Josef Bierbichler

Mittelreich

Roman
Cover: Mittelreich
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN 9783518422687
Gebunden, 392 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Im Ersten Weltkrieg zerschlägt eine feindliche Kugel zuerst den Stahlhelm und dann den Schädel des ältesten Sohnes vom Seewirt. Also muß sein jüngerer Bruder Pankraz das väterliche Erbe antreten. Der überlebt zwar den zweiten großen Krieg, wäre aber trotzdem lieber Künstler als Bauer und Gastwirt geworden. Da braucht es schon einen Jahrhundertsturm, der droht, Haus und Hof in den See zu blasen, damit aus Pankraz doch noch ein brauchbarer Unternehmer und Familienvater wird. Aber als der eigene Sohn ihn später anfleht, ihm die Erziehung im katholischen Internat zu ersparen, versteht er ihn nicht. Zu sehr ist man in diesen Zeiten mit anderem beschäftigt: das Vergangene vergangen sein zu lassen und die Geschäftsbedingungen der neuen Gegenwart zu studieren.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.12.2011

Als Schauspieler schätzt Roman Bucheli Josef Bierbichler sehr, nun überzeugt dieser den Rezensenten mit seinem Debütroman "Mittelreich" auch als Schriftsteller von Rang. Bierbichler erzählt eine schaurige Familiengeschichte von der vorletzten Jahrhundertwende bis in die Nachkriegszeit hinein. Gewaltig imponiert es dem Rezensenten, mit welcher lakonischen Kürze Bierbichler zwei Weltkriege, aus denen die Söhne des Seewirts jeweils versehrt heimkehren und alle ihre künstlerischen Ambitionen im Dienst am Familienunternehmen begraben, in den Blick nimmt. Es ist ein "Jahrhundert der Toten", das der Autor hier zeichnet, und er tut dies mit dem "Pathos der Nüchternheit" und zugleich mit Empathie, die Bucheli tief beeindrucken. Sinnlich, facettenreich und erschütternd zeigt Bierbichler die Spur der Verwüstung, die die Kriege und die nachfolgende beklemmende Totenstille im Leben der Menschen hinterlassen hat, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.10.2011

Groß, ein Buch wie eine Axt, Sepp Bierbichler haut drauf. Für Dirk Pilz alles nur zu gut verständlich, auch wenn der Grantler vor dem Herrn ja längst in den großen Städten wettert, auf der Bühne nämlich, im Kino. Das Dorf, der Gasthof, Nazi-Deutschland, Wirtschaftswunder, Zumutungen, Verdrängungen, die Oma im Ohrensessel, und immer wieder die Axt, mit der der Autor ein bizarres, ein schräges, ein grelles Heimatbild zurechthaut, einen Sehnsuchtsort schaffend trotz allem, darauf besteht der Rezensent. Für Pilz liegt mit dem Buch gar ein neues Untergenre vor: der Kratzbürsten-Roman, ein Stück autobiografisch ist er auch.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.10.2011

Im Aufmacher der Zeit-Literaturbeilage widmet sich Iris Radisch den drei Romanen von Oskar Roehler, Josef Bierbichler und Eugen Ruge, denen Radisch zufolge eines gemein ist: die Familie entthront in ihnen das Ich als Souverän. Josef Bierbichlers Familienchronik hat sie mit einer gewissen Sympathie gelesen, seine sprachliche Wucht hat ihr durchaus das Geschlecht der Starnberger Seewirte, dem der Schauspieler entstammt und das er enden lässt, nahegebracht. Die Familie Bierbichler zeigte sich ihr hier aus der "Wimmelperspektive", jeder ist gleich wichtig oder unwichtig, "der Ich-Gedanke", zitiert Radisch Bierbichler, "war den Bauern ganz fremd". Und so erkennt sie auch in diesem Roman eine antimodernistische Pointe: Fortschritt bedeutet Rückschritt, und wer "mittelreich" wird, bleibt nicht unbedingt glücklich.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.09.2011

Für Josef Bierbichlers autobiografisch getönten Heimat- und Dorfroman findet der begeisterte Rudolf Neumaier eine neue Genre-Bezeichnung: den "Gastronomieroman". "Mittelreich" spielt nämlich hauptsächlich im "Fischmeister", dem Gasthof der Bierbichlers, in dem der Autor, wenn er nicht gerade seinem Beruf als Schauspieler nachgeht, auch lebt, erfahren wir. 80 Jahre werden chronologisch aus dem Leben der Familie und der sie umgebenden Figuren erzählt, wobei der Krieg eine wichtige Rolle spielt, erklärt der Rezensent. Der Autor geht keine Gefahr ein, dass das Ganze in Heimatidylle oder fröhliche Satire abgleitet, dafür werde in diesem Roman einfach zuviel gestorben und masturbiert und zu wenig gelacht, meint Neumaier ("Es gibt herrliche Tode und bittere"). Ihn hat trotz mancher etwas kruden Überleitung die kraftvolle Erzählweise, die Bildmächtigkeit und die Lebendigkeit dieses Romans sehr beeindruckt und damit hat für ihn der Schauspieler Bierbichler mit Fug und Recht den Titel "Schriftsteller" errungen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2011

Der "feinfühlige Holzacker" auf der Theaterbühne erweist sich auch in seinem ersten, autobiografisch grundierten Roman als kraftvoller, tiradensprühender Berserker, findet Martin Halter, der sich in seiner Kritik mühelos auf diesen Ton einschwingt. Der Schauspieler und Autor erzählt von drei Generationen im Gasthaus "Fischmeister" am Starnberger See, vom Gründer über den "Möchtegernkünstler" Pankraz, der widerwillig das Familienunternehmen übernimmt bis zum Sohn, dem Erzähler dieser Familiengeschichte, erfahren wir. Gern zerfranst sich diese Familiensaga in Anekdoten, die für den Rezensenten aber durch ihre zwischen bajuwarischer Kunstsprache, Polt'scher Polemik und "klassischen Monologen" changierende Erzählweise überzeugend zusammengehalten werden. Wunderbar findet er, wie die Bigotterie und die der Nazivergangenheit verhaftete Elterngeneration entlarvt wird. Weniger erbaulich findet Halter allerdings die soziologischen Erklärungsversuche, die Bierbichler in seine deftigen Auslassungen einstreut. Man kann eben nicht "Abtritt, Scheißer und analytisches Klopapier zugleich" sein, ohne sich zu übernehmen, meint der Rezensent, dessen Sympathie für diesen Kraftmeier dennoch ungebrochen scheint.
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