Guy Helminger

Etwas fehlt immer

Erzählungen
Cover: Etwas fehlt immer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518417089
Gebunden, 270 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Ein passionierter Radfahrer hat die Marotte, unterwegs Fußgängern auf den Hinterkopf zu schlagen, und stellt einer Frau nach, die sich nach einem Unfall seiner Zutraulichkeit nicht erwehren kann - liebt er sie, bedroht er sie? Ein Mann geht in der Fußballhalbzeit Zigaretten holen - und erkennt beim Zurückkommen seine Wohnung nicht mehr wieder. Ein neu Zugezogener sorgt für Spekulationen in der Nachbarschaft - treibt er gefährliche Dinge, oder sind die immer stärker entgleisenden Mutmaßungen über ihn das eigentlich Bedrohliche?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.01.2006

Einen zwiespältigen Eindruck haben Guy Helmingers neue Erzählungen bei Rezensent Oliver Jungen hinterlassen. Einerseits würdigt er den Autor als talentierten Erzähler und "Meister der Betontristesse". Die Geschichten sieht Jungen angesiedelt in einer Welt der Kälte, Gewalt, Dummheit und Einsamkeit, in der sich psychopathische Stalker, Hundefolterer, Vergewaltiger und Kindsmörder tummeln. Andererseits moniert er, dass der Autor das zu Beginn spannend Geheimnisvolle immer weiter dehne und schließlich überstrapaziere. Das Buch wirkt auf ihn zudem insgesamt "andeutungsvoll und unterfüllt". Auch kann er sich des Eindrucks des Gewollten nicht erwehren, "zu manieriert" findet er die Plots. "Eigenartig unbefriedigt bleibt der Leser nach der Lektüre zurück", resümiert Jungen, "einen welken Blumenstrauß des Bösen in der Hand."
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.11.2005

"Schnoddrig, handfest, salopp, robust und drastisch" kommen Guy Helmingers Geschichten in diesem Band daher, doch fehlt Martin Krumbholz der Tiefgang oder besser gesagt die Konsequenz, die aufgedeckten Abgründe dann auch auszuloten. Wenn etwa ein Rottweiler die neue Bekanntschaft eines Mannes am nächsten Morgen totbeißt, schlägt sich der Mann nach kurzer Zeit des Haderns auf die Seite des Hundes. "Aber mit dieser Pointe hat es auch schon sein Bewenden", klagt der Rezensent. Er hat den Verdacht, dass es Helminger eher um den kurzfrisitgen Witz als um seine Figuren und deren Motive geht. Und da helfen auch die "raffinierten Konstruktionen", in denen sich die Figuren wie in einem "Spinnennetz" gefangen sehen, oder der "Hauch Poesie" nichts mehr, der bisweilen aus den Seiten weht. Am Ende bleibe alles dann doch "seltsam flach".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.11.2005

Der Rezensent Kai Wiegandt wird nicht so richtig warm mit diesen Geschichten von Guy Helminger - auch wenn sich ihr Charme nach fortgeschrittener Lektüre etwas mehr erschließt: "wenn sich die Geschichten dichter miteinander verweben" und schon etablierte Motive an anderer Stelle wieder auftauchen. Auch sind die längeren Geschichten nach Wiegandts Meinung gelungener als die kurzen. Doch alles in allem funktionieren die entworfenen Charaktere nach Meinung des Rezensenten nicht. Auch der offensichtlich intendierte Humor will nicht richtig zünden: "Man weiß, wo man lachen sollte, tut es aber beim besten Willen nicht." Helmingers Figuren wirken auf Wiegandt wie Außerirdische.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.11.2005

Gruselige Begeisterung schlägt einem entgegen in Stefan Kisters Besprechung von Guy Helmingers Erzählband "Etwas fehlt immer". Gruselig, weil recht schnell deutlich werde, dass etwas in der namenlosen Großstadt, in der alle Erzählungen spielen, nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn dafür, so der Rezensent, steht das Licht und seine ständigen Veränderungen zu sehr im Vordergrund. Doch, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, meint der Rezensent und bemerkt in der Tat, dass Helmingers "abseitiges anthropologisches Projekt" jenem gleicht, das seine Figur Bruno in der ersten Erzählung vor Augen hat: im Schatten von Passanten deren Wesen zu lesen. Und so lesen sich die Erzählungen für den Rezensenten wie ein "krauses Panoptikum von Dunkelmännern und -frauen", denen allen, wie der Titel schon besagt, etwas fehlt - was abseitige Angewohnheiten nährt und sie zu absonderlichen Taten treibt. Was genau dies ist, bleibt ungewiss. Was aber in jedem Fall fehlt, so der Rezensent, ist die "Gewissheit, wo genau die Grenzen zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit verlaufen", und ob es sich dabei nur um einen "Tick im Kopf" der Figuren oder schlichtweg um den "Abgrund der Alltäglichkeit" handelt. Mit diesem in sich geschlossenen Erzählkosmos, so das ehrfürchtige Fazit des Rezensenten, erweist sich Helminger in seiner Ungemütlichkeit als Sozius von Kafka und Carver.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.11.2005

Walter van Rossum haben Guy Helmingers "heiter melancholische" Erzählungen zwar traurig und beinahe verstört zurückgelassen, doch scheint er dem Autor das nicht übel zu nehmen. Denn Helminger hat ihn in seine "Paralleluniversen" eingelassen, nach deren Besuch der Rezensent überzeugt ist, dass die letzten verbleibenden Mysterien der Welt nur mit einer "literarisch geläuterten Physik" erkannt werden können. "Das klingt kompliziert", gibt er zu, "liest sich aber verblüffend einfach". Guy Helmingers Geschichten sind offensichtlich für eine Zusammenfassung wenig geeignet, und Rossums Versuche in dieser Hinsicht bleiben auch eher im Ansatz stecken. Das Personal besteht aus stillen Jungen, die am Ende ein Fleischermesser zur Hilfe nehmen, Radfahrern, die Unfallopfer mit Pelargonien zu Tode erschrecken und Stalkern, die selbst verfolgt werden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.10.2005

Der Autor will in seinen Erzählungen den alltäglichen subtilen Wahnsinn der normalen Menschen darstellen, erklärt uns Christoph Schröder, und spinne dazu ein "Liniennetz von Unglücksfällen". Wo der Erzähler hinblicke in seiner "unbenannten Stadt" sehe er ängstliche, gestörte oder gar perverse Wesen mit multiplen "Obsessionen". Allein, auf den Rezensenten verfehlte die vom Autor inszenierte Pandämonie ihre unheimliche Wirkung. Denn alles sei zu aufgesetzt, zu gewollt, und vor allem die Sprache leide am hohen Ton und insbesondere "elaborierten Lichtmetaphern". Letztere betrachtet der Rezensent geradezu als Obsession des Autors und zitiert seinerseits eine ganze Reihe dieser "unfreiwillig komischen" Lichtverhältnisse. Nur dort, wo der Autor seine "Metaphernwut" beschränke, würde der Text verdaulicher und stärker. Doch insgesamt komme einem das Böse und Helmingers gestörte Geschöpfe, so Rezensent Schröder, "nicht interessanter vor als ein Stalker in einer Talkshow am Nachmittag".
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