Frank Trentmann

Aufbruch des Gewissens

Eine Geschichte der Deutschen von 1942 bis heute
Cover: Aufbruch des Gewissens
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023
ISBN 9783103973167
Gebunden, 1036 Seiten, 48,00 EUR

Klappentext

Übersetzt von: Henning Dedekind, Heide Lutosch, Sabine Reinhardus, Franka Reinhart, Karin Schuler. Erstmals erzählt Frank Trentmann die deutsche Geschichte seit 1942 aus dem Blickwinkel der Moral: Wie kam es dazu, dass die Deutschen nach Shoah und Vernichtungskrieg im Jahr der "Willkommenskultur" 2015 als moralisch geläutert galten? Und sind sie das wirklich? Ausgehend von der Niederlage bei Stalingrad schildert Trentmann den Wandel Deutschlands: Von der "Entnazifizierung" über Wirtschaftswunder und 68er bis zur Umweltbewegung, von der Erinnerungspolitik bis zu Migration und Asyl, von der Friedensbewegung bis zum Krieg in der Ukraine führt er die Vielfalt von Haltungen, Debatten und Handeln in den drei deutschen Staaten vor Augen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.04.2024

Rezensent Herfried Münkler ist grundsätzlich skeptisch, was Mentalitätsgeschichten anbetrifft. Frank Trentmanns in vier Zeitabschnitte geteilter Versuch, den Deutschen zwischen 1942 und 2022 auf den Zahl zu fühlen, scheint ihm aber mindestens diese Erkenntnis bereitzuhalten: Dass die Deutschen, je weiter sie sich vom Zweiten Weltkrieg entfernen, den europäischen Nachbarn immer ähnlicher werden. Dass die Deutschen Meister der Selbstbeobachtung und des "fishing for compliments" sind, wie Trentmann anhand von Selbstzeugnissen konstatiert, aber immer wieder auch konterkariert, wusste Münkler längst.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 08.12.2023

Rezensent Wolf Lepenies räumt ein, dass Frank Trentmann mit seinem Buch zwar keine überraschenden Erkenntnisse liefert oder gar die deutsche Nachkriegsgeschichte neu schreibt, allerdings erzählt er diese Geschichte laut Lepenies "auf neue Weise", nämlich indem er die Moral und den Umgang damit in der deutschen Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellt. Die moralischen Konflikte und ihre Verbindung mit der Realpolitik anhand von Themen wie der Judenverfolgung, der Ostpolitik oder der Gastarbeiterpräsenz zu zeigen, ohne selbst zu moralisieren, das hält Lepenies für eines der Verdienste des Autors. Besonders den Einbezug von Primärquellen wie staatlichen Dokumenten, Nachlässen, Gerichtsakten und Kinderaufsätzen findet Lepenies beeindruckend und erhellend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.11.2023

Lesenswerte tausend Seiten sind das, die Frank Trentmann über die Moralgeschichte der Deutschen seit dem Zweiten Weltkrieg verfasst hat, findet Rezensent Frank Biess. Der in London lehrende Historiker erzählt dabei keine klar konturierte Entwicklungslinie hin zum guten Deutschen, sondern lässt Raum für Ambivalenzen, so Biess. Anhand von Briefen und Tagebüchern zeige er auf, dass bereits während des Krieges abseits des öffentlichen Raums manche Deutsche Distanzierungen zur NS-Moral vornahmen. In der Nachkriegszeit verschiebt sich die Verantwortung für die jüdischen Opfer der NS-Zeit, so zeichnet der Rezensent die Argumentation nach, auf den Staat, das jüdische Leid verschwand tendenziell im deutschen, erst in den 1960ern wurde das Leiden der Anderen vermehrt thematisiert. Aber auch dann blieb die Moral, fährt die Rekonstruktion fort, oft selbstbezüglich und in sich widersprüchlich, und zwar sowohl im Westen, wo die Realität der Einwanderungsgesellschaft nicht anerkannt wurde als auch in der DDR, wo die Moral aufs Privatleben hin übergriffig wurde. Nach 1989 entstanden dann andere Probleme, so Biess nach Trentmann, zum Beispiel im Umgang mit autoritären Staaten oder in Sachen Umweltschutz. Leicht liest sich das alles nicht weg, konzediert Biess, aber trotz einiger Lücken lohnt sich diese bislang beispiellose Mentalitätsgeschichte.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 28.10.2023

Dezidiert aus der Erfahrung eines Deutschen heraus, der im Ausland lebt, hat Frank Trentmann sein Buch über die Geschichte der moralischen Entwicklung seiner Landsleute geschrieben, so Rezensent Martin Hubert. Es geht dem in London lehrenden Historiker darum, erfahren wir, einem Narrativ zu widersprechen, das allein die Katastrophe der NS-Zeit ins Zentrum stellt und die nachfolgende Entwicklung als eine erfolgreiche Bewältigung dieses Erbes beschreibt. Freilich setzt Trentmann mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs an, so Hubert, und er beschreibt die Niederlage der deutschen Truppen in Stalingrad als einen Wendepunkt. Allerdings, rekonstruiert der Rezensent das Argument, resultiert aus der Erkenntnis, dass Deutschland nicht unfehlbar ist, keine Reflexion der eigenen Schuld, sondern lediglich Scham, die auch die Nachkriegszeit prägt und vor allem eine Thematisierung jüdischen Leids verhindert. Im Detail ist Hubert mit Trentmanns Argumentation nicht immer einverstanden, insbesondere unterschätzt der Autor in seinen Augen die Bedeutung der 68er-Generation, die erstmals bereit war, sich mit den Opfern der Nazizeit zu identifizieren. Auch die AfD ist womöglich gefährlicher, als Trentmann sie darstellt, mutmaßt Hubert, der das Buch gleichwohl als eine komplexe Auseinandersetzung mit Fragen der Moral und Geschichte empfiehlt.

Buch in der Debatte

9punkt 30.12.2023
In seinem aktuellen Buch "Aufbruch des Gewissens. Eine Geschichte der Deutschen von 1942 bis heute" widmet sich der Historiker Frank Trentmann dem ambivalenten Umgang der Deutschen mit moralischen Fragen. Es überrasche ihn nicht, dass im postkolonialen Milieu zunehmend von einem "Schuldkomplex" der Deutschen die Rede sei, sagt er im taz-Gespräch mit Till Schmidt. Unser Resümee