Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann

Das Amt und die Vergangenheit

Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik.
Cover: Das Amt und die Vergangenheit
Karl Blessing Verlag, München 2010
ISBN 9783896674302
Gebunden, 879 Seiten, 34,95 EUR

Klappentext

Der Mythos, das Auswärtige Amt sei von 1933 bis 1945 ein Hort des Widerstands gewesen, gehört zu den langlebigsten Legenden über das Dritte Reich. Wie aber verhielten sich die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes nach Hitlers Machtübernahme wirklich? Und wie stellten sie sich dann in der Bundesrepublik zu ihrer Vergangenheit? Vom ersten Tag an war das Auswärtige Amt unmittelbar in die Gewaltpolitik des NS-Regimes eingebunden. Es schirmte die "Judenpolitik" des Dritten Reichs nicht nur nach außen ab, sondern war in allen Phasen aktiv an ihr beteiligt. Überall in Europa fungierten deutsche Diplomaten als Wegbereiter der "Endlösung", sie wirkten mit an der "Erfassung" der Juden und an ihrer Deportation. Opposition aus dem Auswärtigen Dienst heraus blieb individuell und die Ausnahme. Nach Kriegsende wurden nur wenige Beamte für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen, viele konnten auf ihre Wiederverwendung hoffen und setzten ihre Karriere fort.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.11.2010

Grundsätzlich begrüßt der Historiker Hans Mommsen die Studie über das Auswärtige Amt und seine Verstrickung in die nationalsozialistischen Verbrechen, er macht aber auch Kritik geltend. So hadert er vor allem mit dem ersten Teil der Untersuchung, der Mommsens Ansicht zufolge zu ausschließlich auf die Mitwirkung des Auswärtigen Amts am Holocaust fokussiert und dabei andere andere "Dimensionen der NS-Gewaltpolitik" vernachlässige. Außerdem wirft er den Autoren vor - da ist er ganz Funktionalist -, zu wenig die strukturelle Dynamik des NS-Systems und seine stetige Radikalisierung zu berücksichtigen. Und meist gehen die Autoren auch nicht über die Forschungen etwa von Hans Rothfels und Christopher Browning hinaus. Mit dem zweiten Teil, der sich mit dem Selbsterhalt des Amts nach Kriegsende beschäftigt, ist er wesentlich zufriedener. Die skandalöse Diffamierung aufrechter Diplomaten bei gleichzeitiger Verteidigung von NS-Verbrechern ist für Mommsen so noch nicht beschrieben worden, wofür er besonders Norbert Frei verantwortlich macht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.10.2010

Als eines der wichtigsten zeithistorischen Bücher feiert, wiewohl erschüttert von den geschilderten Tatsachen, Alexander Cammann den 900-Seiten-Bericht der von Joschka Fischer eingesetzten Historikerkommission über die Beteiligung des Auswärtigen Amts an den NS-Verbrechen und deren Vertuschung durch die Bonner Nachfolge-Organisation. Auch sei das Buch teilweise spannend "wie ein Thriller" zu lesen. Wie "mit dem Zielscheinwerfer", so Cammann, würden die Aktivitäten der Diplomaten vor und nach 1945 ausgeleuchtet, mit teilweise schockierenden Ergebnissen. Eine Schlüsselfigur der Studie sei Staatssekretär Ernst von Weizsäcker. Noch nie, meint Cammann, habe eine historische Studie auch derart gezielt auch das "elitäre Selbstverständnis" der Mitarbeiter dieses Amtes ins Visier genommen. Zu den Glanzstücken des Buchs gehört für den Kritiker Annette Weinkes Rekonstruktion des Wilhelmstraßenprozesses von 1947. Gespannt ist Cammann auch, wie nun die konservativen Historiker reagieren werden, die als Herausgeber der "Akten zur auswärtigen Politik" bislang ein Deutungsmonopol hatten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.10.2010

Joachim Güntner bespricht nicht im engeren Sinne den Bericht zur Verwicklung des Auswärtigen Amts in die NS-Verbrechen, sondern berichtet von seiner Vorstellung durch die beteiligten Historiker. Demnach scheint ihm nicht unplausibel, wenn Eckart Conze nicht nur von einigen verstrickten Diplomaten spricht, sondern das Auswärtige Amt als ganzes als eine Verbrecherische Organisation bezeichnet. Das ist für Güntner eine ebenso gravierende Wende in der Sichtweise wie einst in Hinblick auf die Wehrmacht, die sich ihre Exsoldaten so lange als "sauber geblieben" wünschten. Schockierend ist für Güntner jedoch nicht nur das Ausmaß, in dem die Diplomaten beim Holocaust kollaborierten, sondern auch wie sie hinterher ihre Reinwaschung und Nachkriegskarrieren organisierten. Besonders empörend findet er die Zentrale Rechtsschutzstelle, die deutschen Kriegsverbrechern im Ausland rechtlichen Beistand gewähren sollte, tatsächlich aber viele Täter vor Haftbefehlen oder Verfolgung warnten und schützten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.10.2010

Großartig, aufregend erregend findet Rezensent Arno Widmann diese Studie der von Joschka Fischer eingesetzten Historikerkommission, die endlich einmal die Rolle des Auswärtigen Amtes im Nationalsozialismus aufklären sollte. Für Widmann ist nach der Lektüre klar: Die Vernichtung der Juden in Europa war keine geheime Kommandosache, sondern von Seiten des Auswärtigen Amts bereitwillig, offen und selbstbewusst mitbetrieben. Widmann betont, dass es der Staatssekretär Ernst von Weizsäcker und Ernst Woermann, der Leiter der politischen Abteilung waren, die die Deportationen französischer Juden nach Auschwitz genehmigen mussten. Der "zweite Schrecken" dieses Buches liegt für Widmann in den Nachkriegskarrieren der Diplomaten, die fast alle wieder in Amt und Würde kamen. Wie sich die alten Seilschaften durchgesetzt haben und sich dabei noch mit elitär-moralischem Glanz umgaben. Was hat man sich unter so einer Elite vorzustellen?, fragt Widmann mit erkennbarem Grimm, der hierin eine der Debatte harrende Frage sieht. Er zumindest liest dieses seiner Beteuerung zufolge auch "exzellent geschriebene" Buch nicht nur als historische Aufklärung, sondern auch als Kommentar zur Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2010

Ein großes, wichtiges Buch. Auf einer ganzen Seite widmet sich Nils Minkmar dieser Studie, in der das von Joschka Fischer beauftragte Forscherteam von Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann seine Ergebnisse zur Verstrickung des Auswärtigen Amts in die nationalsozialistische Mordmaschinerie zusammenträgt. Für den Rezensenten kann kein Zweifel mehr daran bestehen, wie willig und wie gründlich die selbstdeklarierte Elite der deutschen Verwaltung die NS-Politik unterstützte. Schon 1933, als noch kein Nazi das Auswärtige Amt zu irgendetwas hätte zwingen können, erließen seine Spitzenbeamte Denkschriften, in denen die Verfolgung der Juden aufs Infamste begründet und gerechtfertigt wurde. Auch beim Erfassen und Aufspüren der jüdischen Bevölkerung im besetzten Europa wirkten die Edelbeamte tatkräftig mit, wenn es Protest kam, dann nur, wie Minkmar in aller Deutlichkeit vermerkt, weil das Morden nicht schnell genug lief. Für den Rezensenten steht nach der Lektüre fest, dass das Auswärtige Amt eine verbrecherische Organisation war, und nur kopfschüttelnd und ungläubig kann er daran zurückdenken, wie lange und wie erfolgreich die Diplomaten - allen voran Ernst von Weizsäcker - von sich das Bild "tragisch scheiternder Verantwortungsethiker" durchsetzen konnten, die mithilfe des diplomatischen Protokolls Schlimmeres verhinderten. Nein, nein, beim großen Morden, hält Minkmar fest, gaben die "am besten ausgebildeten, kultiviertesten Männer ihrer Zeit" ihr Bestes.
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