Hanna Krall

Ach du bist Daniel

Erzählungen
Cover: Ach du bist Daniel
Neue Kritik Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783801503604
Gebunden, 130 Seiten, 17,00 EUR

Klappentext

Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.12.2002

Die Rezensentin Katharina Döbler mag zuerst nicht glauben, dass Hanna Krall ihre "Ankündigung, ihre Geschichten nicht fortzuschreiben" doch nicht wahr gemacht hat. Doch sie besinnt sich schnell, denn Kralls Geschichten sind gar keine. "Es sind eher minimalistische Texte", die in den Augen der Rezensentin "eher die Aufgabe haben, Leerstellen sichtbar zu machen, als sie zu füllen". Krall, als "Spezialistin für das Vergangene und Verborgene", schreibe ganz "unverhüllt" über die seltsamsten Figuren und füge "Steinchen für Steinchen" ein "unbekanntes Mosaik" zusammen, "das niemals ganz" zu sehen ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.10.2002

Die polnische Publizistin Hanna Krall sammelt seit mehr als zwei Jahrzehnten Zeugnisse von Überlebenden des Holocaust und deren Nachkommen. So etwa die Geschichte einer Frau, die nur überleben konnte, weil sie ihre Wangen und Lippen mit "Rote-Rüben-Saft" gerötet hatte, um vor den Schergen der SS gesund zu scheinen. Im Gespräch mit Krall schminkt sie sich einen "grellroten Fleck" ins Gesicht. Krall berichtet von solchen Geschichten und solchen Erlebnissen, aber sie kommentiert sie nicht. "Erschöpft" fühlt sie sich inzwischen und auch "überfordert", wie sie schreibt, von den Menschen, die von ihr auf Antworten hoffen, die sie nicht hat. Auf "Sentimentalität" oder "Pathos" verzichtet Krall, so der Rezensent Yaak Karsunke, ganz und gar, eine "Nutzanwendung" des Berichteten kann und will sie nicht liefern.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.10.2002

Zwei Bücher von Hanna Krall geben Gelegenheit, einerseits die journalistischen Anfänge der polnischen Autorin nachzuvollziehen und andererseits ihre jüngsten Erzählungen kennenzulernen, die Marli Feldvoss wie ein Endpunkt von Kralls literarisch-dokumentarischen Schreiben vorkommen.

1.)  "Unschuldig für den Rest des Lebens"
Hanna Krall, so führt Feldvoss die polnische Autorin ein, ist hierzulande bekannt als Chronistin der untergegangenen jüdischen Welt Warschaus. Es sei ihr gelungen, "der oral history eine neue Form abzutrotzen" - eine sehr knappe, dichte dokumentarische Prosa. Kralls Genre ist die literarische Reportage, die sie in ihren Anfängen als Reporterin bei der Wochenzeitschrift "Polityka", so sieht es jedenfalls Marli Feldvoss, ziemlich in Reinform praktizierte, wie eine teilnehmende Beobachterin, die anders als ihr berühmter Kollege Kapuscinski keine moralischen oder politischen Appelle mit ihren Geschichten verband. Die frühen Reportagen Kralls stammen weitestgehend aus den 70er Jahren, die Feldvoss beim Wiederlesen durch ihre faktenreiche und zugleich emotionslose Berichterstattung beeindrucken. Sie berichten von kaum noch vorstellbaren Lebensumständen im sozialistischen Polen und von den politischen Ereignissen jener Zeit, sie filtern auf exemplarische Weise das Lebensgefühl von damals heraus - und das fiel, so Marli Feldvoss, verdammt trist aus.

2.) "Ach du bist Daniel"
Selbst der schmale Umfang des jüngsten Erzählungsbandes scheint Marli Feldvoss zu signalisieren, dass Hanna Krall am Ende ihres Weges angekommen zu sein scheint. Wer wie Krall zwanzig Jahre lang als Chronistin des Holocaust fungierte, musste irgendwann an die Grenzen des Sag- und Schreibbbaren stoßen, meint die Rezensentin. Die politische und historische Verortung der beschriebenen Personen und ihrer Geschichten sei verschwunden, heute herrsche überwiegend Namenlosigkeit, führt Feldvoss aus, Kralls neueste Geschichten kennen keinen Anfang und kein Ende. Für sie ein Verweis darauf, dass das Erzählband zwischen den Generationen gerissen ist. Da sich Krall weiterhin als Chronistin verstünde, würde sie die Erinnerungslücken nicht durch Fiktion füllen, es blieben Leerstellen im Text, die Kralls Erzählungen etwas Torsohaftes und zugleich sehr Hermetisches verleihen würden. "Ach du bist Daniel" liest sich für Feldvoss wie ein elegischer Epilog auf die vorangegangenen Erzählungsbände. Für die Rezensentin wird es Zeit, dass sich Krall vom Status der Reporterin verabschiedet und sich als die große Erzählerin bekennt, die sie für Feldvoss tatsächlich ist.
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