Enzo Traverso

Auschwitz denken

Die Intellektuellen und die Shoah
Cover: Auschwitz denken
Hamburger Edition, Hamburg 2000
ISBN 9783930908578
Gebunden, 368 Seiten, 29,65 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Helmut Dahner. Enzo Traverso rekonstruiert in seinem Band die ersten Reflexionen über den Genozid an den Juden und untersucht die Werke von zehn Dichtern und Denkern, die mit zwei Ausnahmen alle Juden deutscher Kultur sind. Franz Kafka und Walter Benjamin präsentiert er als Autoren, die eine Vorahnung der tragischen Zukunft gestalteten und den Fortschritt als Katastrophe dachten. Ab 1944 versuchten dann Hannah Arendt, Günther Anders, Theodor W. Adorno, Jean Améry und Primo Levi "Auschwitz zu denken".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.03.2001

In einer Doppelrezension bespricht Hanno Zickgraf zwei Bücher von Enzo Traverso, die das Denken nach und um Auschwitz zum Thema haben. Und obwohl der Rezensent insgesamt bei beiden Büchern zahlreiche Schwächen ausmacht, so geben seiner Ansicht nach doch beide "eine Übersicht über ein hochdiffiziles Feld des Denkens" und regen zum Lesen der dort behandelten "Primärtexte" an.
1.) Enzo Traverso: "Auschwitz denken" (Hamburger Edition)
Zickgraf erläutert, dass Traversos Absicht hier "Aufklärung" ist (auch wenn der Autor selbst wisse, dass die Shoah nicht wirklich aufklärbar sein kann), wozu er Denker wie Adorno, Horkheimer, Leo Löwenthal, aber auch etwa Franz Kafka, Paul Celan und Primo Levi zu Wort kommen lässt. Bedauerlich findet der Rezensent jedoch, dass Traverso hier nicht der Gefahr entgangen sei, "Aufklärung als vereinfachende Veranschaulichung misszuverstehen". So erfahre der Leser "wenig Neues über die behandelten Autoren", in mancher Hinsicht seien Traverso sogar Fehler unterlaufen, wofür der Rezensent auch Beispiele anführt. Lesenswert findet Zickgraf jedoch die Passagen über den amerikanischen Trotzkisten Dwight McDonald, weil hier sehr gut deutlich werde, dass es auch "`weit ab vom Schuss` sehr wohl möglich war, das radikal Neue und universelle Bedeutsame des Judengenozids zu erkennen".
2.) Ders.: "Nach Auschwitz" (Neuer ISP Verlag)
In diesem Buch geht es Traverso, so der Rezensent, vor allem darum, aus der Beschäftigung mit der Shoah zu einer erneuerten "marxistischen Denktradition" zu gelangen. Insgesamt bewertet Zickgraf dieses Buch als "kundigen, Partei ergreifenden Epilog zum Historikerstreit", doch hätten seiner Ansicht nach einige wichtige Aspekte stärker mit einbezogen werden müssen. So habe Traverso den "Beitrag der Frankfurter Schule zur Analyse des NS-Systems und des Antisemitismus" nicht ausreichend gewürdigt, stattdessen jedoch einem Text Eric Voegelins über die "Sogkraft religiöser Heilserwartungen" im Totalitarismus großes Gewicht eingeräumt, was Zickgraf völlig unverständlich findet.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.08.2000

Dieses Buch ist erst der Anfang einer noch ausstehenden intensiven Beschäftigung mit der frühen intellektuellen und literarischen Auseinandersetzung mit der Shoah, urteilt Rudolf Walther. Indem sich der Autor mit den Texten von acht Autoren auseinandersetze, leiste er wichtige "Vorarbeit" auf dem Gebiet, so der Rezensent anerkennend. Wenn Walther dem Autor auch nicht bei allen Urteilen folgen will, und ihm dessen Ausführungen mitunter etwas langatmig scheinen, lobt er am Ende doch, dass Traverso die noch vor Ende des Krieges einsetzende Auseinandersetzung mit Auschwitz so "sorgfältig" aufgearbeitet hat.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.07.2000

Anders als Wolfgang Sofksy in seiner Besprechung in der NZZ betont Martin Jander in der taz mehr die Pluspunkte der Studie Traversos und sieht freundlich, aber nicht unkritisch darüber hinweg, was sie nicht leistet. Traversos Verdienst sei es, eine intellektuelle Diskurswende in den 40er und 50er Jahren herauszuarbeiten, die - etwas verkürzt - Auschwitz als Produkt der modernen Industriegesellschaft gedeutet hatte. Jander stimmt Sofkys skeptischer Haltung gegenüber dieser Formel insofern zu, als dass damit Ressentiments der Kulturkritik bedient würden, die heute nahtlos in eine "unbestimmte" Globalisierungsschelte übergingen. Wo Sofksy das Fehlen von Autoren wie Bloch oder Elias moniert, die andere Denkkategorien in ihren Texten herangezogen hätten, verweist Jander darauf, dass Traverso in diesem Buch wie in seinem Aufsatz über Dwight Macdonald den Bruch im oftmals marxistisch ausgerichteten Denken damaliger Intellektueller herausarbeitet.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.05.2000

Eine verpasste Chance, Auschwitz neu zu überdenken, meint Wolfgang Sofsky in seiner Besprechung des ursprünglich für ein französisches Publikum geschriebenen Buches von Enzo Traverso. Er zählt verschiedene Negativpunkte auf: Es würden nur hinlänglich bekannte Autoren behandelt, osteuropäische Intellektuelle kämen überhaupt nicht zu Wort. Als einzige Entdeckung nennt Sofksy den Amerikaner Dwight Macdonald. Aber auch die theoretische Klammer des Buches hält der Rezensent für die Wiederholung eines alten, "längst festgefahrenen Diskurses": die Frage nach Bruch oder Geschichtskontinuität, Singularität des Geschehenen oder relativierendem Geschichtsverständnis in Bezug auf Auschwitz. Und so endet das Buch, bedauert Sofksy, bei der alten Legende vom jüdischen Intellektuellen, der als einziger aufgrund seines sozialen Außenseitertums den Völkermord frühzeitig zu begreifen und erkennen vermochte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2000

Rezensent Micha Brumlik hat selbst eine Menge zu diesem Thema zu sagen. Für den Leser seiner Kritik ist des deshalb nicht ganz leicht, Brumliks eigene Gedanken von denen Enzo Traversos zu unterscheiden. Brumlik wurde von Traversos "Wissenssoziologie der Vernichtungswahrnehmung während der Kriegs- und Nachkriegszeit" ziemlich inspiriert, sehr frei an dessen Thesen entlang zu argumentieren. Was für das Buch spricht, in dem es eine Reihe interessanter Analysen und Standpunkte über die "Erkenntnis des moralisch Undenkbaren" bei verschiedenen Autoren gibt: von Kafka über Hannah Arendt bis hin zu Sartre, die in Brumliks Auseinandersetzung mit ihnen zu einiger Brillanz gelangen. Er selbst findet das Buch überzeugend und umfassend. Das klingt dann allerdings nicht hundertprozentig begeistert.