Katharina Hacker

Die Habenichtse

Roman
Cover: Die Habenichtse
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518417393
Gebunden, 308 Seiten, 17,80 EUR

Klappentext

"Ich bin glücklich, wollte Jakob sagen, aber der Satz war wie ein Holzpüppchen, das man behutsam aufstellte und das sich doch nur einen Augenblick hielt, bevor es umkippte."- Isabelle und Jakob treffen sich am 11. September 2001 nach Jahren auf einer Party in Berlin wieder. Sie verlieben sich,heiraten und bekommen die Chance, nach London zu ziehen, wo Jakob - Schicksal? Zufall? - eine Stelle in einer Anwaltskanzlei antritt, die eigentlich für einen Kollegen vorgesehen war, der bei den Anschlägen auf das World Trade Center umgekommen ist. Isabelle arbeitet von dort aus weiter für ihre Berliner Grafikagentur und genießt, in den spannungsreichen Wochen vor Ausbruch des Kriegs im Irak, ihr Londoner Leben. Die beiden haben alles, was ein junges, erfolgreiches Paar braucht - und stehen doch mit leeren Händen da. Sehnsüchtig und ratlos sehen sie zu, wie ihr Leben aus den Fugen gerät. Jakob ist fasziniert von seinem Chef, Isabelle von Jim, dem Dealer. Die untergründigen Ströme von Liebe und Gewalt werden spürbar, und das Nachbarskind Sara wird ihr Opfer.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.05.2006

Das Wunderbare an diesem Roman ist für Rezensent Roman Bucheli, dass er dem Leser all die vielen Fragen selbst überlasse, auf die er keine Antworten gebe. Auch habe man kein höheres Wissen von den Figuren als diese selbst und dies wirke "hinreißend unverstellt". Der 11. September 2001 führe das höchst unterschiedliche Personal des Romans in eine 'Lady Margaret Road' nach London. Ein deutscher Anwalt für Restitutionsfragen, skizziert der Rezensent die "Bühne", mache nach dem Tod eines Kollegen unter Schuldgefühlen Karriere. Überraschend schnell heiratet er eine Grafikdesignerin, die bald der besonderen Ausstrahlung eines Drogendealers erliege. Und auch zwei Kinder mit Alkoholikereltern habe es in die Straße verschlagen, wo jetzt in einer schönen Wohnung der alte Schrecken weitergehe. Neben der "unaufdringlichen" Art, mit der die Autorin die Figuren von sich selbst erzählen lasse, hebt der Rezensent auch ihre "minuziöse" Darstellung unterschiedlicher Milieus in London hervor. Sein Wort für Katharina Hackers Roman heißt "Zauber".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.04.2006

Große Bewunderung und mittelgroße Enttäuschung ringen in Meike Fessmanns Rezension mit einander. Die Autorin greife mit ihrer beispielhaften Beziehungsgeschichte von Jacob und Isabelle so richtig in die Tasten der große Lebensthemen wie Liebe, Anerkennung, Schicksal, Sinn des Lebens, gelange aber nicht über ein "desorientierendes Buch über die Desorientierung" hinaus. Jacob und Isabelle sind Mitte dreißig und haben außer ihrer Karriere "keine Sehnsüchte, keinen Glauben, keine Illusionen". In London, dem Ort der beziehungslosen Beziehung sind Jacob und Isabelle umgeben von jüngeren und älteren Menschen, die trotz schwerer Schicksalsschläge leidenschaftlich zu leben verstehen. Diese Nebenfiguren, so die Rezensentin, sprechen die "wahren, klugen, erhellenden Sätze". Ähnliches hätte sie sich auch von der Autorin zu ihren beiden menschlich verarmten Helden erwartet. "Unerbittlich ziellos", so die Rezensentin, heiße es im Roman über die Heldin Isabelle, "unerbittlich ziellos" sei aber auch die Autorin in ihrem "streng konstruiertem, szenestarken Roman".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.03.2006

Mit "Die Habenichtse" erzählt Katharina Hacker "lakonisch und gelassen eine grausame Geschichte" erklärt Anne Kraume. Denn obgleich der Roman mit dem Paar Isabelle und Jakob mitten in die Welt eines erfolgreichen jungen Mittelstandes führt, wirft er eine Schuldfrage auf, die sich hinter der wohlsituierten Fassade verbirgt: Die Schuld an sich selbst und gegenüber anderen durch Unterlassung. Isabelle und Jaokob gehen in London ihren Berufen als Anwalt und Grafikerin nach. Aber das ist nur die Oberfläche: "Sie sind die Habenichtse des Romantitels", ihre Charaktere blieben aufällig blass und auswechselbar. Sie sind noch nicht einmal mehr beschreibbar, so die Rezensentin: Im weitläufigen Personenreigen des Romans blieben sie "sie leer und hohl wie die Pappfiguren, farbenfroh koloriert und hübsch anzusehen vielleicht, aber ohne Tiefe." Und gerade diese Unschärfe enthalte eine radikale Aussage des Romans: "Schuldig werden an sich selbst und anderen - das kann man auch, indem man gar nichts tut."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.03.2006

Seit sie zu schreiben begonnen hat, arbeitet sich Katharina Hacker "von der Peripherie ins Zentrum" vor, meint Verena Auffermann, von der Stadterzählung "Tel Aviv" bis zu ihrem letzten "sehr privaten" Buch "Eine Art Liebe". Mit "Die Habenichtse" sei der persönliche Bezug endgültig überwunden, der große Entwurf gelungen. "Die Habenichtse" spielt größtenteils in London, wohin Isabelle und Jakob - sie Grafikerin, er Rechtsanwalt - ziehen, Tür an Tür mit sozial Deklassierten, echten "Habenichtsen", im Gegensatz zu den wohl situierten Deutschen, die eher innere Habenichts sind. Isabelle und Jakob sehnen sich nach etwas anderem, das sie gar nicht benennen können; es ist die Gedankenlosigkeit, die sie lähmt, die sie scheitern lässt, stellt Auffermann fest. Hacker beschreibe in einer klugen, zeitkritischen Analyse diese Paarkonstellation, eingebettet in den nachbarlichen prekären Kontext, eingebettet in die britische Diskussion über den Irakkrieg, sie analysiere eine von innen bedrohte Beziehung "als Fortsetzung der allgemeinen Diskussion um Krieg und Frieden". Ein in allen seinen bedrohlichen Nuancen gut ausgeleuchtetes Beziehungs- und Zeitportrait, lobt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.03.2006

Ursula März feiert den jüngsten Roman "Die Habenichtse" von Katharina Hacker mit wahren Lobeshymnen. Nicht nur "einfach gelungen, intelligent, berührend und bannend", sondern wahrhaft "bedeutungsvoll" sei dieses Buch, in dem ein deutsches Paar in London in unmittelbare Nachbarschaft zu Drogenmissbrauch, Gewalt und Kindesmisshandlung gerät, wie die Rezensentin aufgeregt berichtet. Gelungen sei der Autorin ein beeindruckender "Fortschritt in der deutschen Gegenwartsliteratur", denn sie verbinde in ihrem Roman überzeugend "Ästhetik und Engagement", so März begeistert. Nicht nur "materielle", sondern auch "ideelle Armut" ist in dieser Parallelgeschichte einer englischen Familie und eines deutschen Paares das Thema, und es nimmt die Rezensentin besonders für das Buch ein, dass beide Zustände nicht gegeneinander "ausgespielt", sondern in ihrem Elend gleichermaßen mit "Respekt" behandelt werden. Hacker schafft es, in ihrem Roman eine "Fülle von Sujets, Schauplätzen, Szenerien, sozialen Ensembles" zu zeichnen und verknüpft die verschiedenen Ebenen mit einem bewunderungswürdigen Verzicht auf "literarisches Imponiergehabe", preist die Rezensentin, die von der "humanen Intelligenz", die dieses Buch zeigt, hingerissen ist.
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