es für bemerkenswert, dass diesmal ein ganz normaler Mann der Protagonist ist und nicht ein Kunstprodukt wie sonst. Ungewöhnlich realitätsnah scheint ihr diesmal der ganz normale Held: ein "Kleinbürger". Ansonsten hat Molina, wie der Leser erfährt, durch fünf verschiedene Hauptfiguren ebenso viele "Welten" dargestellt, die sich diskursiv zueinander verhalten. Bauer meint darüber hinaus den Einfluss von Juan Carlos Onetti, Saul Bellow und Ruth Rendell zu spüren. Was der Leser mit dieser Information anfangen soll, verrät sie jedoch nicht. Meint sie den Stil? Die Handlung? Die Konstruktion? Jedoch erfährt man noch zwei andere Dinge. Einmal, dass es dem Autor gelungen sei, die Charaktere "einfühlsam zu zeichnen". Zum anderen, dass es sich hier nicht nur um eine Kriminalgeschichte handelt. Molina habe durchaus seinen Blick auch auf historische und politische Aspekte gerichtet, wie etwa die Methoden der ETA.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.05.2000

Hans-Jörg Neuschäfer nutzt in seiner Rezension die Gelegenheit, den Stand der spanischen Gegenwartsliteratur zu schildern. Der Autor Molinas erscheint dabei als Protagonist des gegenwärtigen Booms eines literarischen New Historicism, der das Erzählen von Geschichte stets mit der Reflexion auf die Bedingungen fiktionaler Geschichtsbeschreibung verbindet. Der neue Roman (in Spanien allerdings schon 1997 erschienen) fällt nach Meinung des Rezensenten deutlich hinter das mit dem Nationalpreis ausgezeichnete bisherige Hauptwerk "El jinete polaco" (dt. Der polnische Reiter, Rowohlt Verlag 1995er) zurück. "Die Augen eines Mörders" erweist sich nur oberflächlich als Kriminalroman, wichtiger, so Neuschäfer, sei die Tiefendimension, die sich auf die Psyche des Helden, des Kommissars, einlässt und Verdrängtes zu Tage fördert. Vieles aber, so der Rezensent, wirke bei aller Raffinesse aufgesetzt und erinnere in seinem Bemühen, noch die letzten Tagesaktualitäten unterzubringen, am ehesten an Johannes Mario Simmel. Den Grund für diese Probleme glaubt Neuschäfer in der Überforderung der Erfolgsautoren durch ihre Verlage und die spanische Öffentlichkeit zu erkennen. Lesereisen, Vorträge und zu viele öffentliche Auftritte verhindern die Konzentration auf das literarische Werk.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2000

Paul Ingendaay vermeldet in seiner Rezension froh einen wie er meint seltenen Fall glücklicher Vermählung von Literatur und Kriminalroman. Der Kommissar, ein weit über 50jähriger ehemaliger ETA-Jäger mit "alkoholischer Vergangenheit", sucht einen Kindermörder. Gerade bei diesem Mörder bringe Molina das Kunststück fertig, ihm "fast inquisitorisch auf die Pelle zu rücken", und ihn gleichzeitig als "unnahbar Fremden" zu respektieren. In den Rang der Literatur erhoben wird der Thriller für Ingendaay aber vor allem, weil Molina neben der Kriminalgeschichte auch "in langen nachhallenden Sätzen" ein Bild der spanischen Gesellschaft zeichne.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.04.2000

Mit großer Anerkennung spricht Yaak Karsunke von diesem Roman, in dem ein Inspektor akribisch in einem Mordfall ermittelt, der Autor jedoch ebenso akribisch einen erhellenden Blick auf "andere Figuren und Umstände" werfe. Dabei entfaltet der Autor, wie Karsunke findet, ein Panorama der spanischen Gesellschaft, in der die Menschen "die Spuren und Narben der Vergangenheit" (gemeint sind Bürgerkrieg, Franco-Diktatur, Republik, Demokratie) in sich tragen. Auch stilistisch lässt der Roman nach Karsunkes Ansicht keine Wünsche offen. Er lobt Munoz Molinas erzählerische Souveränitat (der Rezensent fühlt sich bisweilen an den "nouveau roman" erinnert) und sein ausgefeiltes Spiel mit Überblendungen und Verweisen. Besonders wichtig scheint Karsunke, dass Munoz Molina sich in literarischer Hinsicht nie vom Inhalt ablöst. Als besonders beeindruckendes Beispiel dafür nennt er den drei Seiten langen "suggestiv-bedrohlichen Satz", mit dem der Autor die Hände des Kindsmörders beschreibt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.03.2000

Diemut Roether charakterisiert diesen Roman als einen Krimi in der spanischen Tradition - unter Franco sei der Krimi ein Instrument zu einer indirekten Gesellschaftskritik gewesen, und so halte es auch Antonio Munoz Molina, der hier den abscheulichen Mordfall an einem kleinen Mädchen in einer südspanischen Stadt schildert. Roether beschreibt, wie der Autor den Roman durch ständigen Perspektivenwechsel zwischen den Hauptfiguren vor den Augen des Leser entstehen lässt und nennt als die illusionslose Diagnose, die dieser Krimi der spanischen Gesellschaft stellt, vor allem das Phänomen einer allgemeinen Teilnahmslosigkeit - der Mord hätte verhindert werden können, wenn die Bürger der Stadt mehr Verantwortungsgefühl für die anderen aufgebracht hätten.